Kreis Olpe. . Lennestadts ehemaliger SPD-Vorsitzender Edgar Becker und Sigrid Gerhard aus Olpe organisieren die Initiativ-Veranstaltung am 25. November in Olpe

Bereits nach wenigen Wochen, sagt Edgar Becker, früheres Urgestein und Vorsitzender der Lennestädter SPD, hätten sich im Kreis Olpe über 100 politisch Interessierte der neuen Bewegung „Aufstehen“ von Sahra Wagenknecht angeschlossen. Und er, der sich mit seinen 70 Jahren eigentlich nicht mehr aktiv in die Politik habe einmischen wollen, „mache da mit und werde mich dafür einsetzen, dass es mehr Menschen tun.“

Strohhalme für ramponierte SPD

Obwohl wir alle dazu neigen, im Nachhinein alles schon vorher gewusst zu haben, dürften die meisten politisch denkenden Zeitgenossen das kalte Grausen kriegen angesichts der unaufhaltsamen Erosion der (ehemaligen?) Volksparteien CDU und SPD.

Eine Rückblende sei erlaubt. Bundestags-Wahl 1976: Helmut Schmidt auf der einen Seite mit der FDP und Hans-Dietrich Genscher im Rücken, Helmut Kohl und Franz-Josef Strauß auf der anderen. Von Politikverdrossenheit keine Spur, Wahlbeteiligung: Knapp über 90,7 (!) Prozent. CDU/CSU holen 48,6 Prozent, die SPD 42,6 Prozent, die FDP 7,9 Prozent, Sonstige 0,9 Prozent, das war’s.

Die Gegenwart. CDU/CSU und SPD regieren zwar, irgendwie, kommen in Umfragen zusammen (!) aber nicht mehr auf 40 Prozent. Mehrheit weg, Vertrauen des Volkes weg, fast müsste man sich wünschen, die Hessen-Wahl verlegen zu können.

Dass sich entsetzte Sozialdemokraten, die mit GroKo-Nahles und ihrem Gefolge nichts anfangen können, an jeden Strohhalm klammern, ist naheliegend. „Aufstehen“ ist ein solcher Strohhalm. Ob aus dem zarten Gewächs mehr wird? Keine Partei und auf Dauer tatsächlich nur eine Ideen- und Diskussions-Plattform?


Wer das Duo Wagenknecht/Lafontaine kennt, weiß, dass sich beide immer auch die Machtfrage stellen. „Aufstehen“ dürfte also eher als Schiene gedacht sein, auf der ein Zug nach links steuert, mit frustrierten linken Sozialdemokraten, linken Grünen und Realo-Linken - spätere Ehe nicht ausgeschlossen. Ob sich in Südwestfalen genügend „Aufsteher“ finden, die der Bewegung Rückenwind geben, wird sich am 25. November im Kolpinghaus zumindest andeuten. Für einen Ansatz, die SPD vor dem Untergang auf Raten zu bewahren, taugt es nicht. Da hilft nur eines: ein personell grundlegender Befreiungsschlag.

von Josef Schmidt

Gemeinsam mit der Olper Kauffrau Sigrid Gerhard, für die die SPD nach der Ära Schröder nicht mehr wählbar gewesen sei, will Becker die neue Bewegung unterstützen und sich in der Organisation einbringen: „Wir streben eine Initiativgruppe an für Südwestfalen, genauer gesagt für die Kreise Olpe, Siegen, den Märkischen und den Oberbergischen Kreis. Hier haben sich schon über 550 Aufsteher auf der Internetplattform registrieren lassen.“

Die erste „Aufstehen“-Veranstaltung sei vorbereitet, wie Sigrid Gerhard bestätigt: „Die Initiativ-Veranstaltung wird am Sonntag, 25. November, ab 15 Uhr im Olper Kolpinghaus stattfinden.“ Die über 550 registrierten Aufstehen-Sympathisanten würden dafür alle per E-mail informiert. Aber auch andere politisch Interessierte seien willkommen. Becker und Gerhard weisen ausdrücklich darauf hin, dass „Aufstehen“ keine Partei sei und keine werden wolle: „Es wird hier bei uns keinen Vorsitzenden und keinen Vorstand geben. Es geht einfach darum, all denen, die mit der momentanen Politik nichts mehr anfangen können, eine Plattform auch vor Ort zu geben“, versichert Becker.

Gerhard fügt hinzu: „Wir haben die Organisation übernommen und sehen dann, wie es weitergeht.“ Unterstützt werden die Sauerländer von Holger und Marion Giebeler aus Siegen.

