Herdecke. Kurz vor Weihnachten hat Bettina Bothe als neue Beigeordnete in Herdecke angefangen. Die Gevelsbergerin freut sich auf kreative Spielräume.

Kurz vor Weihnachten hat Bettina Bothe als Beigeordnete für Schule, Kultur, Sport sowie Jugend und Soziales die Nachfolge von Dieter Joachimi angetreten. Was hat sie bisher gemacht? Was bringt sie mit? Wo will sie Weichen stellen? Ein Gespräch über Privates und das Kreative in der Verwaltung.

Sie waren mehr 35 Jahre als Beamtin bei der Stadt Gevelsberg tätig, zuletzt als stellvertretende Fachbereichsleitung Bildung, Jugend und Soziales. Wieso haben Sie damals für diesen Lebensweg entschieden?

Bettina Bothe: Eigentlich wollte ich ganz etwas anderes machen. Das ist ja oft so. Ich wollte Medizin studieren. Aber in dieser Zeit gab es eine Medizinerschwemme, und mein Schnitt reichte nicht aus. Also habe ich versucht, zur Überbrückung eine Ausbildung in der Krankenpflege zu finden. Aber die Abiturienten sind nicht genommen worden. Meine Eltern konnten mich damals finanziell nicht so lange unterstützen. So habe ich alternativ ein paar Bewerbungen für den öffentlichen Bereich – Kommunen, Sparkassen – geschrieben und bin dann bei der Heimatstadt genommen worden. Im Rückblick haben mir die Bereiche am meisten Spaß gemacht, in denen ich relativ frei arbeiten, kreativ sein konnte.

Wo sind diese Bereiche bei einer Stadt zu finden?

Sie sind tatsächlich auch in der Verwaltung zu finden, wenn auch nicht unbedingt auf den ersten Blick. Wo ich komplett frei agieren konnte, war die Zeit, als ich in Gevelsberg das Gebäude-Management aufgebaut habe. Das kam so 2000/2001 überall auf. Da ging es darum, die Gebäudewirtschaft neu zu strukturieren und alle Akteure mal an den Tisch zu bekommen. Es wurden neue Wege gegangen, neue Kommunikationsstrukturen mussten gefunden werden. Man musste anders auf die Menschen innerhalb der Verwaltung zugehen. Das war eine hochspannende Zeit. Tatsächlich war der Bereich Schulverwaltung, Kultur und Sport, wo ich dann auch noch lange Jahre war, ebenfalls kreativ. Klar gibt es in der Schulverwaltung die gesetzlichen Grundlagen, aber das Zwischenspiel unter den Akteuren im Schulleben, darunter ganz viele Ehrenamtliche, ist genauso wichtig. Zuständig war ich zudem für die in Gevelsberg sehr lebendigen Städtepartnerschaften.

Wie war die Entwicklung? Zuwachs an Spielraum oder doch eher Enge durch Finanznot?

Ich glaube, es ist von Beidem etwas dabei. Für Gevelsberg war es ein Glück, dass die Stadt bei den freiwilligen Leistungen das Heft in der Hand behalten hat. Kommunen, die dagegen unter die Haushaltssicherung fallen, müssen den Gürtel enger schnallen. Ich denke da nur an die Diskussion über die Musikschule hier in Herdecke. Bücherei oder Freibad sind Einrichtungen, die den Mehrwert einer Stadt ausmachen, aber sehr viel Arbeitskraft binden. Wenn man sich dann dafür entscheidet, werden meist die Schrauben bei den Personalkosten angezogen.

Wieso haben Sie sich entschieden, nach Herdecke zu gehen?

Das ist noch einmal eine ganz andere Herausforderung. 35 Jahre in einer Stadt – da hat man viele enge Verbindungen, Freundschaften geschlossen. Mir ist es schon unheimlich schwer gefallen, nach so einer langen Zeit zu gehen. Und trotzdem habe ich mich inhaltlich auf den Weg gemacht und gesagt: Du hast jetzt doch noch mal zehn Jahre in deinem Arbeitsleben. Irgendwie möchtest du doch noch mal mehr gestalten können. Hier kann ich das Kreative jetzt noch einmal mehr leben.

Sie sind ehrenamtlich in Gevelsberg seit Jahren aktiv, bleiben Sie Gevelsberg erhalten?

Natürlich. Dort ist mein Lebensmittelpunkt. Neben meiner Familie war ich auch in meiner Freizeit immer dort aktiv. Engagiert habe ich mich früher bei der Evangelischen Kirche in der Jugendarbeit und im Chor und jetzt im Verschönerungsverein Gevelsberg.

