Wetter. . Während viele Jugendliche in NRW derzeit ihre Ferien genießen, sind andere eingeschlossen - für einige Tage oder auch bis zu vier Wochen: Sie verbüßen ihren Jugendarrest. Unter anderem in Wetter.
Aleksandra ist ein Mädchen, das man hier vielleicht nicht erwarten würde. Weil sie so nett lächelt, so freundlich und zuvorkommend scheint und einen zuverlässigen Eindruck macht. „Du bist die Ausnahme“, sagt auch Sozialarbeiterin Elisabeth Coerdt. Und doch: Die 18-jährige ist hier, weil ein Gericht fand, dass es genau der richtige Ort für sie ist. Um zu reflektieren, was sie getan hat – aber auch, um für die Zukunft gewarnt zu sein.
Denn Aleksandra hat einem Mann eine Wodka-Flasche so stark vor die Stirn geschlagen, dass er beim Aufprall ohnmächtig wurde. „Ich wollte meinen Ex-Freund verteidigen“, sagt sie. „Gefährliche Körperverletzung“ meinte der Richter. Nun ist die 18-Jährige aus Wuppertal eines von rund 40 Mädchen, die derzeit in der Jugendarrestanstalt in Wetter untergebracht sind. Einige nur für eine Woche, einige für vier Wochen, die meisten, wie Aleksandra, für zwei Wochen.
Zwischen Sozialstunden und einer Jugendstrafe
Die Jugendarrestanstalt in Wetter, die im letzten Jahr 1070 Arreststrafen vollstreckte, verfügt über 31 Plätze. Durch Mehrfachbelegungen – nur mit Einverständnis der Mädchen – kann die Zahl bis zu 46 erhöht werden.
Ein Arrest kann ein Wochenende oder bis zu vier Wochen dauern. Oft werden Jugendliche dort in „Beuge-Arrest“ genommen, weil sie die Sozialstunden nicht erfüllt haben.
Der Jugendarrest ist sozusagen eine „Zwischenstation“ zwischen Sozialstunden, zu denen Jugendliche nach kleineren Delikten verurteilt werden, bis zu Jugendstrafanstalten, wo die Täter mit schwereren Straftaten untergebracht werden.
Der neue Warnschussarrest ermöglicht es, bei Tätern mit „schädlichen Neigungen“ oder wegen der besonderen Schwere der Schuld zusätzlich zu einer Bewährungsstrafe einen bis zu vierwöchigen Arrest in einer Jugendarrestanstalt zu verhängen.
Auch Carina ist eine Ausnahme. Nicht nur, weil sie viel verschlossener ist als die anderen Mädchen, die munter erzählen, warum sie hier sind – und warum sie garantiert nie wieder hierher kommen werden. Carina hört ihnen schweigend zu und schaut sie nachdenklich an. Fast so, als ob sie sich vorstellt: Was die anderen da erzählen, wie optimistisch sie scheinen, welche Zukunftspläne sie hegen, ist weit von ihrer Realität entfernt.
Denn die 19-Jährige aus Duisburg hält einen traurigen Rekord: Das siebte Mal ist sie bereits hier. „Schwerer Diebstahl, Schwarzfahren, Erschleichen von Leistung“, listet sie auf. Und wenn man dann die Sozialstunden nicht antritt, die ein Gericht angeordnet hat, landet man im Beugearrest. In diesem Fall in Wetter – der einzigen Jugendarrestanstalt für Mädchen in NRW.
„Geh zur Schule, geh arbeiten - dann musst du nicht klauen gehen“
Doch auch Carina hat noch Ziele und Träume: von einer Ausbildung zum Maler und Anstreicher etwa. Doch dem steht ihr Asthma entgegen. Und auch, dass sie nur das achte Schuljahr abgeschlossen hat - mit einem Zeugnis voller Sechsen, weil sie nicht mehr im Unterricht war. „Wie bescheuert“, meint Aleksandra kopfschüttelnd. „Geh zur Schule, geh arbeiten, dann hast du Geld. Dann musst du nicht klauen gehen.“ Carina schweigt. Erzählt irgendwann nur stockend davon, dass sie gemobbt wurde, dass sie sich um ihre kranke Mutter kümmern musste, dass sie den falschen Freund hatte, der sie zum Stehlen ausgebildet hat.
