Hagen/Witten. . „Zeichnen Sie doch schnell mal ein Haus“, bittet Teake P. Ettema seine Zuhörer. Zufrieden betrachtet er die Ergebnisse: lauter Klassiker. Klein, spitzes Dach, Kamin, eine Tür, drei Fenster. Die Ur-Form. So sieht ein Haus aus, egal ob Kinder oder Greise zeichnen. „Und jetzt betrachten Sie ein Pflegeheim“, spricht der Niederländer weiter. „Wie soll sich darin ein dementer Mensch zurechtfinden oder gar wohl fühlen?“
Das war das Thema bei der Tagung des Dialog- und Transferzentrums Demenz (DZD) der Universität Witten/Herdecke: Was bedeutet Lebensqualität im Zusammenhang mit Demenz? Kann es sie überhaupt geben? Und, wenn ja, wie stellt man sie her? Das Hauptreferat dazu hielt Ettema, gelernter Pfleger, studierter Psychologe, renommierter Wissenschaftler und Manager. Im Publikum beim DZD, das vorhandenes Wissen für Praktiker aufbereitet, saßen eben diese.
Also: Lebensqualität - was ist das? Für jeden etwas anderes. Häufig aber Ähnliches. Wer demente Menschen fragt, was ihnen wichtig ist, was sie froh macht, erhält die gleichen Antworten wie bei Gesunden, berichtet Ettema: Fröhlichkeit und Humor, eine friedliche, gemütliche Umgebung, Beziehungen und Freundschaften, Liebe und Intimität, Leben im Familienkreis, verstanden und akzeptiert werden, Einfluss auf die Umwelt nehmen, fähig sein, anderen zu helfen. Die Sorgen sind dagegen etwas anders: Wo sind alle meine Sachen? Wer kümmert sich um mich? Wo sind meine Eltern?
„Demenz beendet nicht die Möglichkeit, Freundschaften zu schließen, Essen zu genießen, Gefühle zu empfinden“, sagt Ettema. „Demente können also ein gutes Leben haben.“ Selbst in der Endphase, die aber nur jeder siebte Demente erreiche, sei bei entsprechender psychosozialer Betreuung moderate Zufriedenheit möglich.
Vorher geht deutlich mehr - bei entsprechenden Bedingungen. Und die sind um so besser, je mehr das Leben ist wie zu Hause: kleine Einheiten, eigene Möbel, natürlicher Rhythmus. Also: Nicht zu früh aufstehen, nicht zu früh ins Bett, im Rahmen der Möglichkeiten im Haushalt mithelfen, übers Essen beraten. „Wenn man die Küchengerüche wahrnimmt, entsteht Appetit“, berichtet der Pflegeexperte von seinen Erfahrungen. Und: „Wenn Teilnahme ermöglicht wird, kommen Kompetenzen zurück.“ Dann brauche es auch keine speziellen Animationen, ein normaler Tagesablauf genüge. Der Arzt solle eine weißen Kittel tragen und ein Sprechzimmer benutzen. Und immer müsse klar sein: Hier ist das Zuhause der Bewohner, nicht der Pfleger.
Was die leisten müssten, erklärte Ettema: weniger Technik, mehr emotionsorientierte Betreuung. Das heißt: Beziehungen schaffen, Interesse an der Lebensgeschichte nehmen, zuhören, non-verbalen Kontakt pflegen, unterstützen bei Kommunikation mit anderen, Brücken bauen, wenn besuchende Angehörige sich unbehaglich fühlen. „Sie können den Unterschied machen“, appellierte der Wissenschaftler an die Praktiker.
Können sie? Haben sie die Zeit? Wahrscheinlich häufig nicht. Aber dass das Ideal momentan schwer erreichbar ist, muss kein Grund sein, alle Bemühungen einzustellen. Besser geht immer. Eine reiche Umgebung mit vielen Stimulanzien tut gut, mehr Tageslicht, möglichst viel Bewegung, ein Haustier. Das sind Forschungsergebnisse der vergangenen zwei Jahrzehnte, aber selten werden sie Realität.
„Die Erkenntnisse müssen die Menschen besser erreichen“, forderte Uni-Präsident Martin Butzlaff. Es werde viel Grundlagenforschung zu Demenz getrieben, aber sehr wenig getan für die heute Erkrankten, beklagte der Medizin-Professor: „Die Gegenwart droht auf der Strecke zu bleiben.“