Es gab keine „Residenzpflicht“?

Tatsächlich stand das in der Stellenausschreibung. Aber ich habe schon in meiner Bewerbung geschrieben, ich wohne in einem Drei-Generationen-Haus, und das verbindet stark. Das ist ein Mehrwert in unserem Leben: Meine Eltern haben uns in jungen Jahren unterstützt, auch mit den Kindern, dass ich berufstätig sein konnte. Und jetzt geben wir das wieder zurück.

Wie viel von den Erfahrungen in Gevelsberg lässt sich bei der Lösung von Problemen übertragen?

Ich glaube, dass man viel bewegen kann, wenn man den Menschen offen gegenüber tritt, dass man jedem die Möglichkeit gibt, neu anzufangen und vor allem die Dinge aus vielen Blickwinkeln zu betrachten. Mir lag immer am Herzen, einzelne Puzzle-Teile zu erkennen und diese dann zusammen zu setzen. Das ist eine Grundeinstellung, die mich prägt. Das heißt nicht, dass man immer alles lösen kann, auch nicht zur Zufriedenheit aller. Abstriche und Kompromisse sind nötig.

Wie viel länger dauert es bei Corona, in einer neuen Verwaltung anzukommen?

Die ersten Tage bin ich hier gut durch die Lande geschickt worden, habe alle Schulen noch besucht. Im Schulbereich bin ich daher mittlerweile ganz gut angekommen, auch weil da gerade Vieles diskutiert wird. Im Wuselnest und im Jugendzentrum Fachwerk war ich mittlerweile auch. Ich habe die theoretische Möglichkeit, vieles hier kennen zu lernen. Es wird aber noch eine ganze Weile dauern, das Leben dazu kennen zu lernen.

Wenn schon nicht als Vorwegnahme in der Sache, dann beim Vorgehen: Wie könnte der Beitrag der Verwaltung beim schwierigen Versuch sein, mit weniger Gebäuden besser klar zu kommen?

Unser Beitrag ist der Weg, den wir gerade bereit sind zu gehen, nämlich Gespräche zu führen mit den verschiedenen Akteuren, mit Schulleitungen erst einmal allein, dann aber auch intensiv mit Politik – um alle Akteure an einen Tisch zu holen. Wir werden das Step by Step bearbeiten und wo immer nötig neue Akteure hinzuziehen. Ich glaube, dass wir da auf einen guten Weg sind, der wahrscheinlich auch gar nicht mit so vielen Einschränkungen verbunden sein wird. Durch den sachlichen Austausch ist vieles noch in Bewegung. Mein Vorteil in dem ganzen Prozess ist, dass ich unvoreingenommen an die ganze Sache gehe.

Wie sieht’s aus im Sozialen – produziert Corona mehr Hilfebedarf?

Zunächst kommt Corona bei uns an, wenn Aufgaben vom Kreis auf uns als Kommune übertragen werden. Beim Thema Impfen für Menschen ab 80 Jahren war Verwaltung ja auch eingebunden. Da war natürlich das Sozialamt mit der Pflegeberatung Ansprechpartner für die Senioren. Auch die Versorgung mit Masken muss neu gedacht werden. Wir kriegen das alles hin, aber irgendwann ist auch hier in der Verwaltung die Belastungsgrenze erreicht. Die Kolleginnen und Kollegen laufen seit einem Jahr auf Hochtouren. Und bei den Menschen? Ich glaube, dass wir im Sozialen und im Jugendbereich ein Mehr an Arbeit haben werden. Später. In welche Richtung das gehen wird, lässt sich noch gar nicht sagen.

Sie sind auch Beigeordnete für Kultur – waren Sie schon mal bei Veranstaltungen in Herdecke zu Gast?

Kultur ist ja auch Natur. Ich habe es mir gegönnt, bevor ich hier angefangen bin, mir Herdecke durch das Wandern zu erschließen. Ich hatte noch drei Wochen Urlaub. In dem habe ich mir jeden Ortsteil für mich alleine erschlossen, bin durch die Straßen gewandert, war an den Aussichtspunkten. Bei der allerersten Wanderung habe ich es sogar geschafft, eine Führung im Koepchenwerk zu ergattern. Früher war ich schon öfter auf der anderen Seite des Hengsteysees: Dort lag das Segelboot meiner Schwiegereltern.