Wetter/Herdecke. Antibiotische Säfte für Kinder oder auch Blutdruckmittel: Der anhaltende Arzneimittelmangel trifft auch Apotheken in Wetter und Herdecke hart.
Weiß auf Rot leuchtet der Protest den Kunden der Feen-Apotheke in Wetter entgegen: „Lieferengpässe: Wir hängen uns rein. Die Regierung lässt uns hängen“, steht da auf einem Plakat am Eingang. Die Türen von Apotheken blieben in den letzten Wochen deutschlandweit schon mal geschlossen – auch in Wetter und Herdecke. Zuletzt Mitte November. Der Frust in der Branche ist groß. Der Mangel an Medikamenten auch. „Es ist ein Desaster. Wir können Patienten nicht mehr versorgen“, sagt Michael Mahl. Für den Vorsitzenden der Bezirksgruppe Ennepe-Ruhr des Apothekerverbands Westfalen-Lippe ist die Situation „dramatisch“. Und: „Mittlerweile muss man sagen: Es wird gerade bedrohlich.“
„Schlimmer als vorher“
Bedrohlich, weil die Regale und Lager der Apotheken immer leerer und die Listen mit fehlenden Medikamenten immer länger werden. Eine Entwicklung, die auch für Ulrich Maaßen nicht neu ist. Bereits im vergangenen Winter machten sich die Lieferengpässe deutlich bemerkbar und Medikamente blieben aus. „Wenn man ehrlich ist, ist es jetzt noch schlimmer als vorher. Und der Winter hat gerade erst angefangen“, sagt der Apotheker, der in Wetter an zwei Standorten vertreten ist und eine solche Situation in seiner Selbstständigkeit noch nicht erlebt hat. „Also in rund 20 Jahren nicht“, so Maaßen. 450 Medikamente hat der Apotheker zurzeit nicht vorrätig. Darunter sind mittlerweile auch Basismedikamente wie Arzneien gegen zu hohen Blutdruck oder Cholesterinsenker.
Auch antibiotische Säfte für Kinder fehlen in den Regalen. „Aktuell habe ich einen Saft mit einer Dosierung für ältere Kinder da“, erklärt Ulrich Maaßen. „Mehr habe ich nicht und mehr kriege ich auch nicht mehr.“ Es sei schon sehr frustrierend, wenn man in einer Nacht während des Notdienstes fünf Eltern oder Väter mit kranken Kindern ohne Medikament wieder wegschicken muss. Oder wenn Kunden erzählen, dass sie 30 Apotheken abgeklappert haben, um dann mit etwas Glück schließlich doch das verschriebene Medikament zu bekommen. Er und sein Team greifen darum immer häufiger zum Hörer, um mit den Ärzten zu telefonieren. „Gemeinsam versuchen wir dann, einen Ausgleich mit anderen Dosierungen oder auch anderen Wirkstoffen zu finden“, macht Maaßen deutlich.
Auch Cholesterinsenker nicht verfügbar
Solche Telefonate mit Ärzten kennt Jolanda Böhner nur zu gut. „Das ist mittlerweile Teil unserer Arbeit geworden“, erzählt die Inhaberin der Bismarck-Apotheke in Herdecke. So wie Lieferengpässe und leere Regale auch. „Einfacher Penicillin-Saft war monatelang nicht verfügbar“, sagt Böhner, die zurzeit ein paar Flaschen der Medizin in den Schubladen hat. „Aber schon jetzt ist es wieder nicht lieferbar.“ 200 Medikamente habe sie aktuell nicht da. Auch ein Cholesterinsenker, der normalerweise in vier Wirkstärken vorrätig sein sollte, ist zurzeit nur in zwei Stärken zu haben. „Auch da gibt es Probleme“, betont die Apothekerin, die so etwas in ihrer 29-jährigen Laufbahn „noch nicht erlebt“ hat. Ihre Zuversicht möchte Jolanda Böhner trotzdem nicht verlieren. „Ich bin Optimistin. Irgendwie gibt es eine Lösung. Immer.“ Sie macht eine kurze Pause. „Das muss sein.“
Fünf-Punkte-Plan gegen den Mangel
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach sieht eine Lösung in einem Fünf-Punkte-Plan gegen den Medikamentenmangel, den er Mitte September vorstellte. Zukünftig soll mit Pharmaunternehmen für Kinderarzneimittel der Austausch regelmäßiger Situationsanalysen vereinbart werden. Verschreibungen von Medikamenten sollen sparsam und evidenzbasiert passieren, Hamsterkäufe vermieden werden. Sogenannte Festbeträge „bleiben bei den dringlichen Kinderarzneimitteln weiter ausgesetzt“, heißt es in einem weiteren Punkt.
Gerade diese festen Preise sind es auch, die Lieferschwierigkeiten noch verschärfen können. „Zu diesen Preisen ist Medizin nicht mehr zu haben“, betont Ulrich Maaßen. Andere Länder, die keine Festpreise hätten, hätten auch keine solchen Lieferengpässe. „Bei keinem Land in Europa ist es so schlimm wie bei uns“, schätzt auch Michael Mahl. Die Aussage des Bundesgesundheitsministers, dass „wir deutlich besser aufgestellt sind als im letzten Jahr“, teilt er nicht. „Wir müssen Patienten weiterschicken, wir wechseln Wirkstoffe oder stückeln die Dosierungen zusammen“, so der Bezirksvorsitzende. „Das zieht sich durch alle Gruppen. Und es betrifft mittlerweile alle.“
Vorerst keine weitere Schließung
Noch bis Ende November machen Apotheken in ganz Deutschland mit Protesttagen auf Lieferengpässe und Apothekensterben aufmerksam. Mitte November blieben auch die Apotheken von Ulrich Maaßen und Jolanda Böhner geschlossen. „Mindestens 95 Prozent der Apotheken im Bezirk Ennepe-Ruhr haben sich beteiligt“, weiß Michael Mahr. Für die nächsten Wochen seien keine weiteren Protest-Schließungen geplant. „Wir müssen erst einmal schauen, dass die Menschen über Weihnachten versorgt sind und durch die Winter- und Erkältungszeit kommen.“