Ob künftig alles anders wird, wenn sie wieder zu Hause ist? Ob sie es schafft, dass dieser Arrest der letzte wird? „Jetzt schon“, sagt sie. „Weil ich mich von meinem Ex-Freund getrennt habe. Und weil der mich in den Arsch tritt, dass ich meine Arbeitsstunden mache.“ Angefangen hat sie schon: auf einem Friedhof, Laub fegen auf den Gräbern. Aber sie habe ja auch noch ein paar Auflagen zu erfüllen, merkt Elisabeth Coerdt vorsichtig an. „Therapie gegen Drogen und Spielsucht“, gibt Carina da leise zu.
Ob sie es packen wird, sie und all die anderen Mädchen hier? Mit ihren langen Listen von Diebstahl und Raub, Schwarzfahrerei, Körperverletzung und Drogenmissbrauch? „Die meisten, die hier waren, sind von dem Aufenthalt durchaus geschockt“, sagt die Sozialarbeiterin. „Sie haben danach sehr wohl vor, etwas zu ändern. Der Wille ist da. Ob die Unterstützung draußen reicht, ist etwas anderes.“
Deshalb setzt auch Heinz-Dieter Beckmann, der seit 26 Jahren in dieser Einrichtung arbeitet und sie seit vier Jahren leitet, auf das neue Jugendarrestvollzugsgesetz: weil es den erzieherischen Gedanken in den Vordergrund stelle, Sozialarbeit mehr Bedeutung zumesse und beim Übergang in ein neues, anderes Leben helfen soll.
Und deshalb begrüßt Beckmann auch die neue rot-grüne Regierung in NRW, die schon im Vorgriff auf das neue Gesetz finanzielle Mittel bereithält, die es früher nicht gab. Für eine Mütter- und Sexualberatung durch eine Hebamme beispielsweise. Etwa 15 Prozent der Mädchen, die in dieser Jugendarrestanstalt landen, sind schwanger oder haben ein Kind, manche sogar mehrere. „Die sind 15, 16 oder 17 Jahre alt und wissen gar nicht, was passiert ist, haben noch nie etwas von Mutterpass gehört oder von Vorsorge-Untersuchung“, sagt er.
Auch interessant
Ganz oft biete der Jugendarrest überhaupt erst einmal die Chance, diese Mädchen zu erreichen, mit ihnen in Ruhe zu reden und sie zu beraten. „Viele werden von der Polizei gebracht, haben keinen festen Wohnsitz“, schildert Beckmann. „Hier ist der einzige Zeitraum, wo Jugendmaßnahmen überhaupt greifen können.“
„Ein Alltagsablauf, der mit Zwang zu tun hat“
Was nicht heißt, dass es hier keinen Druck, keine Verbote gibt. Im Gegenteil: „Wir sind als Vorstufe zur Jugendstrafe sinnvoll, weil wir einfach mal einen Alltagsablauf zeigen, der mit Zwang zu tun hat“, sagt Anstaltsleiter Heinz-Dieter Beckmann.
Und zwangsläufig müssen sich die Mädchen auf sich selbst besinnen – weil Handys und iPhones verboten sind, weil sie von Facebook abgeschnitten sind und keinerlei Kontakt zur Außenwelt haben. Und weil sie auf einmal sehen, wie es ist, wenn man allein in einer Zelle eingeschlossen ist, nur dreimal in der Woche duschen und nur alle paar Tage im Gruppenraum für eineinhalb Stunden Fernsehen darf.
Jessica, die 23-Jährige mit der langen Reihe an Schwarzfahrten, hat jedenfalls nach den ersten Tagen schon viel gelernt. „Wer hier ist, hat selbst Schuld“, sagt sie. „Und wenn du keine Scheiße baust, musst du hier nicht rein.“