Wetter/Hagen. Nobamed in Wengern hat die Produktion verlagert. In insgesamt 26 Prozessterminen geht es um die Folgen für die Beschäftigten.
Ist diese Erfolgsgeschichte in Wirklichkeit gar keine mehr? Erst Mitte März wurde die Firma Nobamed von NRW-Wirtschaftsministerin Mona Neubaur gebührend geehrt. Das Medizinprodukte-Unternehmen aus Wetter erhielt das begehrte „Weltmarktführer-Siegel“ für Südwestfalen. Zudem gab es Lob für den „hochinteressanten Arbeitgeber“. Hinter der schönen Fassade sieht es inzwischen düster aus: Nobamed wird seine Produktion in Wengern Ende dieses Monats komplett einstellen und nach Polen auslagern. Insgesamt 13 überwiegend ältere Mitarbeiterinnen wurden entlassen.
Sebastian Danz ist Vorstand der „Paul Danz Aktiengesellschaft“, die seit 2015 unter dem Namen „Nobamed“ firmiert, ihren Sitz an der Höltkenstraße hat, nach eigenen Angaben in 19 Ländern vertreten ist und rund 100 Mitarbeiter beschäftigt. Das mittelständische Unternehmen wurde 1915 gegründet und wird heute in der vierten Generation von der Familie geführt. Der „leistungsstarke Medizinproduktehersteller in Deutschland“ (Eigenwerbung) handelt mit Verbandsstoffen, Pflastern und Watte ebenso wie mit orthopädischen Artikeln und OP-Bekleidung, Masken oder Handschuhen. Mehr als 2400 Medizin- und Hygieneprodukte hat Nobamed im Angebot. „Produziert wird davon in Wetter aber längst nichts mehr, um es ganz klar zu sagen“, erklärte der Gesellschaftsvorstand jetzt vor dem Arbeitsgericht in Hagen. Die letzte Maschine sei bereits verschrottet worden.
Kündigungen zwischen Weihnachten und Silvester
In den vergangenen Monaten war Sebastian Danz bei allen Kammern des Arbeitsgerichts ein regelmäßiger Gast. An 14 Verhandlungen musste er bislang teilnehmen. In den nächsten Wochen kommen weitere Verfahren hinzu, insgesamt 26 Prozesstermine werden es am Ende sein. Denn Nobamed wird verklagt. Die Klägerinnen sind überwiegend langjährig beschäftigte Frauen, die zumeist schon Jahrzehnte in der Produktion von Nobamed arbeiteten und überraschend entlassen wurden. Denn zwei Tage vor Heiligabend hatte das Medizinprodukte-Unternehmen ohne Ankündigung eine Kündigungs-Welle ins Rollen gebracht und zunächst zwölf, am Ende sogar 13 weibliche Fertigungskräfte gekündigt. Die Schreiben trafen allesamt zwischen Weihnachten und Silvester ein, es war kein schöner Jahreswechsel. Die betroffenen Frauen wehren sich inzwischen allesamt mit Kündigungsschutzklagen.
Der Medizinprodukte-Vertreiber beruft sich auf betriebsbedingte Gründe. Zuletzt waren es nur noch sogenannte „Jodoform-Tamponade“, das sind antiseptische Verbandsstoffe, die tatsächlich noch in Wengern gefertigt wurden. Diese stuft die Europäische Medizinprodukte-Verordnung in die „Risikoklasse 3“ ein. Bereits im Jahr 2017 wurden die gesetzlichen Auflagen zur Herstellung der sterilen Mullbinden jedoch dermaßen verschärft, dass sich Nobamed entschieden hätte, die Produktion der Jodoform-Tamponaden aufzugeben. Mehrere rechtliche Übergangsfristen wären bis zuletzt noch ausgenutzt worden. Doch mit dem 24. Mai 2024 würde die Möglichkeit, nach altem Standard zu produzieren, endgültig enden. „Aufgrund wirtschaftlicher Erwägungen wurde keine neue Zertifizierung beantragt“, so die Nobamed-Anwältin.
Letztlich seien „aus unternehmerischer Entscheidung heraus“ die fristgerechte Kündigungen ausgesprochen worden. Für die 13 betroffenen Arbeiterinnen bedeutete das: zum 30. Juni würden sie arbeitslos. Die meisten von ihnen hätten aber noch mehrere Jahre, bevor sie in Rente gehen könnten. Außerdem, das hatte Nobamed bereits in den Güteterminen vor Gericht deutlich erklärt, würden keinerlei Abfindungen gezahlt. Im Monat Juni wären die entlassenen Frauen bereits bei voller Bezahlung von der Arbeit freigestellt, damit solle dann auch alles abgegolten sein. Darauf wollten sich die Betroffenen nicht einlassen. Alle Gütetermine platzten.
Zähes Ringen um Vergleich
Am Mittwoch standen nun die ersten beiden Kammertermine an. Verhandelt wurde vor unter Vorsitz von Richter Fabian Wißner. Anwältin fast aller entlassenen Klägerinnen ist Eva Geier aus Witten. Die Entscheidung des Nobamed-Vorstands, den Produktionsort von Wetter nach Polen zu verlegen, wurde zum Thema. In Wengern sei noch die Verwaltung, auch würden dort noch „gelegentliche Um- und Beipacktätigkeiten durchgeführt“, aber von einer Fertigung könne keine Rede mehr sein, hieß es. Und: In der Firma gäbe es keinen Betriebsrat.
Die erste Klägerin, 63 Jahre alt, war 20 Jahre lang in der Fertigung bei Nobamed beschäftigt, sie verdiente monatlich 2200 Euro (brutto). Nach zähem Ringen schlossen die Parteien hier einen Vergleich: Sie wird ab Juni freigestellt, bekommt noch weitere fünf Monate ihren Lohn weiterbezahlt sowie 10.350 Euro Abfindung.
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Die zweite Klägerin ist 61 Jahre alt, war jedoch erst seit fünf Jahren bei Nobamed beschäftigt und verdiente gut 2000 Euro brutto. Auch in diesem Fall kam letztlich ein Vergleich zustande: Sie wird für einen Monat bei Lohnfortzahlung freigestellt und erhält eine Regelabfindung in Höhe von 5000 Euro.
Nach Abschluss des Verfahrens wollte die erste Klägerin ihrem ehemaligen Chef noch ihre Meinung sagen: Sie sei nach 20 Jahren Beschäftigungszeit sehr wütend. Nobamed hätte bereits seit 2017 gewusst, dass sich die Gesetzeslage verschärfen wird, aber erst kurz vor 2024 darauf reagiert. Die Kündigung habe sie wie ein Blitz aus heiterem Himmel getroffen: „So geht man nicht mit langjährigen Mitarbeitern um“, beschimpfte sie den Nobamed-Vorstand auf dem Gerichtsflur. Sebastian Danz reagierte abweisend kühl: „Wir sind jetzt geschiedene Parteien.“