Herdecke. Hochwasser-Jahrestag: Der Herdecker Bach zerstörte im Juli 2021 auch das Allianz-Versicherungsbüro. Die besondere Perspektive vom Ehepaar Wuntke.

Eigentlich sollten sich Versicherungs-Vertreter bei Hochwasserschäden um ihre Kunden und deren Sorgen kümmern. Dem kamen Tanja und Alexander Wuntke von der Allianz in den vergangenen Monaten auch nach. Doch das Ehepaar, das in seinem Herdecker Büro zwei Mitarbeiterinnen beschäftigt, blickt aus gleich drei Perspektiven auf die Katastrophe vom 14. und 15. Juli 2021.

Zunächst ein kurzer Abstecher in die Privatsphäre der Wuntkes. Denn rund drei Wochen vor der großen Flut in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz sorgte ein lokales Unwetter im Juni 2021 für einen beträchtlichen Wasserschaden in ihrem Wohnhaus in Schalksmühle. Mitte Juli dann die berufliche Fortsetzung in Herdecke.

Erst optimistisch, dann geduldig

Am hiesigen Bachplatz 2, wo sie seit 2013 die bekannte Versicherungs-Agentur in Herdecke leiten, zerstörten die Wellen und der Schlamm die gesamte Büro-Einrichtung im Erdgeschoss des schönen Fachwerkgebäudes. „Wir dachten vor einem Jahr, dass wir Ende 2021 oder im Januar mit unserer Agentur hier wieder einziehen können“, sagen die Eheleute rückblickend. Ein klassischer Fall von „denkste“.

Aufwändige Rettung

Für Herdeckes Freiwillige Feuerwehr stellte sich der Bachplatz am Abend des 14. Juli 2021 als aufwändiger Einsatzschwerpunkt heraus.

Wegen der sehr starken Strömung des Herdeckes Bachs konnten 41 Anwohner die Häuser nicht mehr allein verlassen. Strömungsretter brachten zwei Bürger, die brusthoch im schnell fließenden Wasser standen, ebenso in Sicherheit wie 25 Personen und einen Säugling. Vier Jugendliche und eine bettlägerige Frau plus Ehemann kamen im Schlauchboot der Wehr ins Trockene. Von der Neuen Bachstraße aus wurden acht Menschen per Drehleiter und tragbaren Leitern aus Wohnungen gerettet.

Zwei der geretteten Menschen aus dem Bachviertel kamen unterkühlt und leicht verletzt in ein Krankenhaus.

Den Abend und die Nacht des Unglückstags verbrachte das Paar unterschiedlich. Tanja Wuntke schloss das Büro, das sich neben dem Herdecker Bach befindet, am 14. Juli gegen 18.30 Uhr ab. Alles ruhig. „Ich habe aber angesichts der Wetterberichte und Meldungen aus Hagen überlegt, Sandsäcke zu besorgen“, so die Allianz-Vertreterin. Als sich die Situation dann im Laufe des Abends zuspitzte, kam sie wegen gesperrter Zufahrtsstraßen nicht mehr in die Stadt an den Ruhrseen. „Mir schoss dann durch den Kopf: Okay, wir haben alle Laptops mitgenommen und so die Kundendaten gesichert. Kurze Zeit später habe ich direkt nachgeguckt, wer von möglichen Betroffenen im Umfeld eine Elementar-Versicherung hat und habe diese Leute informiert.“ Fast 90 Prozent ihrer Herdecker und Hagener Klientel, die der hiesigen Allianz dann tatsächlich Überschwemmungs-Schäden meldeten, waren demnach abgesichert.

Sprachlos beim „Wahnsinn“

Alexander Wuntke sah vor Ort, wie der Herdecker Bach abends das schöne Viertel flutete. Nach der Rückkehr von einem Termin in Witten stand er mit Nachbarn in erhöhter Position und „war sprachlos, wie rasend schnell es ging. Das war der Wahnsinn. Da kam auch kein Gedanke auf, noch ins Büro zu gehen und etwas zu retten.“ Er verbrachte die Nacht im Zweibrücker Hof. „Da gehen einem viele Gedanken durch den Kopf, zum Beispiel: Wie sieht es wohl am nächsten Morgen aus?“

Tanja und Alexander Wuntke konnten ihr damals geflutetes Versicherungs-Büro (Allianz) bis Juni 2022 nicht nutzen
Tanja und Alexander Wuntke konnten ihr damals geflutetes Versicherungs-Büro (Allianz) bis Juni 2022 nicht nutzen © Steffen Gerber

Klar war am 15. Juli 2021: Alles raus aus dem Versicherungs-Büro. Gummistiefel besorgen, Schlamm wegschippen, entsorgen. „Das war wie ein Kampf gegen Windmühlen“, so Alexander Wuntke. „In Erinnerung habe ich auch noch den starken Geruch von Öl.“

Einziger Vorteil: Wegen des Schadens im Privatkeller konnten die Eheleute dort die noch brauchbaren Gegenstände vom Bachplatz in ihrem leergeräumten Untergeschoss lagern. Während beide dann auch Kunden in Herdecke besuchten, reifte der Plan: Nach dem Großreinemachen am folgenden Wochenende mit Freunden kurz darauf wieder die Agentur am Bachplatz eröffnen.

Doch das geschah erst kürzlich am 10. Juni 2022. „Endlich.“ Die Sanierung dauerte erheblich länger als gehofft. Die Stadt Herdecke bot bei der Suche nach einem Übergangsdomizil Hilfe an. Nach einigen Wochen Homeoffice richteten die Wuntkes für sich und ihre zwei Mitarbeiterinnen („Die haben in der ganzen Zeit toll mitgezogen“) Mitte September ein kleines Büro in der Fußgängerzone ein. „In der Hauptstraße 52 war nur Platz für zwei Schreibtische, wir mussten über Monate viel improvisieren, wollten aber hier vor Ort präsent bleiben.“ Im Januar und Februar 2022 erreichten sie dort dann viele Anfragen wegen Sturmschäden. Ein erneuter Gruß vom Klimawandel. „Zudem wollten wir unsere Kunden wegen Anliegen zur Flut eng begleiten“, so Tanja Wuntke.

Rückkehr erst Mitte Juni 2022

Fest stand nach dem ersten Schock frühzeitig: Da die Allianz seit rund 40 Jahren ihre Anlaufstelle am Herdecker Bachplatz hat, wollten die Wuntkes wieder dorthin zurück. Auch wegen der schönen, familiären Atmosphäre. Und weil sie erst 2018 das Erdgeschoss renoviert hatten. Und langfristig bleiben wollen. Die „zuvor unvorstellbaren“ Bilder vom 14. und 15. Juli 2021 seien am Jahrestag immer noch präsent, doch beim Blick ins Ahrtal relativiere sich für die Eheleute manches. „Es bleibt aber ein Gefühl der Angst im Zusammenhang mit Wetterkapriolen, daher erklären wir noch intensiver als zuvor den Vorteil von Elementar-Versicherungen.“

Letzte Frage des Reporters: Waren Sie hier am Herdecker Bachplatz eigentlich selbst gut versichert? „Ja“, antworten die Wuntkes und lächeln vielsagend.