Kreis Olpe/Lennestadt. . Der Chefarzt des Lennestädter St. Josefs-Hospitals sieht keinen Grund, den Diesel zu verteufeln. Feinstaub vermutlich schädlicher als Stickoxide.

Er ist in aller Munde. Fast alle Umwelt-Verbände und nicht wenige Politiker wollen ihm an den Kragen: Die Rede ist vom guten alten Diesel, der angeblich die Gesundheit des Menschen derart schädigt, dass die Auto-Industrie mit „Vollgas“ auf die Elektro-Mobilität zusteuern sollte, so jedenfalls das Credo der Diesel-Gegner.

Politischer Dauerbrenner

Wir hatten Gelegenheit, mit dem Lungenfacharzt Dr. Martin Bischopink vom St. Josefs-Hospital Lennestadt über das Thema zu sprechen, einem Fachmann also, der sich professionell mit genau dem Organ beschäftigt, das in erster Linie unter Stickstoffdioxid (NO2) und Feinstaub zu leiden hat.

Diesel-Abgase sind ein politischer Dauerbrenner. Ist Stickstoffdioxid aus Sicht des Lungenfacharztes Teufelszeug?

Dr. Martin Bischopink: Wenn wir heute über Feinstaub, Stickstoffdioxid oder auch Ozon sprechen, müssen wir einräumen, über die gesundheitsschädigende Wirkung von Stickstoffdioxid noch zu wenig zu wissen. Wir müssen und wollen das ändern und verstärkt forschen.

Über ein Thema, über das derart viel diskutiert wird, müsste es doch einen Haufen von Studien geben?

Es gibt Studien, in Europa zum Beispiel ein großes Projekt, die sogenannte Escape-Studie, die sich mit Daten über einen langen Zeitraum beschäftigt.

Um welche Stoffe geht es dort?

Unter anderem um Feinstäube und Stickstoffdioxide. Im Rahmen dieses Projektes sind über 300 000 Probanden untersucht worden über einen Zeitraum von 13 Jahren. Mit dem Ergebnis, dass Feinstaub zu einem höheren Lungenkrebs-Risiko führt.

Ist Feinstaub im Vergleich zum Stickstoffdioxid gefährlicher?

Der Feinstaub ist der, über dessen Auswirkungen auf den Menschen wir im Moment mehr wissen. Die eben erwähnte Studie sagt dazu, dass Feinstaub das Lungenkrebs-Risiko erhöht, um über 20 Prozent, wenn der Mensch hohen Dosen von Feinstaub ausgesetzt ist. Feinstaub richtet je nach Größe in der Lunge unterschiedlichen Schaden an.

Was passiert wo?

Der gröbere Feinstaub setzt an den größeren, unteren Atemwegen an, die ultrafeinen Teilchen kommen bis weit in die Peripherie der Lunge, bis in die sogenannten Alveolen, die kleinen Lungenbläschen. Und da löst der Feinstaub offensichtlich eine Entzündungsreaktion aus, und wenn es immer wieder zu solchen Entzündungen kommt, kann es zu Zellveränderungen, also letztlich zu Krebs führen.

Dr. Bischopink seit 2008 in Lennestadt

Dr. med Martin Bischopink (56) stammt aus Grevenbrück-Foerde, ist verheiratet und Vater dreier Kinder. Bischopink hat in Köln studiert und arbeitet seit 2008 beim St.-Josefs-Hospital in Lennestadt. Er ist Chefarzt der Medizinischen Klinik, sowie Arzt für Innere Medizin, Pneumologie und Notfallmedizin.

Und die Stickstoffdioxide?

Damit verhält es sich anders. Da besteht noch größerer Forschungsbedarf. Die Meinung darüber ist in der Fachliteratur nicht einheitlich. Was wir wohl wissen, ist, dass Stickstoffdioxid zu Feinstaub führen kann. Und zu Ozon. Vom Ozon wissen wir ja auch, dass es Stress für die Atemwege bedeuten kann. Auch die Deutsche Gesellschaft für Pneumologie hat Stellung bezogen und gesagt, dass es noch reichlich Forschungsbedarf zur Luftverschmutzung gibt.

Wenn der Feinstaub der größere Bösewicht ist, wäre der Diesel fein raus, da er weniger Feinstaub ausstößt als der Benziner.

Nachdem, was wir bisher wissen, stellt der Feinstaub das größere Risiko dar. Denn dem liegt die bereits erwähnte Escape-Studie mit immerhin 300 000 Probanden zu Grunde, und die Daten werden noch weiter aufgearbeitet. Da müssen wir abwarten, was die Zukunft bringen wird. Was wir bereits wissen, ist, dass er auch zu vermehrten Lungenentzündungen führt, zum Beispiel bei Kleinkindern.

Gibt es auch Studien, die belastbare Fakten zum Stickstoffdioxid liefern?

