Wetter. . Einsteiger-Seminar für angehende Kommunalpolitiker und sachkundige Bürger: Wetters Stadtkämmerer Andreas Wagener kann mit dem trockenen Zahlenwerk einen spannenden Abend gestalten.

Es ist das sprichwörtliche Buch mit sieben Siegeln. Es ist angefüllt mit Zahlen (viele, viele Millionen) und Wörtern wie „Verpflichtungsermächtigung“, „deklaratorische Gründe“ oder „Liquiditätskreditbestand“. Und doch ist die Lektüre erhellend und hilfreich – für Kommunalpolitiker, aber auch für Bürger. Wenn man allerdings Andreas Wagener über dieses 594 Seiten starke Werk sprechen hört, könnte man glatt denken, es geht um James Joyce’ Ulysses – nicht leicht, aber unbedingt lesenswert. Wagener hat das Buch mit dem schlichten und wenig ergreifenden Titel „Entwurf der Haushaltssatzung und des Haushaltsplans 2014“ mit geschrieben. Er ist als Kämmerer der Stadt mitverantwortlich, dass das Geld der Bürger nicht einfach so aus dem Fenster geworfen wird, sondern dass die Bilanz der Kommune stimmt. Verantwortung tragen aber auch Kommunalpolitiker, Ratsmitglieder und – zumindest ein kleines bisschen – sachkundige Bürger, die in den Ausschüssen beratend mitarbeiten.

Nicht nur lesen, auch verstehen

Drei davon sitzen nun im Ratssaal, um sich in die Geheimnisse des Haushalts einweihen zu lassen, an ihrer Seite Ratsneumitglied Norbert Klauke, der für die Grünen in das Stadtparlament eingezogen ist. Ralf Blomberg gehört seit einem Jahr bereits als sachkundiger Bürger dem Umwelt- und Verkehrsausschuss an. Anke und Jörg Jacob sind auf dem Weg, für die CDU in zwei Ausschüssen vertreten zu sein. Auch sie wollen von Andreas Wagener erfahren, wie „man so einen Haushalt richtig liest“, so Jörg Jacob. Seine Frau Anke will nicht nur Lesehilfe, sondern auch wissen, „wie man einen Haushalt bis 2022 fortschreiben kann, wo ich im privaten kaum weiß, was in drei Jahren ist“.

Viel Stoff für Andreas Wagener, doch der im Lehren erfahrene Stadtmitarbeiter beruhigt die Neulinge: „Sie wissen nach drei Stunden nicht alles, aber sie bekommen eine guten Einblick.“ Auf 65 Seiten Präsentation hat Wagener, der neben seiner Arbeit im Rathaus seit 10 Jahren am Südwestfälischen Studieninstitut für kommunale Verwaltung in Hagen lehrt, den Haushalts-Grundkursus zusammengefasst. 65 Seiten, die an diesem Abend eine erste Basis für die kommunalpolitische Karriere der vier Kursteilnehmer bilden.

Dass Wagener sich die Zeit nimmt, ist kein exklusives Angebot für die politisch Engagierten. „Jeder Bürger könnte zu mir kommen und sich den Haushalt erklären lassen“, sagt der Kämmerer. Als die Stadt ihr Rechnungswesen von der Kameralistik auf der Neue Kommunale Finanzmanagement umstellte, war das Interesse groß. „Da haben wir auch einen Saal mit 300 Menschen gefüllt.“ Doch inzwischen lockt das abstrakte Zahlenwerk niemanden mehr.

Einnahmen und Ausgaben

Der Weg von der Kameralistik, dem Buchungssystem, das über Jahrzehnte das kommunale Wirtschaften bestimmte hin zur doppelten Buchführung, wie sie in der Wirtschaft gebräuchlich ist, erklärt Wagener mit einem simplen Beispiel. „Die Kameralistik betrachtete nur Einnahmen und Ausgaben. Ein Auto wurde gekauft, das Geld war weg. Heute dagegen steht der Wert des Wagens als Sachwert in der Bilanz.“ Und nicht nur das Auto, auch städtisches „Vermögen“ wie Straßen und Gebäude werden mit ihrem Wert ausgewiesen. Für den Tag X, aber auch für die Zukunft. „Denn ein Grundprinzip des neuen Finanzmanagements ist die intergenerative Gerechtigkeit“, wie Wagener sagt. Das heißt: Der Bau eines Sportplatzes belastet den kommunalen Haushalt. Auf Grundlage der Kameralistik entschied man über eine Ausgabe, das NKF betrachtet auch die Folgekosten und bindet die Mittel für künftige Haushalte. Für Anke Jacob ist das schon eine Antwort, wie der Blick in die Zukunft funktionieren kann.

So viel zum Überbau – konkret wird es mit einem Blick auf Seite 67 des dicken Wälzers. Hier steht der Ergebnisplan für die Stadt Wetter. Und unterm Strich werden demnach im Jahr 2014 gut 8,5 Millionen Euro mehr ausgegeben als eingenommen. Das, was fehlt, muss aus den Rücklagen beigesteuert werden.

Ausgaben, das sind fassbare Posten. Das neue Dach fürs Rathaus, der Anbau für die Sekundarschule, die Gehälter der städtischen Mitarbeiter. Doch wenn Andreas Wagener dann über Produkte spricht, wähnt man sich in einem Betrieb, der zum Beispiel elektrische Zahnbürsten herstellt. „Unsere Produkte sind Dienstleistungen“, erklärt der Kämmerer. Doch der Begriff fasst noch mehr. Der Haushalt ist gegliedert in Produktbereiche, Produktgruppen und Produkte. „Jede Grundschule ist ein Produkt“, erläutert Wagener. Die Sekundarschule ist seit dem vergangenen Jahr als neues Produkt in den Haushalt aufgenommen. Für Ralf Blomberg eine wichtige Erkenntnis: „Das ist kein starres Konzept, sondern ein Haushalt lebt.“ Und der Haushaltsplan sagt viel über eine Stadt aus, über ihren Status, aber auch über die Ziele für die Zukunft. Es ist ein Planungsinstrument, kein schlichtes Kassenbuch mehr. Als Bettlektüre nicht wirklich geeignet, aber für den interessierten Bürger durchaus zu empfehlen.