Wetter. Der letzte Tag des Monats ist ihr letzter Arbeitstag. Ursula Zimmer, Leiterin des GSG in Wetter, geht in den Ruhestand. Das denkt sie über Schule

Abiturfeiern waren ihr immer besonders wichtig, weil es auch um einen Abschied ging. Nun verabschiedet sich Ursula Zimmer selbst vom Geschwister-Scholl-Gymnasium: Mit Beginn des neuen Schulhalbjahres geht die 65-Jährige in den Ruhestand. Lehrerin ist ihr Traumberuf. Daran haben auch die letzten achteinhalb Jahre in Wetter nichts geändert.

Wie viele Zeugnisse haben Sie zum Halbjahresende unterschrieben?

Ungefähr 750.

Wie lange braucht man dafür?

Maximal anderthalb bis zwei Stunden. Da bin ich ganz froh, dass ich keinen Doppelnamen haben.

War’s dieses Mal mit einem anderen Gefühl?

Ja, das war jetzt das letzte Mal. Auch in den Zeugniskonferenzen war das so. Ich bereite mich stets gut vor. Da fallen einem alle Schüler auf, die besonders gut sind, die gerade besonders schwach sind oder die man selber mal unterrichtet hat. Dann mache ich mir Notizen, denn in einem halben Jahr sind ja wieder Zeugniskonferenzen. Mir ist klar geworden: In einem halben Jahr blätterst du nicht mehr zurück.

Es gibt immer neue Studien zur Schule. Wo drückt der Schuh besonders?

Wir sind an dieser Schule sehr gut ausgestattet mit Lehrkräften. Aber die Anforderungen an Lehrkräfte sind ganz andere geworden. Die Konzentration auf das Kerngeschäft Unterricht geht ein wenig verloren, weil zu viele Aufgaben drum herum sind. Man dokumentiert ohne Ende. Es gibt viel mehr Beratungsbedarf bei Schülerinnen und Schülern. Der ist durch Corona noch mal größer geworden. Auch Eltern wollen schneller Rückmeldungen haben. Alles aufschreiben, alles nachhalten - das ist eine ziemliche Belastung für die Kollegen.

Zum Amtsantritt haben Sie gesagt: „Ich wollte immer auch gestalten“...

Der Spielraum dafür ist nicht riesengroß. Es geht meist um die Dinge, die an einen heran getragen werden und wo ich sage: Das unterstütze ich. An unserer Schule ist das vor allem der Musikbereich. Aber auch Kunst oder Sport sollten einen ganz großen Rahmen haben. Und dann geht es mir um Kinder, die eigentlich immer einen Anreiz mehr haben müssten. Deshalb kümmert sich jetzt ein Kollege extra um alle Wettbewerbe, wo man ja mehr machen kann als andere.

Sie wollten Mannschaftsspielerin sein - geht das als Direktorin?

Ja. Wir haben immer absolut im Team gearbeitet. Das gilt für meinen Stellvertreter wie auch für die Koordinatorinnen in der erweiterten Schulleitung. Wir sitzen jede Woche hier am Tisch. Da wird alles besprochen. Dann kann ich die aber auch machen lassen.

Machen die Eltern mehr Druck, was Noten oder Studienfähigkeit angeht?

Dieser Druck auf Schule ist gestiegen und hat dazu geführt, dass man mehr erklären muss, auch die Notengebung. In nur wenigen Fällen kommt es dann zu einem Gegeneinander. Ich habe immer das Gespräch gesucht und gemerkt: Die Eltern haben auch nicht immer unrecht. Der Versuch, nach vorne zu schauen hat meistens funktioniert.

Derzeit gibt es einen gigantischen Fachkräftemangel. Stärkt das die Zuversicht, dass „Ihre“ Kinder ihren Weg machen werden?

Wir haben ja auch Schüler, die nicht oben ankommen beim Abitur. Da kann man jetzt wieder sagen: Die finden Ausbildungsstellen, wenn sie es möchten. Oder sie gehen den Weg übers Berufskolleg. Und die, die nicht das Einser-Abitur machen, bekommen auch einen Studienplatz. Die Chancen sind derzeit sehr gut. Man weiß natürlich nicht, wie das bei denen aussehen wird, die jetzt in der Unterstufe sind.

Es wird immer komplizierter in vielen Handwerksberufen. Gleichzeitig fehlen immer mehr Menschen in diesen Berufen. Bereitet Gymnasium mittlerweile mehr auf Alternativen zum Studium vor?

