Herdecke. . Kurzweiliger Abendvon Herdeckern für Herdecker: Im ausverkauften Ruhrfestsaal feierten 300 Gäste die Verleihung der Stadtrechte vor genau 275 Jahren. Schauspieler Jörg Hartmann moderierte die Geburtstagsparty frech und flott.
Talentiert, meinungsfreudig, lebendig: Wer nach einer Quintessenz aus 275 Jahren Herdecker Stadtgeschichte sucht und dafür die Festveranstaltung im Zweibrücker Hof heranzieht, entdeckt vor allem eine große Identifikation mit der Heimat. Ein gelungener Abend, dem Moderator Jörg Hartmann seinen Stempel aufdrückte. Doch viele bärenstarke Auftritte von Künstlern und Rednern setzten ein würdiges Gegengewicht, damit die fast vier Stunden im Ruhrfest-Saal nicht zur Ein-Mann-Show gerieten, sondern zur geplanten Geburtstagsfeier mit vielen Akteuren mit dem Motto „Wir Herdecker“.
Nach dem Kartenansturm Anfang April und dem Ärger von Enttäuschten war klar, dass alle 300 Plätze im Ruhrfestsaal besetzt sein würden. Organisator Dennis Osberg hatte ein buntes Programm gebastelt, das neben hochwertigen Gesangseinlagen zwei Überraschungen zu Beginn und am Ende für Hartmann beinhalten sollte.
Rosi Reiß, Ulla Biermann und Gerhild Jürgens vom Stiftsplatztheater agierten zunächst in einer für ihren einstigen Mitspieler umgeschriebenen Szene von „Unsere kleine Stadt“. Das Stück von Thornton Wilder war 1988 der schauspielerische Startschuss für den heute viel gefragten Tatort-Kommissar aus Dortmund („Wir sind mächtig stolz auf ihn“) und passte bestens zur offiziellen Festveranstaltung der Stadt und zu den Entwicklungen in Herdecke, fielen in der kurzen Aufführung doch Sätze wie „Das sah hier mal anders aus“.
Eintrag ins Goldene Buch der Stadt
Verdutzt reagierte Hartmann auch, als Bürgermeisterin Katja Strauss-Köster ihn gegen 22 Uhr fragte, ob er sich in das Goldene Buch der Stadt eintragen wolle. „Wenn das mal mit der Schauspielerei nicht mehr klappen sollte, dann könntest du eine Moderations-Karriere anstreben“, lobte sie ihren einstigen Schulfreund. Dem war diese „offizielle Nummer doch ein bisschen peinlich“, Hartmann signierte dann aber doch im Beisein von Stiftsdame und Sackträger auf der Bühne.
Damit zu den weiteren Akteuren. Da angesichts leerer Kassen wenig Geld für die Festveranstaltung zur Verfügung stand, traten sowohl Hartmann als auch alle anderen ohne Gage auf. Strauss-Köster, vom Schauspieler als „Äbtissin der Jetzt-Zeit“ angekündigt, betonte in ihren Begrüßungsworten, dass Herdecker bodenständig, zuverlässig, fest verwurzelt und zugleich weltoffen seien, ohne sich selbst zu wichtig zu nehmen. Eine Mischung vieler Komponenten zeichne die Stadt aus, in der es „eine starke Gemeinschaft gibt. Vielen Dank daher auch an die vielen Ehrenamtler.“
Wie etwa Christian Münch, der als Vorsitzender des Heimat- und Verkehrsvereins und laut Hartmann als „Guido Knopp des Ruhrtals“ in zwei kurzweiligen Geschichtsbeiträgen auch ernste Töne anschlug. Wie die Bürgermeisterin zählte er viele Herdecker Institutionen aus Wirtschaft, Kultur, Sport, Gesundheit, Freizeit auf, die teils über Stadtgrenzen hinaus bekannt sind und auf die die Bürger stolz sein könnten. „Egal was kommt, hier wird immer wieder angepackt. Unsere Diskussionskultur kann auch anstrengend sein, zeigt aber, dass es den Leuten nicht egal ist.“
Musikalische Glanzpunkte
Während Münch dazu aufrief, sich weiter mit der Vergangenheit zu beschäftigen, repräsentieren die beiden Gesangstalente Valerie Eickhoff (18 Jahre) und Moritz Ludwig (24) eine hoffnungsvolle Zukunft. Ob solo eine Arie aus Mozarts Hochzeit des Figaro oder „Viva la vida“ von Coldplay oder abschließend im Duett mit „All of me“ von John Legend, das das Publikum von den Stühlen riss: Die beiden Sänger sorgten für die musikalischen Höhepunkte, wobei die anderen Interpreten dem kaum nachstanden.
