Kirchhundem. . Die Hälfte seiner Amtszeit ist nun vorbei, Kirchhundems Bürgermeister Andreas Reinéry zieht im „Halbzeitgespräch“ Bilanz.

  • Kirchhundems Rathauschef zieht nach drei Jahren Halbzeitbilanz
  • „Wir-Gefühl“ in der Gemeinde muss noch stärker werden
  • Auch künftig keine faulen Kompromisse mit der Politik

Es war eine kleine Sensation im Sommer 2014. Andreas Reinéry, parteiloser Bürgermeisterkandidat der SPD Kirchhundem, siegt in der Stichwahl gegen den CDU-Kandidaten Tobias Middelhoff. Einige Wochen später wurde der heute 53-jährige Morsbacher zum neuen ersten Bürger der Waldgemeinde ernannt. Die Hälfte seiner Amtszeit ist nun vorbei, Zeit für ein „Halbzeitgespräch“.

Herr Reinéry, wie fällt ihre persönliche Halbzeitbilanz aus, was waren Ihre schmerzlichsten und schönsten Momente als Bürgermeister.

Andreas Reinéry: Kirchhundem befand sich seit Jahren in der Haushaltssicherung und war unterwegs, junge kluge Köpfe zu verlieren. Es bedurfte also ehrlicher Überzeugungsarbeit und die Priorität, endlich den Haushaltsausgleich herzustellen. Das hat viele Blut-, Schweiß und Tränen-Maßnahmen gefordert und beim ersten Bürgerhaushalt am 8. Januar 2015 stand ich recht allein einer „tosenden Meute“gegenüber, durfte mir viel Prügel abholen, für Umstände, für die ich eigentlich nicht verantwortlich sein konnte.

War das der schmerzlichste Moment?

Die wenigen schmerzlichsten Momente waren jene, in denen die politische Mehrheit aus Trotz, Taktik oder Machtdemo meinen Vorschlägen nicht folgen wollte. Zum „Bergfest“ nehme ich wahr, eine andere Grundlage geschaffen zu haben: Noch während der Haushaltssicherung konnten wir als Gemeinde - nicht als Kreis - eine Millionenförderung für Internet-/Breitband erwirken. Wir haben ausgeglichene Haushalte, die Pastoratsbrücke in Hofolpe wird dieses Jahr fallen, die Ortsdurchfahrt Heinsberg ist im Bau. Wir konnten zig-tausend Euro Kulturförderung in Silberg generieren und gemeinsam mit dem Ehrenamt haben wir anerkannten Erfolg im Umgang mit der „Flüchtlingsunterbringung“.
Das vielleicht Wichtigste ist unser kommunales integriertes Entwicklungskonzept. Meine Initiative dazu brauchte gehörige Überzeugung.

Aber, und das ist wichtig, nicht mehr Zank und Streit und „Weitpinkelwettbewerbe“ dominieren die Berichterstattung, wir sind weitgehend raus aus den unsäglichen Negativschlagzeilen, haben sicher auch einen Mentalitätswandel erreicht. Meine Beteiligung daran kann ich nicht ganz leugnen, so berichten es jedenfalls meine Mitbürger. Es ist also viel passiert.


Und der schönste Moment war?

Der schönste Moment in den vergangenen drei Jahren war die herzliche Dankbarkeit des kleinen Sami, der afghanische Junge, der mit seiner Familie im Jugendheim Welschen Ennest lebt und mir berichtet, wie unsere Ehrenamtlichen die Familie aufnehmen.

Ihre Kritiker werfen Ihnen vor, oft zu unverbindlich zu sein, sich nicht auf bestimmte Standpunkte festlegen zu lassen und als „oberbergische Frohnatur“ in Rat und Rathaus zu agieren. Wie gehen Sie mit dieser Kritik um?

In Kirchhundem ist - glaube ich - ein ordentliches Maß an reifer Persönlichkeit und Charakterfestigkeit, aus meiner Sicht unbedingt auch Humor unerlässlich. Mir hatten damals tatsächlich mehr ab- als zugeraten, das Amt anzutreten, es würde in Kirchhundem krank an Körper, Geist und Seele machen. Meine Strategie fußt auf der Erziehung meiner sieben Kinderlein, fünf davon renitente Töchter. Wenn Sie mit denen auf der Fahrt nach Italien alle fünf Kilometer hören „Papa, wann sind wir da?“ ist das beste Schule etwa für Fragen aus der „Opposition“ nach einem Buswartehäuschen in Würdinghausen oder „Falschmeldungen aus dem Turm“, auf die ich meine sichere Erkenntnis entgegne: Mit manchen Menschen zu streiten ist wie gegen eine Taube Schach zu spielen: Egal, wie gut Du spielst, die Taube wird alle Figuren umwerfen und herumstolzieren, als hätte sie gewonnen…. Gott-sei-Dank bin ich mit einem unerschütterlichen Humor gesegnet und weiß: Du kannst niemals alle mit Deinem Tun begeistern.

Die größte Herausforderung lag aber darin von dem „trash-talk“ weg zu kommen, dem bewussten Schlechtreden, auch Lügen, den „fake-news“ wie man heute sagt – wo ich besonders auf Seriosität der Medienvertreter baue.

