Attendorn. . Am 1. Juli übergibt die Heilpädagogin Gabriela Zenker ihre Praxis im Torenkasten an ihre Mitarbeiterin Beate Pulte. Ihre gemeinsame Arbeit stand und steht unter der Maxime „Für die Kinder arbeiten wir, denn die Kinder sind die Hoffnung der Welt“. Beate Pulte wird die Praxis weiterführen, Gabriela Zenker arbeitet künftig im internationalen Archiv für Heilpädagogik und Emil E. Kobi Institut in der Nähe von Berlin. Ein Gespräch mit Gabriela Zenker über das Thema Inklusion.

Am 1. Juli übergibt die Heilpädagogin Gabriela Zenker ihre Praxis im Torenkasten an ihre Mitarbeiterin Beate Pulte. Ihre gemeinsame Arbeit stand und steht unter der Maxime „Für die Kinder arbeiten wir, denn die Kinder sind die Hoffnung der Welt“. Beate Pulte wird die Praxis weiterführen, Gabriela Zenker arbeitet künftig im internationalen Archiv für Heilpädagogik und Emil E. Kobi Institut in der Nähe von Berlin. Ein Gespräch mit Gabriela Zenker über das Thema Inklusion.

Seit vielen Jahren, in der eigenen Praxis seit 2002, kämpfen Sie für Inklusion. Im Zusammenhang mit schulischer Inklusion ist das Thema in den vergangenen Jahren stark in den Fokus gerückt. Wie erleben Sie die Diskussion?

Gabriela Zenker: Die Schulausbildung ist wichtig, aber ich finde es schade, dass sich die Diskussion so auf Schule reduziert, das darf sie nicht. Inklusion betrifft jeden Bürger unseres Staates, Inklusion ist ein Prozess, ein Ziel.

Welches Ziel?

Sie ist das Ziel einer gleichberechtigten und selbstbestimmten Teilhabe am Leben, die Chance, akzeptiert und wertgeschätzt zu werden. Inklusion bedeutet die Forderung, dass niemand, kein einziger Mensch, aus unserer Gesellschaft ausgeschlossen wird. Das gilt natürlich nicht nur für Menschen mit Behinderungen, sondern auch für alte Menschen oder die mit einem Migrationshintergrund. Ich sag’s nochmal: Inklusion ist ein Prozess.

Wenn Sie aus Anlass der Praxisübergabe eine Bilanz ziehen sollten - wo stehen wir in diesem Prozess heute?

Das ist sehr unterschiedlich. Im Elementarbereich, also im Kindergarten, sind wir sehr weit. Da gibt es ganz, ganz viele Erfolge. Ein Beispiel: Ein schwer mehrfach behinderten Mädchen geht in einen Regelkindergarten. Nach einem halben Jahr haben mir die Erzieherinnen gesagt, dass die Entscheidung, es so zu machen, gut für das Kind sei, aber auch ein großer Gewinn für die anderen Kinder. Sie erleben, wie ein ganz selbstverständliches Miteinander entsteht.

Was in den Schulen wesentlich schwieriger sein dürfte.

Ja, richtig, in den Schulen kann das so nicht entstehen, weil das Schulsystem zu starre Vorgaben macht, die Lehrpläne lassen viel zu wenig Spielraum. Die Lehrer fühlen sich überfordert, es gibt zu wenig Personal und viel zu wenig qualifiziertes Personal.

Hat die Überfrachtung der Schulen die Diskussion über Inklusion in unserem Land negativ beeinflusst?

Ich bin dafür, dass man den Begriff entfrachtet. Viele meinen, Inklusion müsse es schaffen, alle Menschen gleich zu machen. Wir erwarten von Kindern, dass sie Lernziele erreichen. Mit dem Ziel der Inklusion ist es aber wichtig, das Kind oder den Menschen so anzunehmen, wie er ist und den Leistungsdruck rauszunehmen.

Aber ist es nicht so, dass in unserer Gesellschaft zuerst gefragt wird, was kannst du? Dass ein Leistungsniveau abgefragt wird? Und wer da durchs Raster fällt, landet irgendwann in Hartz IV.

Wir haben sehr, sehr viele Systeme, die den Menschen Entscheidungen abnehmen, in diesen Systemen wird für die entschieden, das ist schlecht. Heilpädagogik denkt anders. In der Heilpädagogik wird gefragt, was braucht dieser Mensch? Was braucht er für eine gleichberechtigte und selbstbestimmte Teilhabe? Natürlich muss die Gesellschaft sich fragen, was ihr das wert ist.

Wenn Sie diese Forderung ins Verhältnis mit der Realität setzen, sind Sie dann frustriert?

Oh nein! Ich darf nicht frustriert sein. Wenn ich nicht zufrieden bin, muss mich das ermutigen, mir zu überlegen, was ich noch nicht geschafft habe. Was konnte ich nicht vermitteln? Aufgeben ist verboten.

Das war es für Sisyphos auch.

Ich hab’s ja schon gesagt, Inklusion ist das Ziel, ein Ideal, wenn man so will. Wenn die Menschen es so sehen, ist schon viel gewonnen. Es geht in kleinen Schritten voran, wenn durch Begegnung immer mehr das Bewusstsein entsteht, ja, Inklusion ist gut, dann ist es eher unerheblich, wenn es noch zehn oder zwanzig Jahre dauert.