Yachtclub Lister verschifft Segelboote mit Autokran
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Attendorn. Der niedrige Wasserstand der Bigge ist schuld: Attendorner Segler können ihre Kielyachten nicht mit dem clubeigenen Gerät aus dem Wasser ziehen.
Langsam steigt die Sunflower aus Bigge empor. Thiemo Brinkmann hält für ein paar Sekunden die Luft an, seine Nervosität ist am Anschlag. Mit großen Augen beobachtet der Siegener, wie sein Segelboot, an vier Seilen hängend, von einem 50 Tonnen schweren Kran an Land gehoben wird. Brinkmann zückt sein Handy und macht von dem Spektakel ein Video. „Für meine Familie, die bekommt gleich die Live-Bericht-Erstattung“, erklärt der Familienvater zweier Kinder, die zuhause geblieben sind. Der Siegener ist seit zwei Jahren Mitglied im Yachtclub Lister und Besitzer einer Kielyacht, die am Samstag mit 37 weiteren Booten aus dem Wasser geholt wird.
Das Besondere in diesem Jahr: Aufgrund des extrem niedrigen Wasserstandes, der See befindet sich laut Informationen des Ruhrverbands derzeit rund 16 Meter unter Vollstau-Niveau bei einem Füllungsgrad von 50 Prozent (wir haben bereits berichtet), können die Segelboote mit der clubeigenen Anlage nicht mehr an Land gezogen werden. Die Ursache liegt bekanntlich in der über Monate anhaltenden Trockenperiode, die unter anderem auch dafür gesorgt hat, dass der Ruhrverband als Betreiber des Biggesees deutlich eher als sonst üblich Wasser aus der Bigge in die Ruhr abließ. Die Bigge dient nämlich auch dazu, gleichmäßige Wassermenge in der Ruhr sicherzustellen.
Für den Kran nur "Peanuts"
Es braucht am Samstag also den Autokran, für den die bis maximal zwei Tonnen schweren und teilweise über sieben Meter langen Boote „Peanuts“ seien, erklärt Hafenmeister Peter Kramer, der für einen reibungslosen und schnellen Ablauf sorgt. Letztmals musste ein solcher Kran 2003 ran, da war Kramer noch gar nicht im Verein. Wichtig: Am Samstag werden nur jene Boote mit einem Kiel, wie ein Fisch am Angelhaken, herausgefischt, alle anderen verließen das Wasser bereits Tage zuvor, und zwar mit Hilfe der eigenen Anlage, die die Boote über ein Schienensystem, quasi wie eine Eisenbahn, aus dem Wasser zieht. Nur reicht diese Anlage nicht weit genug ins Wasser, um eben auch die Kielyachten herauszuholen.
Ein paar Meter von den eigentlichen Stegs entfernt haben die Helfer, allesamt aus dem Verein, eine kleine, transportable Plattform im Wasser installiert und diese mit einem Seil am Kran befestigt. An dieser Stelle finden sie bessere Bedingungen vor, als direkt vor den eigentlichen Stegs. Schon der kurze Nieselregen vor wenigen Tagen habe laut Kramer dazu geführt, dass der Boden etwas aufgeweicht sei. Deshalb sei der 50-Tonnen-Koloss auch hier ein paar Zentimeter in die Erde versackt. Kein großes Problem, schon gar nicht für Andreas Benzler, der den Kran steuert und erklärt, wobei es bei seiner Aufgabe ankommt: „Eine ruhige Hand ist das Wichtigste. Wenn ich alles in Ruhe und ohne ruckartige Bewegungen mache, dann finden die Boote unfallfrei an Land.“ Der Mann aus Altena arbeitet für den Kranspezialisten Dornseiff, den der Yachtclub beauftragt hat.
Ein wenig Anspannung
Trotz des Vertrauens in den Kran macht sich am frühen Samstagmorgen etwas Anspannung am Hafen, direkt an der L 512 gelegen, breit. Finden wirklich alle Boote unfallfrei ihren Weg an Land? Und schaffen es die etwa 15 freiwilligen Helfer rund um Peter Kramer, den eng getakteten Zeitplan einzuhalten? Immerhin sollen alle Boote bis zum Einbruch der Dämmerung an Land sein. Heißt im Umkehrschluss: „Wir haben zehn Minuten pro Yacht“, sagt der Hafenmeister, „um sie auf die Anhängern der Eigentümer zu heben.“ Ist dies geschehen, zieht sie Simon Büdenbender mit einem Traktor den steilen Weg hoch Richtung Parkplatz, wo die Besitzer sie dann endgültig transportfähig machen können.
Yachtclub Lister fischt 38 Segelboote mit Kran aus Biggesee
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Um kurz nach neun Uhr, pünktlich auf die Minute, verlässt die Condor 7 von Bootseigner Alexander Klatt als erste die Bigge. Ohne Zwischenfall. „Jetzt bin ich schon etwas beruhigter“, ist Kramer ob der gelungenen „Generalprobe“ erleichtert. Neben ihm steht Michael Schröder, 1. Vorsitzender des Vereins. Auch er will eine gewisse Nervosität nicht verhehlen. „Aber ich weiß, dass ich mich auf diese professionelle Hafencrew verlassen kann.“ Weil er nicht unmittelbar an der Arbeit beteiligt ist, nimmt er sich ein paar Minuten Zeit, um auf die abgelaufene Segelsaison zurückzublicken: „Das war eine der genialsten Saisons überhaupt, mit so vielen Segeltagen wie nie zuvor. Wir hatten von März bis Oktober tolles Wetter und super Winde.“ Die Vereinsmitglieder, berichtet Schröder nebenbei, kommen nicht nur aus dem Kreis Olpe, sondern genauso aus Frankfurt, Koblenz, dem Westerwald oder aus dem Ruhrgebiet.
Schneller als gedacht
Währenddessen verlässt ein Boot nach dem anderen das Wasser. Schneller als gedacht, und (fast) ohne Probleme. Nur zwei Mal kommt es zu einer kurzen Verzögerung: Ein Boot will gerade auf dem Anhänger (im Fachjargon Trailer genannt) aufsetzen, da bemerken Bootseigner wie Hafenmeister Kramer, dass der falsche Anhänger bereit steht. Für wenige Augenblicke bleibt die Yacht am Haken, der falsche Trailer wird zügig durch den richtigen ersetzt, und schon kann es weitergehen. Ein weiteres Boot muss die Crew später noch abschleppen, weil der Elektromotor seinen Dienst verweigert. „Aber sonst ist alles wunderbar verlaufen“, betont der Hafenmeister. Um kurz vor 15 Uhr sind alle Boote aus dem Wasser. Thiemo Brinkmann ist um diese Zeit schon nicht mehr vor Ort. Er hat seine Sunflower in einer Lager nach Attendorn gebracht, wo sie nun überwintert.
Zusätzliche Informationen:
Im Falle eines Unfalls würde die Haftpflichtversicherung des Kranunternehmens, das gegen Transportschäden versichert ist, greifen.
Der Yacht-Club Lister hat rund 600 Mitglieder und besteht seit 1959. Der Club trägt Reviermeisterschaften aus, bietet Segelausbildung für Kinder und Erwachsene an und nimmt Prüfungen ab. Er trainiert eine eigene Jugendabteilung, nimmt an Regatten teil und ist Austragungsort der Deutschen Junioren-Segel-Liga.
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