Drolshagen. . Nach einer halben Sekunde haben 82 Kilogramm Sprengstoff am Samstagmorgen ihre Arbeit getan. 6000 Tonnen Stahlbeton liegen im Schotterbett.
Exakt um 9 Uhr am Samstagmorgen gibt Sprengmeister Michael Schneider das Signal, eine halbe Sekunde später haben 82 Kilogramm Sprengstoff, verteilt auf 264 Bohrlöcher, ihre Arbeit getan: Die 130 Meter lange Talbrücke Öhringhausen (B55) bei Drolshagen sackt wie vorausberechnet auf ganzer Länge senkrecht in sich zusammen und verschwindet in einer riesigen Staubwolke.
Weit mehr als 1000 Schaulustige drängen sich zu diesem Zeitpunkt auf einer nahen Anhöhe im Industriegebiet Hüppcherhammer, und die allermeisten dürften den Wunsch nach einer Wiederholung in Zeitlupe verspüren: Fünf Zehntelsekunden von den Blitzen der Zündung über den Knall der Explosion bis zum Verschwinden in einer Staubwolke sind wenig Erlebnis für sehr viel Erwartung.
In vier bis sechs Wochen werden nach Einschätzung von Karl-Josef Fischer, Straßen NRW, die Reste der Brücke beseitigt sein, dann beginnt der Neubau, der ein bis anderthalb Jahre dauern soll.
Equipment wie aus Film und Fernsehen
Den entscheidenden Zehntelsekunden vorausgegangen waren fast vier Monate Vorbereitungsarbeiten, die Sprengmeister Michael Schneider von der Firma Liesegang aus Hürth in zwei Phasen unterteilt:
Die Arbeit des Ingenieurs, der berechnet und plant, sowie
die Arbeit vor Ort, mit der Sprenglöcher gebohrt, „Fallbetten“ angeschüttet, Sperrungen eingerichtet und ganz zum Schluss auf den Knopf gedrückt wird.
Sprengung der Talbrücke
Die 264 Stangen Dynamit, die in den Stahlbeton-Pfeilern auf die Sprengung warten, sind nach Angaben von Michael Schmidt ein gewerblicher Sprengstoff, kein militärischer. „Die sehen aus, wie man sie aus Filmen kennt, wie eine dicke Zigarre.“ Auch das restliche Equipment wäre den meisten Zuschauern aus Film und Fernsehen bekannt vorgekommen: Das Zündsignal kommt von einem sogenanten „Kurbel-Induktor“, wie man ihn auch schon in Schwarz-Weiß-Filmen gesehen hat. „Das muss man sich wie in einem Fahrraddynamo vorstellen“, sagt Michael Schneider. „Mit der Kurbel baut man die Spannung auf, die zur Zündung gebraucht wird.“
Routine bei der Arbeit wäre gefährlich
Der Sprengmeister hat, von Zuschauern umringt, übrigens nur heruntergezählt und „Sprengung“ gebrüllt, auf den Knopf gedrückt hat sein Mitarbeiter Arthur Feitenheimer, der in einem Container sitzt.
„Um richtig mitzukriegen, was im Moment der Sprengung passiert“, sagt Michael Schneider und grinst, „ist das menschliche Gehirn viel zu langsam. Wir bekommen nicht mit, dass die Zündungen nacheinander erfolgen und nicht gleichzeitig.“
Gut 400 Meter liegt die Grenze des Industriegebietes von der gesprengten Brücke entfernt, weit genug, um den Besuchern einen Streich zu spielen: „Die meisten“, vermutete Schneider, „werden sich wundern. Sie sehen die Brücke einknicken und hören den Knall später.“ Der Schall braucht über 400 Meter eben schon wahrnehmbar länger als das Licht.
Der Knall ist erst viel später zu hören
Zu Schallgeschwindigkeit und Lichtgeschwindigkeit kann Michael Schmidt etwas sagen, eine Antwort muss er schuldig bleiben: Wie viele Sprengungen hat er schon gemacht? „Keine Ahnung, ich hab’s sie nicht gezählt.“
„Also, alles Routine?“
„Nein“, antwortet Schneider und gibt zu, dass es an einem solchen Morgen kribbelt: „An dem Tag, an dem ich das Gefühl habe, das ist Routine für mich, höre ich auf, dann wird es gefährlich.“
Aufhören wird er am Montag aber trotzdem, allerdings nur vorübergehend: „Dann mach’ ich erstmal Urlaub.“