Dennoch wurde es kein eindimensionaler Abend voller Friede, Freude, Eierkuchen. Hartmann etwa kritisierte offen die Stadtentwicklung und Architektur am Quartier Ruhraue. Ironisch schätzte er das Durchschnittsalter der überwiegend grauhaarigen Gäste auf 31 Jahre, wobei einem in der Stadt ja sonst „die vielen Kinder förmlich entgegen springen“. Auch die zweite Theater-Aufführung nahm Herdecker Eigenschaften aufs Korn. Der Sketch mit Isomatte zeigte, wie seltsam sich Bürger beim Vorverkauf für Karten am Stiftsplatz verhalten. Womit indirekt der Bogen zur 275-Jahr-Feier geschlagen wurde.
Von Herdeckern für Herdecker
Lokalkolorit war Trumpf bei der 275-Jahr-Feier. Viele Herdecker Akteure trugen zu dem abwechslungsreichen Abend bei. Dass dieser deutlich länger dauern würde als geplant, deutete Jörg Hartmann an, als er seinen Moderationsstil mit jenem von Thomas Gottschalk verglich. Der Reihe nach:
Auf dem Weg in den Ruhrfestsaal gingen die Gäste ein paar Meter über einen roten Teppich. Am Eingang boten Stiftsdame und Sackträger den erwartungsfrohen Besuchern ein Begrüßungs-Schnäpschen an. Innen hatte Rosi Reiß, die auch das Bühnenbild mit Fachwerkhäusern und Zwiebel-Rathausturm entwarf, den Saal mit Blumen in Herdecker Stadtfarben fröhlich geschmückt.
Auch Ernst Stippich ging zunächst mit seinem Akkordeon durch die Reihen und unterhielt die Gäste, unter ihnen Bundestags- und Landtagsabgeordnete, der Landrat und Bürgermeister aus den Nachbarstädten. Später sorgte der „Mick Jagger des Sechs-Tage-Rennens“ (Hartmann) dann auf der Bühne für Stimmung mit seiner Schunkel-Musik.
Ein Monat oder ein Jahr?
Unterschiedliche Zeitauffassungen prägten das Gespräch nach der Steeldrum-Aufführung von Schülern aus der Robert-Bonnermann-Schule (unter der Leitung von Jutta Kirchhoff). Ein Viertklässler glaubte, dass er ein Jahr dafür geübt habe, andere sprachen von einem Monat.
So lange hätten manch einer wohl auch dem Tanzensemble der städtischen Musikschule zusehen können, Ballettleiterin Ludmilla Kowalenko und Choreograph Marius Belise trainieren die jungen Damen.
Mehrere Auftritte am Klavier hatte Steffen Pleger. Er begleitete zunächst Abiturientin und Jungstudentin Valerie Eickhoff, die nun vor der Aufnahmeprüfung für ein richtiges Gesangsstudium steht und dank deren Gesang Hartmann sogar ins Quartier Ruhraue ziehen würde, und später Moritz Ludwig. Den Solisten des „Heart-Choir“ aus Wetter animierte Hartmann dann vor der Pause dazu, gemeinsam eine Herdecker Version von „I’ll be there“ zu singen, die Appetit auf das folgende Essen machte.
Wegen des zeitlichen Verzugs um fast eine Stunde ging es dann flott weiter. Dem Dörken-Chor „Delta-Chorios“, den Kirsten Wolke leitet, schickte Hartmann einen zweideutigen Kommentar hinterher: „So kann man also singen, wenn man täglich acht Stunden an Lacken und Farben schnüffelt.“
Zu den drei Stiftsplatztheater-Damen aus dem ersten Sketch gesellten sich dann noch Claudia Neumann und Erika Uffelmann, womit die Zeit für kurze Witze angebrochen war. Kostprobe Hartmanns: „Wo wohnt die Katze? Im Mietz-Haus!“
Cool wie eine Hundeschnauze agierten die preisgekrönten Geigen-Brüder Samuel (11) und Elias (12) Feldmann, die ein Violinen-Allegro von Jena-Marie Leclair und den Song „Fairytale“ kombinierten.
Dank an engagierte Akteure
Bevor Bürgermeisterin Strauss-Köster allen Aktiven herzlich dankte, verwies auch Christian Münch für den Heimat- und Verkehrsverein noch auf das Engagement vieler Ehrenamtlicher. „Herdecker Geschichte zeichnet sich auch dadurch aus, dass Bürger aus dem, was da war, etwas mehr gemacht haben.“ Besser hätte man den Abend kaum zusammenfassen können.
Fazit: Wenn eine Stadt mit einem Tatort-Fernsehstar, aktiven Ehrenamtlichen, talentierten Nachwuchsmusikern und weiteren ambitionierten Künstlern in die Zukunft blicken darf, muss ihr nicht bange werden.