Wetter/Herdecke. Gabrielle Nagel hilft Vogelbabys. Doch entgegen der allgemeinen Meinung ist es nicht in erster Linie Futter, das Küken zum Überleben brauchen.
Seit sie denken kann, schlägt ihr Herz für Tiere. Da wundert es nicht, dass Gabrielle Nagel sich nach dem Abitur an der Ruhr-Uni in Bochum für ein Biologiestudium eingeschrieben hat. Seit einem Jahr widmet sich die 22-Jährige mit großem Engagement einer weiteren, sehr zeitintensiven Aufgabe: Sie rettet Vogelküken. Was das bedeutet, welche Rolle dabei Daniela Disselnkötter spielt und wie groß die Unterstützung durch Mutter Janet Nagel und die ganze Familie ist, darüber hat Gabrielle Nagel mit der Lokalredaktion gesprochen.
Haben Sie immer schon eine Beziehung zu Tieren gehabt?
Ja. Ich habe schon als Kind Käfer gesammelt und Regenwürmer gewaschen. Das sollte ich zwar nicht, aber ich fand es wohl gut.
Wie entstand der Kontakt zu Daniela Disselnkötter? Die Herdeckerin kümmert sich bereits seit zehn Jahren um aus dem Nest gefallene Küken oder kranke Vögel, hat inzwischen ein großes Netzwerk von Helfern aufgebaut und gibt ihr Wissen auch in Vorträgen weiter.
Bei uns war immer eine große Gruppe an Staren am Vogelhäuschen. Eines Tages ist einer gegen die Fensterscheibe geflogen. Wir waren ahnungslos, wussten nicht, was wir tun sollen und sind mit dem Vogel zum Tierarzt. Aber der war nicht spezialisiert und konnte nicht wirklich helfen. Erst über unseren Nachbarn, Michael Reiffert vom Naturschutzbund Ennepe-Ruhr, sind wir zu Daniela Disselnkötter gekommen. Der Star hat sich trotz Beinbruchs erholt und ist zurück in die Natur. Aber diese Begegnung hat mein Interesse geweckt.
Wann und wie haben Sie den ersten Vogel allein gerettet?
Ich habe viel von Daniela Disselnkötter gelernt und auch zwei Volieren bekommen. Seit Frühling 2022 unterstütze ich die Vogelrettung allein bzw. mit meiner Familie. Der erste Vogel war ein Spatz, den mir eine Familie mit Kind brachte. Wir waren ziemlich aufgeregt, aber Daniela hat mich kurz an das Allerwichtigste erinnert – und das ist Wärme. Die Küken brauchen weder Wasser noch Futter, aber sie dürfen nicht auskühlen. Egal ob mit einem elektrischen Heizkissen oder einer Wärmflasche, ob man sie anhaucht oder unters T-Shirt an den Körper hält – Wärme ist die Erste Hilfe, die sie benötigen. Inzwischen hat meine Mutter sich zum 60. Geburtstag sogar einen Inkubator schenken lassen, in dem wir die Vögelchen wärmen können.
Also Futter ist erstmal nicht wichtig?
Nein, nicht sofort. Viele Menschen machen den Fehler, dass sie direkt Toast oder Ei geben. Aber sie müssen erstmal gewärmt werden, und erst dann füttern wir sie mit Insekten wie zum Beispiel Drohnenbrut, Heimchen, Pinkis, Soldatenfliegenlarven und anderen, die wir vom Insektenhändler bekommen. Wir fahren dafür extra nach Unna.
Frau Disselnkötter, ist diese Insektennahrung für Küken teuer?
Daniela Disselnkötter: Das ist sie eindeutig. Man kann sich das nicht vorstellen. Ein kleiner Singvogel vom Finden bis zur Wiederauswilderung kostet um die 50 Euro, größere Vögel entsprechend mehr. Schwalben etwa haben einen Schlund, der ist unersättlich. Das geht dann schnell in die Tausende. Aber die Futterkosten übernimmt jetzt schon im zweiten Jahr der Nabu Ennepe-Ruhr.
Ansonsten ist Ihr Einsatz aber komplett ehrenamtlich?
Daniela Disselnkötter: Ja. Manche Menschen denken allerdings, dass wir fürs Retten der Tiere Geld bekommen. Aber wenn wir von sechs Uhr morgens bis neun Uhr abends füttern, ist das alles ehrenamtlich. Manchmal gehen wir dabei an unser Limit. Wenn man noch einen Job hat, ist das nicht einfach, was wir da zwei bis drei Monate im Jahr leisten. Im ersten Lockdown, als alle Menschen zuhause waren, haben sie so viele Vögel gefunden, dass ich bis zu 80 zuhause hatte. Da bin ich selbst kaum zum Essen gekommen. Aber inzwischen werde ich stark entlastet durch Familie Nagel.
Was benötigen die Küken noch außer dem Futter, Frau Nagel?
Gabrielle Nagel: Sie brauchen Kalzium und Vitamine. Drei Wochen lang brauchen sie zudem die perfekte Mineralienzufuhr für ihre Knochen und ihr Gefieder, das sie vor Wärme und Kälte schützt und das sie zum Fliegen brauchen. Deshalb ist es so schwer, sie richtig aufzupäppeln.
Was muss man noch beim Aufpäppeln der kleinen Vögel bedenken?
Man darf nicht mit ihnen kuscheln. Uns hat mal ein Mann eine Singdrossel gebracht, die er wie ein Baby behandelt hatte. Dadurch war der Vogel fehlgeprägt und hatte seine Scheu vor dem Menschen verloren, dabei diese wichtig für sein weiteres Leben in Freiheit.
Wie viele Jungvögel betreuen Sie im Moment?
Insgesamt etwa 35, davon sind schon 15 in den Volieren. Die Nestlinge sind in den Körbchen, die Ästlinge kommen in Boxen, und wenn sie dann selbstständig fressen können, kommen sie in die Volieren. Dort können sie die Wildvögel beobachten, normale Geräusche hören, sich an den Tag-und-Nacht-Rhythmus gewöhnen und werden so auf das Leben in Freiheit vorbereitet.
Welchen Rat geben Sie Menschen, die einen Vogel finden?
Wenn ein Vogel am Boden hockt und nicht so schnell weglaufen kann, dass man ihn einfangen kann, ist er in Not und jedem Feind ausgeliefert. Man sollte ihn eine Zeit lang beobachten, ob nicht die Eltern in der Nähe sind und dann direkt bei Daniela Disselnkötter anrufen. Sie kann die Situation auch anhand eines Fotos von dem Tier meist sofort einschätzen und Hilfe koordinieren. Und wir bitten auch jeden, der ein Küken findet, uns das Tier zu bringen. Letztens mussten wir nach Witten fahren, um einen Vogel abzuholen. Das wird für uns schwierig; denn zur Zeit füttern wir alle 20 Minuten von morgens bis zum Sonnenuntergang.
Wer ein oder mehrere Küken oder einen verletzten Vogel findet, möge sich für eine erste Beratung bei Daniela Disselnkötter melden unter Telefon 0163/8766664.