Kreis Olpe. . Der Gesetzgeber öffnet Patienten nach vier Wochen die Tür zur Praxis eines Psychotherapeuten. Was bedeutet das in der Realität?

  • Gesetzlich Versicherte haben einen gesetzlichen Anspruch auf die Therapeuten-Sprechstunde
  • Aber gerade in ländlichen Regionen wie im Kreis Olpe führt das zusätzlich zu gravierenden Engpässen
  • Olper St.-Martinus-Krankenhaus ist mit psychotherapeutischen Erst-Diagnosen nicht befasst

Steckt der Kreis Olpe chronisch im psychotherapeutischer Notstand, weil es viel zu wenige Therapeuten für viel zu viele Patienten gibt? Der Gesetzgeber wollte etwas gegen die unendlichen Wartezeiten vor den Toren der Psychotherapie-Praxen tun und führte mit der „Strukturreform der psychotherapeutischen Versorgung“ (ab 1. April) unter anderem die sogenannte Erstsprechstunde ein. Neu daran: Gesetzlich Versicherte versauern nicht mehr auf einer endlosen Warteliste, sondern haben einen gesetzlichen Anspruch auf die Therapeuten-Sprechstunde.

Beim Besuch der Praxis für Psychotherapie Olpe hatten wir Gelegenheit, mit den Psychotherapeuten Martin Schendel (50), Indra Necke (35) und Dr. Elmar Reuter (70) über das Thema zu sprechen. Und durch das Gespräch zieht sich wie ein roter Faden: „Vor allem in ländlichen Regionen wie bei uns führt das zusätzlich zu gravierenden Engpässen“, sagt Reuter. Deutschlandweit kämen auf einen Therapeutensitz durchschnittlich rund 2700 Einwohner, im Kreis Olpe auf einen rund 5900 Einwohner. Fazit: „Wir bräuchten hier doppelt so viele Therapeuten.“

Anspruch auf Diagnosebogen

Martin Schendel: „Jeder Patient durchläuft diese Sprechstunde, bevor die eigentliche Therapie beginnt, alle haben einen gesetzlichen Anspruch, dafür innerhalb von vier Wochen einen Termin zu bekommen.“ Nach den Gesprächen habe der Patient Anspruch auf einen Dokumentations- und Diagnosebogen.

„Eigentlich eine vernünftige Idee“, sagt Reuter, denn dort werde abgeklärt, ob die Psychotherapie für den Patienten „überhaupt die erste Wahl ist“ oder ob beispielsweise eher eine Eheberatung, Selbsthilfegruppen oder Erziehungsberatung angezeigt sei. Zeige sich aber, dass eine psychotherapeutische Akutbehandlung nötig sei, müsse innerhalb von wieder vier Wochen ein Therapieplatz her - zwar nicht zwingend in der Praxis, wo die Erst-Sprechstunde stattgefunden habe. Aber in zumutbarer Entfernung, was etwa eine halbe Stunde Autofahrt bedeute.

Entscheidende Vermittlungsstelle sei die sogenannte „Termin-Service-Stelle“ der Kassenärztlichen Vereinigung (KVWL) in Dortmund, klärt Kinder- und Jugendlichen-Therapeutin Indra Necke auf. Von dort ( 0231/94329444) würden Rat Suchende vermittelt.

Ob der Anspruch in der Realität aber auch umzusetzen sei, sei fraglich. Reuter: „Die KV versucht, einen sinnvollen gesetzlichen Anspruch umzusetzen. Doch das wird in den ländlich verstopften Regionen nicht möglich sein.“ Eine Änderung der Bedarfsplanung sei überfällig. Denn auch die Situation in den Nachbarkreisen sehe nicht viel besser aus. Dabei, so Indra Necke, gebe es „genügend ausgebildete Psychotherapeuten.“

Krisen-Café seit fast zehn Jahren

Auf die Nachfrage zur Erstversorgung habe die psychiatrische Klinik am St. Martinus-Hospital bereits vor fast zehn Jahren mit dem sogenannten „Krisen-Café mit Notfall-Sprechstunde“ reagiert, berichtet die Chefärztin der Klinik, Dr. Christine Menges, im Gespräch mit unserer Zeitung: „Es gibt so viele Menschen, die einfach nicht wissen, wohin. Darauf haben wir reagiert.“ Auch dort finde so etwas wie eine ,Erst-Sprechstunde’ statt. Das, so Menges, sei aber nicht verpflichtend, sondern „good will“.

Im Krisen-Café, das durchschnittlich von 15 bis 20 Personen pro Woche besucht werde, montags bis freitags jeweils von 10 bis 12 Uhr, stünden ein Pädagoge, eine Sozialarbeiterin sowie Fachärzte für Psychiatrie und Psychotherapie zur Verfügung. Menges: „Was also jetzt gesetzlich gefordert wird, machen wir schon freiwillig seit neuneinhalb Jahren.“

Anlaufstelle für die Erstsprechstunde sei die Klinik indes nicht, so dass man von der neuen Strukturreform nicht direkt betroffen sei. In die Klinik mit ihren derzeit 79 Betten (12 Plätze Tagesklinik) würden ausschließlich schwer und schwerst Kranke aufgenommen. Mit psychotherapeutischen Erst-Diagnosen sei man dort nicht befasst, erhalte auch keine Zuweisungen über die Termin-Service-Stelle.

Engpässe vermeldeten jedoch auch die niedergelassenen Psychiater im Kreis Olpe: „Ein großer Andrang mit langen Wartezeiten ist nicht zu leugnen.“