Wetter/Herdecke. Nadine Höckelmann vom VIA-Beratungszentrum für Wetter und Herdecke weiß, ab wann Medienkonsum zur Gefahr werden kann. Und sie hat Tipps

Immer mehr Menschen haben immer häufiger ihr Handy in der Hand. Ab wann ist das zu viel für den Umgang in der echten Welt und auch für die eigene Gesundheit? Nadine Höckelmann vom Via Beratungszentrum der Awo für Wetter und Herdecke ist Spezialistin für Medienkonsum. Neue Angebote des Beratungszentrums sind eine Reaktion auf das verstärkte Unwohlsein beim Dauergriff zu Handy oder PC-Tastatur.

Sie haben Anfang des Jahres eine Offene Mediensprechstunde eingeführt. Was hat zu dem Neuangebot geführt?

Länger schon bieten wir einmal im Monat eine Schulsprechstunde an. Vor allem da haben wir bei den Schülerinnen und Schülern in den letzten eineinhalb, zwei Jahren gemerkt, dass der eigene Medienkonsum am Handy oder PC Thema ist. Sicherlich ist das auch coronabedingt. Freizeitaktivitäten sind weggefallen, soziale Kontakte waren schwieriger, es gab Einschränkungen im Umgang. Das hat zu mehr Medienkonsum von Jugendlichen und jungen Erwachsenen geführt. Der Weg zurück in die Realität ist nun für Einige schwierig. Aktuell kommen aber auch gerade Eltern in unsere Suchtberatungsstelle.

Wer ist bislang zur Offenen Mediensprechstunde gekommen?

Meist sind es Angehörige, die eine erste Abschätzung suchen: Ist das noch altersgerechter Medienkonsum oder ist das schon so viel, dass auch mit Folgen zu rechnen ist? Neben gesundheitlichen Auswirkungen durch den Bewegungsmangel, gibt es auch noch die psychosozialen Auswirkungen, wenn etwa Schule oder Freizeitaktivitäten vernachlässigt werden und der Vorrang des Konsums mehr und mehr steigt.

Wo ist die Grenze zum ungesunden Medienverhalten überschritten?

An Nutzungszeiten allein ist das nicht auszumachen. Es wird ungünstig und ungesund, wenn es zu Kontrollverlusten kommt, wenn Start, Häufigkeit und das Ende zunehmend nicht mehr im Blick sind.

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Das gilt auch, wenn wegen Social Media auf dem Handy oder Computer-Spielen Aktivitäten zunehmend an Bedeutung verlieren, die vorher wichtig waren. Weitere Anzeichen sind zunehmend schlechtere Schulnoten, schlechte Laune oder sogar depressives Verhalten. Wenn der Alltag fremdbestimmt vom Medienkonsum ist.

Wie weit gehen die gesundheitlichen Folgen?

Konzentrationsstörungen sind ein Klassiker auch in Schulen oder bei der Arbeit, Schlafstörungen ebenso. Adipositas ist zu nennen, aber teilweise auch Untergewicht weil über dem Spielen das Essen vernachlässigt wird, Rückenschmerzen, Haltungsschäden. Phobien können hinzu kommen: Je mehr ich mich in der virtuellen Welt bewege, desto schwieriger wird es für mich in der realen Welt.

An welchem Punkt sagen Betroffene: Ich brauche Hilfe?

Das fängt da an, wo ich mir Gedanken oder Sorgen zu meinem Handyverhalten mache und mich frage, ist das jetzt zu viel oder noch nicht. Auch wenn schon Versuche der Reduzierung des Medienkonsums gescheitert sind. Manchmal hat es ja auch schon Rückmeldungen aus dem Elternhaus, dem Freundeskreis oder von Kolleginnen und Kollegen gegeben. Da setzt die Mediensprechstunde mit unverbindlicher Beratung an.

Wie kann man sich selbst in die Pflicht nehmen?

Die ersten Ansätze dazu bei uns klingen super-simpel, haben sich aber als effektiv herausgestellt: Wir raten zu einem Konsumtagebuch oder die Nutzung entsprechender Apps für die Bewusstmachung der Konsumzeiten oder der Nutzung entsprechender Apps. Hilfreich sind aber auch Fragen nach dem Kontakt in der Familie oder zum Freizeitverhalten. Manche stellen dann fest, dass sie schon ewig nicht mehr Laufen waren und geben dann solchen Aktivitäten wieder mehr Raum.

Wie glaubhaft können heutzutage Eltern noch helfen?

Vorbild sein ist wichtig, vielleicht auch, indem ich als Elternteil selbst mal die Mediensprechstunde aufsuche oder mich frage, auf welcher Seite der Grenze das eigene Verhalten steht. Wichtig ist, dass für alle die gleichen Regeln gelten wie etwa: Beim Essen haben Handys auf dem Tisch nichts zu suchen.

Für Kinder von heute sind Smartphones selbstverständlich. Gibt es in deren Generation überhaupt noch jemanden, der sich „gesund“ verhält?

Ich glaube schon. In der Schulsprechstunde erlebe ich immer wieder reflektierte Schülerinnen und Schüler, die total gut auf sich achten oder Ideen und Tipps annehmen. Smartphones sind nicht mehr wegzudenken. Es gilt, den richtigen Umgang damit zu lernen. Viel Zeit am Handy ist nicht gleich bedeutend mit ungesund, so lange ich ausreichend andere Aktivitäten nebenher habe.

Gibt es Menschen, die innerhalb einer Gruppe über ihr Medienverhalten reden wollen?

Ich würde es mir für unser neues Angebot wünschen. Das Schöne an der Gruppe ist, dass man sich mit anderen Betroffenen austauschen kann. In der Schulsprechstunde erlebe ich es oft, dass die Schülerinnen und Schüler in Kleingruppen kommen, weil sie spüren, dass sie das gleiche Problem haben. Das ist dann schon der erste Schritt zur gegenseitigen Unterstützung und Motivation.

Wöchentlich offene Sprechstunde

Seit Anfang des Jahres bietet das Via Beratungszentrum der Awo jeden Dienstag von 16 bis 17 Uhr eine offene Mediensprechstunde in der Bismarckstraße 32 in Wetter an. Ansprechpartnerin ist Nadine Höckelmann.

Das Angebot richtet sich an alle, die viel Zeit vor dem Handy oder PC verbringen – etwa mit Games, Social Media, Streaming, Onlinepornografie sowie Online-Kaufsucht und andere Verpflichtungen und Freizeitaktivitäten hierüber vernachlässigen.

Die offene Sprechstunde bietet die Möglichkeit, sich ohne vorherige Terminvereinbarung zu einem gesunden Medienverhalten beraten zu lassen. Auch Eltern und Angehörige sind zu einem vertraulichen Gespräch willkommen. Zeitnah soll auch eine Mediengruppe aufgebaut werden.

Bei Interesse: 02335 91830