Es gibt unter anderem eine französische Studie, die bescheinigt, dass sich die Lungenfunktion verschlechtert bei dauerhafter Einwirkung von hoher Stickstoffdioxidbelastung. Was wir noch nicht wissen, ist, ob dadurch Lungenerkrankungen wie Asthma oder COPD ausgelöst werden. Dieser Beweis ist bisher nicht erbracht.

Was heißt COPD?

Die Abkürzung steht für eine chronische, obstruktive Bronchitis mit einer Verengung der Atemwege. Also eine dauerhafte Beeinträchtigung im Gegensatz zum Asthma, bei dem die Verengung reversibel ist.

Aber wie soll sich der normale Autofahrer angesichts einer offenbar unklaren Informationslage verhalten?

Ratschläge sind da schwierig zu geben. Oft zeigt sich erst im Laufe von Jahrzehnten, wie gefährlich ein bestimmter Stoff wirklich ist. Nehmen wir Asbest. Das galt viele Jahre im Hausbau als ein hervorragendes Dämm-Material, und jetzt nach 30, 40 Jahren sehen wir bösartige Tumore des Rippen- und Lungenfells.

Dass Asbest die Ursache dafür ist, bezweifelt niemand mehr?

Nein, das ist heute als ursächlich erwiesen, hätte damals keiner vermutet. Wir hätten es nicht für möglich gehalten, dass diese kleinen Fasern durch die Lunge penetrieren können bis zum Lungen- oder Rippenfell. Eine gewisse Skepsis gegenüber manchen Stoffen, deren Auswirkungen wir noch nicht genau kennen, halte ich für sinnvoll. Allerdings keine Hysterie.

Welches ist der gefährlichste Stoff, der in unserer üblichen Umgebungsluft herumschwirrt?

Das ist für einen Pneumologen leicht zu beantworten: Der Zigarettenrauch. Lungenkrebs wird in den meisten Fällen, zu etwa 85 Prozent, durch Zigarettenrauch ausgelöst. Aber auch andere Erkrankungen wie die eben erwähnte COPD werden zunehmend zur Volkskrankheit. Auch da ist das Rauchen die Gefahrenquelle Nummer eins. Rauchen ist aber auch eine nicht zu unterschätzende Feinstaubquelle.

Welche Größenordnung muss man sich da vorstellen?

Professor Köhler, langjähriger Chef im Fachkrankenhaus Kloster Grafschaft und Präsident der Gesellschaft für Pneumologie, weist in diesem Zusammenhang auf eine Mailänder Studie von 2004 hin. Mailänder Krebswissenschaftler hatten seinerzeit einen Ford Mondeo Diesel in einer Garage eine halbe Stunde laufen lassen und dann die Feinstaubkonzentration gemessen. Danach hat man in derselben Garage drei Zigaretten rauchen lassen, und der Feinstaubwert war zehnmal höher als durch die Autoabgase.

Gibt es noch ähnliche Beispiele?

Auch das ganz normale Kochen eines Essens oder das Abbrennen von Kerzen kann die Feinstaub-Partikelzahl in einem Wohnraum um das Hundertfache erhöhen.

Wie bitte?

Ja, das ist so. Eine imposante Größenordnung.

Womit hängt das zusammen?

Mit dem Verbrennen des Wachses. Diese Notiz stammt von Professor Witt der Charité in Berlin. Je nach Beispiel, heißt es in dem Artikel, steigt der Partikelwert um das bis zu Hundertfache, sinkt dann wieder ganz unterschiedlich schnell zum Ausgangswert, innerhalb von 20 Minuten und bis zu 12 Stunden.

Welche Ursachen gibt es noch?

Auch Sauberkeit im ganz normalen Haushalt spielt eine Rolle. Wo viel Staub ist, ist auch Feinstaub. Auch in Räumen, in denen Drucker stehen, sollte man sich nicht ständig aufhalten.

Wie steht es grundsätzlich um die Lungengesundheit im Kreis Olpe?

Die eher ländliche Umgebung schützt uns wohl. In Städten haben wir ganz andere Risiken, zum Beispiel auch den Hitzestress. In Berlin ist es mitunter acht Grad wärmer als im Brandenburger Umland. Es herrscht dort weniger Windbewegung, Feinstaub setzt sich eher fest, die Ozon-Konzentration erhöht sich. Von Berlin weiß man, dass die Rate von Lungenkranken während solcher Hitzephasen um bis zu fünf Prozent steigt.

Gibt es Regionen im Kreis, ich denke an den ehemalige Bergbau, in dem mehr Lungenkranke leben?

Das haben wir hier nicht festgestellt.

Gemeine Frage zum Schluss: Welches Auto fahren Sie selbst?

Einen zehn Jahre alten Diesel, allerdings einen nachgerüsteten. Ich halte Dieselfahrzeuge immer noch für ein Fortbewegungsmittel, das hervorragend niedrige CO2-Werte hat, große Reichweiten bietet und wenig Treibstoff benötigt. Und weniger Feinstaub ausstößt als ein moderner Benziner. Deshalb sollte man den Diesel nicht abschreiben, sondern weiter entwickeln und das Thema grundsätzlich weniger emotional betrachten.