Zu ihrer Motivation befragt, sagt Sigrid Gerhard, weshalb sie sich, die nie Mitglied einer Partei war, für „Aufstehen“ engagiert: „Der Mensch wird in der Leiharbeit, bei Hartz IV und im gesamten Niedriglohn-Sektor entwertet.“ Auch der prozentuale Niedergang der CDU ist für sie kein Wunder: „Merkel hat sich zu wenig um ihr Land gekümmert, ist mit dem Scheckbuch in Europa herum gereist, während hier immer mehr Menschen ihre Mieten nicht bezahlen können.“

Edgar Becker: „Die erneute Große Koalition war der größte Fehler der SPD. Die Industrie bestimmt die Politik, der normale Bürger spielt nur noch eine untergeordnete Rolle.“ Als Rechtsanwalt gehörten einige Hartz IV-Empfänger zu seinen Klienten: „Die werden in den Job-Centern stellenweise menschenunwürdig behandelt.“

Immer mal wieder Abstürze

Unterschiedliche Reaktionen, so eine Spontan-Umfrage unserer Zeitung, löst „Aufstehen“ bei Sozialdemokraten im Kreis Olpe aus. Attendorns SPD-Urgestein und Ehrenbürgermeister Alfons Stumpf: „Ich werde bei Aufstehen nicht mitmachen. Ich bin im nächsten Jahr 50 Jahre Mitglied der SPD und bleibe es auch. Und wenn ich der letzte bin. Ich hoffe nur, dass noch einer da ist, der mich ehrt.“

Zur Situation seiner Partei sagte Stumpf: „Es hat immer mal wieder Abstürze gegeben, bei der einen oder anderen Landtagswahl. Aber nicht eine solche Erosion.“ Sicherlich spiele die aus seiner Sicht falsche Entscheidung eine Rolle, erneut in die Große Koalition zu gehen, „nachdem wir vorher solche Ankündigungen gemacht hatten.“

Es geht weiter bergab

Olpes ehemaliger SPD-Vorsitzender Wolfgang Wigger hat sich zwar noch nicht bei „Aufstehen“ registriert, findet aber durchaus Gefallen an einer solchen Alternative: „Ich überlege, da mitzumachen. Grundsätzlich muss man so etwas begrüßen angesichts des politischen Desasters.“ Die Dauerkrise seiner Partei sei für ihn keine Überraschung: „Mit Leuten wie Nahles und Stegner geht es weiter bergab, wir werden auch bei der Hessen-Wahl ein schlechtes Ergebnis einfahren.“

SPD-Vorsitzender Heinz Vollmer ist eher skeptisch: „Das ist für mich uninteressant. Wir brauchen keine solche Bewegung, müssen uns in der SPD auf unsere Dinge besinnen und auf Bundesebene einen Generationswechsel einleiten.“ Vollmer setzt dabei auf junge Leute wie den Juso-Vorsitzenden Kevin Kühnert: „Wir brauchen nichts Neues zu schaffen wie diese Internet-Plattform, sondern die SPD muss sich von Grund auf erneuern.“

Interesse geweckt

SPD-Kreisvorsitzender Robert Kirchner-Quehl (Wenden) will sich „Aufstehen“ erst einmal ansehen: „Mein Interesse hat das geweckt, aber es sollte jeder genau hinsehen, was dahinter steckt.“ Quehl, vehementer Gegner der GroKo (wir berichteten), kann nachvollziehen, dass frustrierte Sozialdemokraten solche Plattformen interessant fänden: „Ich werde die Gelegenheit nutzen, mal zuzuhören, mich zu informieren und gegebenenfalls mitdiskutieren.“ Wenn „Aufstehen“ etwas sei, um einen Gegenpol zu den öffentlich auftretenden Rechten zu bilden, sei die Bewegung zu unterstützen.

Über 100.000 „Aufsteher“ in wenigen Tagen

Anfang September stellte Linken-Fraktions-Chefin Sahra Wagenknecht „Aufstehen“ vor. Zum Start seien in kurzer Zeit bereits mehr als 100.000 Menschen der Bewegung beigetreten.

Auf ihrer Internetplattform bezeichnet sich „Aufstehen“ als soziale und demokratische Erneuerungsbewegung.

Politische Ziele unter anderem: Höhere Löhne, gute Renten und Pflege, ein Sozialstaat, der vor Abstieg schützt, Top-Bildung von der Kita bis zur Universität, bezahlbare Mieten, gerechte Steuern statt Politik für Super-Reiche, Banken und Konzerne.