Herdecke. . Der Ein-Frau-Betrieb am Bachplatz: Ines Berger freut sich auch mit 89 Jahren noch über Gäste und Arbeit in ihrem bekannten, wenn nicht gar berühmten Mini-Hotel. Trotz ungeklärter Zukunftsfragen blickt sie gern auf ihr Lebenswerk, das am 1. März 1975 begann.
Oft sind es die kleinen Dinge, die große Wirkung haben. Bestes Beispiel: das Mini-Hotel am Bachplatz in Herdecke. Was am 1. März 1975 mit vielen Unsicherheiten begann, hat sich als wahre Erfolgsgeschichte entpuppt. Deutschlandweit ist diese kleine Übernachtungsmöglichkeit bekannt, die mal im Guinness-Buch der Rekorde stand, zahlreiche Prominente anlockte und auch heute Radfahrer, Pilger sowie viele mehr anzieht. Das Geheimnis dieser liebenswerten Unterkunft ist leicht zu entschlüsseln: Es handelt sich um das Lebenswerk von Ines Berger.
1946 nach Herdecke
In wenigen Wochen wird die Inhaberin des Mini-Hotels 90 Jahre alt. Na und? Dies sei kein Grund, nicht weiter den Gästen aufzuschließen. „Ich mache so lange weiter, wie ich es kann“, sagt Ines Berger, die 1924 in Tübingen geboren wurde und ihren Mann, einen Rechtsanwalt, 1941 in Berlin heiratete. Als dieser dann nach dem Krieg von dem einzigen Haus seiner Familie hörte, das nicht zerbombt war, zog das Ehepaar 1946 mit dem erstgeborenen Sohn nach Herdecke.
Hier am Bachplatz zog Ines Berger auch ihren zweiten Sohn groß, merkte aber, dass ihr im Leben noch etwas fehlte. Zwar gab es nach dem Krieg und im Haushalt genug zu tun, doch als die Kinder auszogen, wuchs der Wunsch nach einer Tätigkeit außerhalb der eigenen Wände. Was aber tun mit Fähigkeiten wie Betten machen oder putzen?
Jahrelang schaute sie von ihrem Haus auf dieses kleine Fachwerk-Gebäude am Bachplatz 18. Dieses „tolle Häuschen“ wollte das Ehepaar Berger kaufen, was sich erst nach dem Tod der älteren Bewohnerin 1974 realisieren ließ. Und in der Zeit kam Ines Berger ein SPD-Rundbrief in die Hand, in dem es u.a. um Sportplätze und Radwege ging. „Zudem stand darauf, dass Herdecke neben Bonsmanns Hof und dem Hotel Jäger ein weiteres Hotel gebrauchen könnte“, erinnert sich die 89-Jährige, wie sie auf die entscheidende Idee in ihrem Leben kam und wie sie sich dadurch auch als Frau aufgewertet fühlte. „Mein Mann war skeptisch und sagte, dass ich das nicht länger als ein Jahr machen würde.“
Nicht ganz. 2015 feiert der Ein-Frau-Betrieb im Mini-Hotel 40-jähriges Jubiläum. Viele Möbel und Gegenstände stehen dort noch wie in der Anfangszeit. „Ich bekam damals Blumen, Silber und Löffelchen für mein Hotel. Stühle habe ich im Wald gefunden. Mit Möbeln aus unserem Haus und der Einrichtung der verstorbenen Dame haben wir das alles gestaltet“, sagt sie beim Blick auf eine alte Kladde. Dort hat Ines Berger, die sich als diszipliniert und ordentlich („Ich mag keine Unordnung“) beschreibt, alle Gäste und viele Erinnerungen notiert. „Die ersten Gäste waren zwei Architekten, darunter Bauführer Holtermann, der das Gemeinschaftskrankenhaus plante.“
Es sollten viele weitere folgen, darunter auch Prominente. Unvergessen ist Ines Berger die Begegnung mit dem Maler Friedensreich Hundertwasser, der mit ihr über das richtige Marmeladen-Angebot am Frühstückstisch diskutieren wollte.
Oder der Besuch von Schmusesänger Roy Black, der im Mini-Hotel TV-tauglich kochen wollte. Da das mangels Platz nicht klappte, zog der Trupp in Bergers Küche in ihrem Wohnhaus gegenüber um. „Ein paar Tage später rief mich meine Freundin aus Barcelona an und sagte mir, dass ein Foto aus unserem Wohnzimmer weltweit zu sehen ist.“
Den emotionalsten Augenblick jedoch bescherte ihr eine australische Pilgerin. Die hatte vor einigen Jahren im eiskalten März nachts alleine im Wald geschlafen, ehe sie zum Mini-Hotel kam. „Sie stand da und hat gesungen. Manches geht einem einfach ans Herz“, so Ines Berger, die sich dann mit Händen und Füßen verständigte. Die dunkelste Zeit durchlebte sie vor einigen Jahren, als die Schicksalsschläge wie der Tod geliebter Menschen nur so auf sie einprasselten. „Als ich dann auch noch einen Schlaganfall hatte und viele sprachlichen Fähigkeiten verlor, hat mich mein Hotel aber wieder aufgerichtet. Das ist wie ein Motor für mich.“
Es dauerte zwar drei Jahre, bis sie wieder Guten Morgen sagen konnte, aber seither kümmert sie sich wieder um den ganzen Mini-Hotel-Betrieb. Regelmäßig bekommt sie etwas Hilfe von einer Frau, doch die Organisation, das Einkaufen, Bettenmachen und Waschen liegt in ihren Händen. „Ich habe keine Zeit für einen Kaffeeklatsch – Gott sei dank.“ Selbst Gäste-Anfragen über das Internet beantwortet sie, auch wenn sie bei dieser modernen Kommunikationsform manchmal etwas Sorge hat, dass sie eine falsche Taste drückt. Unabhängig davon steht aber fest: „Nach 20 Uhr kommt mir niemand mehr ins Haus.“
Ein besonderer Charme des Hauses
Kritik habe es kaum gegeben, zwei Gästen war das Mini-Hotel zu eng, zu klein. Ines Berger aber kommt nur in der Zeit zwischen Dezember und Februar, wenn wenig bis gar nichts los ist, ins Grübeln, ob sich das alles noch lohnt. Doch für März und später trudeln dann wieder Übernachtungs-Wünsche ein, „dann geht es wieder aufwärts. Und mein Sohn aus Freiburg sagt immer zu mir: ‘Schaff weiter, das tut dir gut’! Eine Trennung von meinem Hotel wäre für mich furchtbar.“
Was mal in Zukunft mit dem Hotel passiert, weiß Berger nicht. Eine finanzielle Goldgrube sei es nicht. Es gab mal Interessenten an einer Übernahme, „das kam aber nicht von Herzen“. Sie sei mit Spaß bei der Sache, bereite gerne früh morgens Frühstück für die Gäste zu. Zumal sie bei denen festgestellt hat: „Die Leute kommen zum Teil nervös hier rein, sind aber am nächsten Morgen ganz verändert. Das macht mich wunschlos glücklich.“