Herdecke/Köln. Polizei im Quartier Ruhraue: Die Razzia gegen Verdächtige im Kindesmissbrauch-Komplex Bergisch Gladbach führte Fahnder am Dienstag nach Herdecke.

Verwundert nahmen Passanten, die am Dienstagmorgen am Quartier Ruhraue spazieren gingen, die vielen Polizeiwagen am Kreisel Ruhrstraße/Mühlenstraße wahr. Im Laufe des Tages stellte sich heraus: Dabei handelte es sich um einen Einsatzort während einer deutschlandweiten Großrazzia. Anlass: der Verdacht auf Besitz und Verbreitung kinderpornografischer Inhalte im Zusammenhang mit dem Missbrauchskomplex Bergisch Gladbach.

Eine Spur führte die Fahnder offensichtlich nach Herdecke. Die Polizei im Ennepe-Ruhr-Kreis bestätigte auf Anfrage der Lokalredaktion, dass die hiesige Behörde im Vorfeld informiert worden sei. „Wir haben den Einsatz auch mit einigen unserer Kräfte unterstützt“, so die Sprecherin der EN-Polizei, Sonja Wever. „Mehr können wir zu dem Sachverhalt nicht bekannt geben.“

Mehrt als 1000 Beamte im Einsatz

Am frühen Nachmittag erläuterten zwei Behörden-Vertreter in Köln die Hintergründe. Die zuständige Staatsanwaltschaft und dortige Polizei teilten mit, dass Einsatzkräfte nach gerichtlichen Beschlüssen in zahlreichen Bundesländern am Dienstagmorgen Wohnungen von 65 Tatverdächtigen durchsuchten. Mehr als 1000 Beamte seien aktiv gewesen, um – ähnlich wie Anfang September 2020 – Materialien sowie vor allem elektronische Datenträger sicherzustellen. Waren es damals 50 Beschuldigte, stieg die Anzahl nun den Angaben zufolge auf 63 Männer und zwei Frauen.

Michael Esser, Leiter der Besonderen Aufbauorganisation (BAO) „Berg“ der Kölner Polizei, und Oberstaatsanwalt Markus Hartmann gingen bei der Pressekonferenz nicht auf Herdecker oder andere konkrete Aspekte ein. Dafür aber auf Entwicklungen in Nordrhein-Westfalen: Nach Chat-Auswertungen auf Internet-Plattformen waren am frühen Dienstag rund 500 Polizisten und auch Spezialkräfte unterwegs, um bei 21 NRW-Durchsuchungen 16 Tatverdächtigen auf die Schliche zu kommen. „Wir wollen das Leid von Kindern schnellstmöglich beenden. Dafür nutzen wir alle uns zur Verfügung stehenden Techniken. Die Täter sollen wissen, dass wir alle Register ziehen“, sagte Esser. Tenor: Wer sich kinderpornografische Videos anschaue oder herunterlade, müsse wissen, dass gefilmte Mädchen und Jungen schlimmen Qualen ausgesetzt seien.

Am 26. Januar wiederum habe es keinen Haftbefehl an den Einsatzorten gegeben, da Hinweise auf aktive Missbrauchtäter ausblieben und niemand befreit werden musste. In einem Fall sei ein 13-jähriges Kind in die Obhut eines Jugendamtes wegen „unklarer Wohn- und Familienbeziehungen“ gekommen.

52 Kinder befreit

15 Monate ermittle die BAO Berg nun schon im Zusammenhang mit Vorfällen rund um Bergisch Gladbach. „Wir haben auch jetzt wieder die richtigen Tatverdächtigen identifiziert“, meinte Esser. Eine Erklärung dafür lieferte der Staatsanwalt: In Sachen Kinderpornografie kooperieren mittlerweile viele Internet-Anbieter mit den Behörden. „Die Zusammenarbeit ist gut und informativ“, sagte Hartmann und nannte eine Abteilung von Microsoft als Beispiel für das Miteinander, um Straftaten aufklären zu können.

Laut Polizei konnten im Zusammenhang mit den Bergisch-Gladbach-Verdächtigungen bisher 52 Kinder vom Leid befreit werden, anhängig seien sieben Gerichtsverfahren im europäischen Ausland. Die Kölner Behörde habe insgesamt 330 Beschuldigte registriert. Sieben Personen sitzen demnach derzeit in U-Haft. Nach elf Anklagen bisher gab es zehn Urteile, zwei davon rechtskräftig.

52 Kinder befreit

Polizei und Staatsanwaltschaft Köln betonten am Dienstag, dass die Erkenntnisse noch nicht vollständig seien. Die Einsatzkräfte haben demnach am 26. Januar mehr als 1000 Asservaten sichergestellt. Neben elektronischen Datenträgern, die zum Teil in „äußerst kreativen Verstecken“ aufbewahrt wurden, fanden die Ermittler demnach auch Sex- und Kinderspielzeug.

NRW-Innenminister lobt Einsatzbeteiligte

Nordrhein-Westfalens Innenminister Herbert Reul (CDU) hat nach den Durchsuchungen gegen Kinderpornografie am Dienstag den Polizisten „für ihren hochprofessionellen und hochkomplexen Einsatz“ gedankt. „Wir dürfen auf keinen Fall nachlassen, uns für die Kinder einzusetzen“, sagte Reul. Die Pädokriminellen in Deutschland und im europäischen Ausland „sollen wissen, dass wir ihnen auf den Fersen sind“.

„Ein Tatverdächtiger wollte fliehen“, sagte Kriminaldirektor Michael Esser und erwähnte noch Zufallsfunde: Bei zwei Beschuldigten ohne Waffenbesitzschein fand die Polizei Pistolen und Munition.

Am 1. September 2020 hatte die Polizei in zwölf Bundesländern mit rund 1000 Einsatzkräften 60 Anschriften von rund 50 Beschuldigten durchsucht und umfangreiches Beweismaterial sichergestellt. Bei der Razzia jetzt am Dienstag ermittelten die Fahnder in Wohnungen in Nordrhein-Westfalen (u.a. Her­decke), Schleswig-Holstein, Sachsen, Bayern, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz, Hessen, Baden-Württemberg, Brandenburg und Berlin.

Den Beschuldigten werden Besitz und Verbreitung kinderpornografischer Inhalte vorgeworfen. Bei einer Verurteilung könne es – je nach Schwere des Delikts – sowohl Haft- als auch Geldstrafen geben.