Witten/Herdecke/Hattingen. Zu viele Hunde, kein Platz: Die Zwinger sind voll. Heimleiterin Kirsten Simon schildert dramatische Zustände.
„Zu viele Schnauzen für zu wenig Hände“: Die Tierheime mahnen in einem Brandbrief an die Bundesregierung: „Wir sind am Ende!“. Auch das Tierheim Witten, Wetter und Herdecke, das auch für Fundtiere in Hattingen zuständig ist, ist am Limit. Hundezwinger sind voll. Listen mit Familien, die ihre Tiere abgeben möchten und müssen auch. Fälle der Sicherstellungen verwahrloster oder misshandelter Hundenehmen zu. Platz für die Vierbeiner ist aber keiner. „Dieses Problem hat sich schon lange aufgestaut“, sagt Kirsten Simon, Leiterin der Einrichtung an der Wetterstraße. „Ich habe kommen sehen, dass uns das mal um die Ohren fliegt.“
Schwere Fälle von Tiermisshandlung
Die Heimleiterin greift zu dem blauen Ordner auf dem Schreibtisch. Er ist voll. Voller Seiten und Namen von Privatleuten, die ihre Hunde abgeben müssen und auf einen Platz im Tierheim warten. 40 bis 45 Tiere seien es aktuell. „Teilweise warten die Halter schon seit einem Jahr“, betont Kirsten Simon. Viele warten verzweifelt. Und ihnen und den Tieren möchte Kirsten Simon gerne helfen. Aber sie kann es nicht. Zu viele Hunde werden abgegeben, aufgegriffen, sichergestellt. Wer sich auf der Facebook-Seite des Tierheims durch die Beiträge scrollt, erfährt von schweren Fällen der Tiermisshandlung, von Hunden wie Schäferhund Dries aus Hattingen, der nur per Not-Operation gerettet werden konnte (wir berichteten) oder von Max, der mit festgezurrten Kabelbindern am Hals aufgegriffen wurde. „Diese Fälle nehmen zu“, weiß Kirsten Simon. Mittlerweile sei etwa jede zweite Sicherstellung ein schwerer Fall. Und selbst für diese Tiere ist im Heim manchmal kein Zwinger frei.
Herdenschutzhund auf Balkon gehalten
Veterinärämter aus ganz NRW, manchmal auch aus ganz Deutschland, rufen auf der Suche nach einer Unterbringungsmöglichkeit bei Kirsten Simon an. Und immer wieder muss die Heimleiterin auch „Nein“ sagen. „Das ist auch für mich keine wirklich schöne Situation“, sagt sie und gibt ein Beispiel der vergangenen Wochen. In Wuppertal wurde ein Herdenschutzhund auf einem Balkon gehalten. Das Veterinäramt war informiert. Bürgerinnen und Bürger alarmiert. Eine Sicherstellung geplant. „Aber kein Tierheim hatte Platz“, weiß Kirsten Simon. Also musste die Hündin bei ihrem Halter bleiben. „Das Amt sah sich in den sozialen Medien schon Anfeindungen ausgesetzt“, erzählt die Leiterin. Schließlich habe es nach außen hin so ausgesehen, als würde nichts unternommen. Dabei sollte das Tier sichergestellt werden. „Aber wohin mit dem Hund, wenn alle Tierheime voll sind?“, fragt Kirsten Simon, die betont, dass sie und ihr Team „super mit Veterinärämtern, Ordnungsämtern und Polizei zusammenarbeiten“.
Illegale Welpenmafia
Mittlerweile konnte die Herdenschutzhündin in der Einrichtung an der Wetterstraße aufgenommen werden. Zig andere Vierbeiner haben nicht das Glück. Die Anzahl an Hunden, die einen Tierheimplatz brauchten, „steige stetig“, heißt es in dem Brandbrief. „Wir brechen unter der Last der in Not geratenen Tiere zusammen“. Doch wie konnte es so weit kommen? Die Liste der Gründe ist laut Kirsten Simon lang. „Es ist die illegale Welpenmafia, es sind Menschen, die nicht mehr nachdenken und sich zum Beispiel einen Herdenschutzhund holen, um ihn in Wuppertal auf dem Balkon zu halten“, beginnt sie aufzuzählen. In ihrer Stimme schwingt Unverständnis mit. Vielleicht auch ein wenig Resignation. „Und es sind leider auch einige Tierschutzvereine, die Hunde herüberholen, aber gar nicht die Kapazitäten haben, sie im Fall der Fälle auch wieder zurückzunehmen. Auch diese Tiere landen dann bei uns.“
Keine kurzfristige Lösung in Sicht
Von unkontrolliertem Handel, übermäßigen Import von Hunden aus dem Ausland, von fehlenden Reglementierungen für Zuchtverbände und mangelnde Sachkunde bei Hundehaltern ist auch in dem gemeinsamen Appell der Tierheime die Rede. Hinzu kämen der Fachkräftemangel, der auch die Tierheime erreicht sowie veraltete Finanzierungsmodelle. „Es ist einfach die ganze Summe dieser Missstände“, so Kirsten Simon. Eine kurzfristige Lösung der Probleme sieht sie nicht. „Man müsste massiv Platz schaffen. Dafür braucht man Grundstücke. Und Geld. Und Personal, das die Tiere versorgt.“ Kirsten Simon schweigt kurz. „Ich weiß nicht, wie das mal eben zu lösen ist.“
Riskante Situation
Dass eine Lösung her muss, ist klar. Denn was passiert, wenn Hunde nicht mehr aufgenommen werden können? Wenn Ämter misshandelte Tiere nicht mehr unterbringen können? Wenn Hunde in den Händen von Haltern verbleiben, die aus den unterschiedlichen Gründen nicht mit ihnen umgehen können? „Das ist ein Risiko“, sagt Kirsten Simon. „Ich habe Angst, dass irgendwann richtig was passiert. Und damit ist keinem geholfen.“