Die Zusammenarbeit mit der Politik, insbesondere mit der Mehrheitsfraktion, ist trotz aller Erfolge nicht immer harmonisch. Insbesondere, wenn es ums Personal im und fürs Rathaus geht, gehen die Meinungen auseinander. Wäre es nicht einfacher und auch effektiver für Sie, mit der CDU besser zu kooperieren?
Ich fand ein sehr verunsichertes Haus vor, aber auch viel Gelegenheit unter Beweis zu stellen, dass jeder Mitarbeiter sich des Rückgrats und Vertrauen des Chefs gewiss sein kann. Wir haben die kreisweit „preisgünstigste“ Verwaltung, die einen klasse Job macht, was öffentliche Anerkennung in Arnsberg und Düsseldorf bringt – nur bei uns zu Hause macht man sich gegenseitig das Leben schwer, wofür ich kein Verständnis entwickeln möchte.

Kirchhundem hat enormes Optimierungs- und Zukunftspotential und Mehrheitspolitik verweigert sich. Als gelernter Mediator, der mit viel Lebenserfahrung gesegnet ist und als Parteiloser und Unabhängiger das Mandat erhalten hat, werde ich es mir erlauben und mein Versprechen halten, nach gutem Wissen und Gewissen die beste Option und Lösung zu verfolgen. Hierzu werde ich keine faulen Kompromisse oder schiefes Taktieren mit wem auch immer suchen, auch wenn das den steinigen Weg bedeutet.

Enige Ihrer Amtskollegen versuchen mögliche Meinungsverschiedenheiten bereits vor der öffentlichen Beratung auszuräumen.

Seit meinem ersten Tag in Kirchhundem biete ich der CDU-Fraktion gebetsmühlenartig die unmittelbare Information in ihren Sitzungen an. Sie hat diesen Sprung über den berühmten Schatten noch nicht geschafft und moniert lieber, sie fühle sich nicht informiert. Weil aber die CDU auch wirklich liebenswerte und kluge Zeitgenossen unter sich hat, denen ich freundschaftlich verbunden bin, arbeite ich weiter daran.

Welche „Baustellen“ stehen in der zweiten Hälfte Ihrer ersten Bürgermeister-Amtszeit auf dem Tablett? Es gibt noch viel zu tun, Maßnahmen, die uns fit machen für die Teilnahme an der nächsten Regionale, aber auch die Optimierung von Kanal- und Abwasserbewirtschaftung, Erstellung des gemeindlichen Wasserversorgungskonzepts, Entwicklung eines Sportstättenentwicklungskonzepts und einer Kulturentwicklungsplanung. Die Musikschule ist strategisch neu aufzustellen, die selbstbestimmte Entwicklung eines Windenergiekonzepts steht an, weiterhin besonnener Umgang mit der Flüchtlings- und Asylbewerbersituation, Umsetzung des IKEKs….,und ich verspreche, dabei Humor, Zuversicht und Leidenschaft nicht zu verlieren.

Thema IKEK. Man hatte das Gefühl, durch das Programm und vor allem die aktive Diskussion ist in einigen Orten ein Ruck durch die Bürgerschaft gegangen. Andererseits zeigen Beispiele, zum Beispiel die neuen Dorfplätze in Kirchhundem und Welschen Ennest, dass es auch ohne IKEK geht, wenn die Bürger mitziehen. Ist das nicht ein Gegensatz? Kein Gegensatz, denn es ergänzt sich. IKEK hat nur da Aussicht auf Erfolg, wo es Bürgern angeboten wird, die anpacken können, die was schaffen wollen, die Ideen haben, die ihre Heimat lieben und Stolz dafür entwickeln können, für sich, ihr Dorf und ihr Zuhause einen Plan umzusetzen.

IKEK ist das Instrument, mit dem Haushaltskonsolidierung gelingt ohne Zukunftsentwicklung aus dem Blick zu nehmen. Daher meine große Anerkennung für das bisher Geschaffene und meine Einladung, diesen Schwung aufzunehmen. Dazu wünsche ich mir ausgeprägte Bürgerbeteiligung und rate Kirchhundemer MitbürgerInnen, Rat und Ausschüsse zu verfolgen, wer der Entwicklung Vortrieb gibt oder sie eher hemmt, wünsche mir eine Stärkung des Kirchhundemer „Wir-Gefühls” und möchte nicht verpassten Optionen nachtrauern. Es wird gemunkelt, Sie hätten bereits einen persönlichen Plan für die Zeit nach der nächsten Bürgermeisterwahl 2020. Wie sieht der aus?
Ich bin hier in Kirchhundem wunderbar aufgenommen, fühle mich sowohl im Rathaus als auch in meinem hübschen Fachwerkhäuschen dem Rathaus gegenüber pudelwohl, die Arbeit macht einen Heidenspaß. Ich kann und werde nicht „everybody`s darling“ sein, aber wenn man zu gegebener Zeit sagt, „der versteht was von der Sache und hat sie gut gemacht“ würde mich das freuen - und dann sehen wir weiter.