Das Ziel ist natürlich Abitur und die Vorbereitung aufs Hochschulstudium. Aber es gibt eine Studien- und Berufswahlvorbereitung. Die fängt in Klasse 8 mit der Potenzialanalyse und der Berufsfelderkundung an. Im Trend ist jedenfalls das Duale Studium. Da hast du einen Job, eine betriebliche Ausbildung, bekommst Geld - und studierst. Wir vermitteln auch: Es ist zunehmend offen, wer demnächst mehr verdient, der Akademiker oder der Handwerker.

Wie groß ist der Anteil an der Integration? Sind Kinder aus Familien mit türkischen Wurzeln mittlerweile repräsentativ vertreten oder schaffen es nur einzelne?

Wir haben eine ganze Menge Schülerinnen und Schüler mit türkischer oder iranischer Herkunft. Vielfach sind die hier geboren, und die Herkunft merkt man im Schulalltag gar nicht mehr. Die laufen ganz normal mit. Es gibt aber immer Kinder, die es auch schwerer haben, dann etwa, wenn beim Elterngespräch die Mutter noch gar nicht richtig Deutsch kann. Beim Gymnasium als Halbtagsschule muss man erwarten, dass Eltern immer mal bei den Hausaufgaben gucken und unterstützen.

Wie weit hat Corona die Digitalisierung befördert - und wie sehr ist man danach schon wieder zurück gefallen?

Bei uns hat das für einen ziemlich großen Schub gesorgt. Vorher hieß es immer: Das Gebäude wird ja saniert, und dann kommt die große Verkabelung. Auf einmal standen wir da und wollten Video-Unterricht machen. Die Stadt hat viel investiert. Da waren wir auch gut, das sage ich mal ganz selbstbewusst. Das funktioniert auch weiterhin und geht voran. Die Kollegen haben alle ein Dienst-iPad und arbeiten damit im Unterricht, und wir haben mit Its-Learning eine Super-Lernplattform. So was fährt man nicht mehr zurück.

Unterricht schon in Zeiten, in denen Kinder nachweislich nicht sonderlich aufnahmefähig sind, eine Taktung auf 45 Minuten und vornehmlich am Vormittag – was ist davon schon anders geworden und wie sollte eine „Schule der Zukunft“ aussehen?

Wir am GSG haben ganz konsequent 90-Minuten-Stunden. Man kann viel ruhiger und viel differenzierter arbeiten, hat mehr Zeit für das einzelne Kind. Man müsste aber mit Sicherheit versuchen, noch mehr Dinge von außerhalb ins Schulleben hinein zu bringen. Vielleicht hätten wir noch mehr geschafft, wenn nicht Corona gekommen wäre.

Wenn Sie – bildlich – den Schlüssel am Ende ihres Schultages umgedreht haben, welche Rückzugsräume hat es für Sie gegeben?

Ich liebe Musik. Beim Klavierfestival Ruhr bin ich über viele Jahre ein regelmäßiger Besucher gewesen. Ich treibe Sport. Zweimal die Woche bin ich im Fitnessstudio seit den 80er Jahren schon. Ich wandere gerne. Wenn ich meinen Sohn zehn Kilometer mit dem Rollstuhl durch die Gegend geschoben habe, dann weiß ich, was ich getan habe.

Beunruhigt Sie das Wort „Ruhestand“?

Ich freue mich darauf, ein bisschen in den Tag hinein zu leben, spontane Sachen zu machen. Ich bin Vorsitzende der Lebenshilfe Hattingen mit zwei Wohnstätten und 70 Mitarbeitern - da bin ich durchaus eingespannt. Was ich aber nicht machen möchte, auch wenn es mir ein guter Freund nahegelegt hat, das ist Schwimmunterricht erteilen. Oder Lesepate werden. Das sind alles schöne Sachen, aber nicht in diesem Jahr. Ich möchte nicht schon wieder zu festgelegten Zeiten irgendwo sein müssen.

Ihr Fazit?

Ich wollte nie etwas anderes werden als Lehrerin. Ich würde das wieder machen, auch wenn der Beruf schwerer geworden ist. Mir war immer wichtig, dass man auf das einzelne Kind guckt, dass man schaut, was müssen wir jetzt tun, um diesem Kind zu helfen. Das begabte Kind, das von zuhause unterstützt wird, ist ja nicht die Kunst. Die Kunst ist das Kind, das Schwierigkeiten hat, weil Unterstützung fehlt. Das Bewusstsein: Dann soll er eben abgehen - das kann ich gar nicht haben. Es ist schon spannend zu sehen, wenn hier Zehnjährige ankommen, manchmal total neugierig oder verschüchtert. In der Mittelstufe haben sie vielleicht den totalen Durchhänger. Wenn die hinterher ihr Abi machen - dann kannst du die beruhigt gehen lassen.