Herdecke. Die Arbeit von Jens Plümpe hat sich gewandelt. Für den Einsatz Künstlicher Intelligenz sieht der Anwalt aus Herdecke aber klare Grenzen.

Computer werden immer schlauer. Auch bei den Juristen hat das zu Veränderungen bei der Arbeit geführt. Müssen sie fürchten, von der Künstlichen Intelligenz (KI) überholt zu werden? Fachanwalt Jens Plümpe aus Herdecke bleibt da gelassen.

Aktuell zickt Ihr PC. Welche Hilfe durch die Technik ist dadurch nicht zugänglich?

Jens Plümpe: Wir haben eine Anwalts-Software, was mittlerweile auch gang und gäbe ist. Die enthält Textbausteine und auch Formatierungen. Zwangsvollstreckungsaufträge beispielsweise sind formalisiert. Der Gesetzgeber hilft einem da aufs Pferd, indem er Formulare vorgibt, bei denen nur das im jeweiligen Fall Besondere zu ergänzen ist. Was wir hier in unserer Kanzlei noch nicht haben, ist die automatische Spracherkennung beim Diktieren. Die Software lernt dabei, denjenigen besser zu verstehen, der sie nutzt. Das ist fast wie Künstliche Intelligenz – die Maschine optimiert sich selbst.

Wo greifen Sie bei der Recherche als Anwalt auf Datenbanken zurück?

In meinem Studium gab es solche Hilfsmittel noch nicht. Irgendwann habe ich überhaupt erst mal angefangen, Hausarbeiten mit dem Computer statt mit elektrischen Schreibmaschinen zu schreiben. Rückblickend ist es für mich unfassbar, wie schnell die Entwicklung in den letzten knapp 30 Jahren gewesen ist. Als Jurist hatte man früher nur gedruckte Nachschlagewerke wie etwa Kommentare. Auch Zeitschriften und Urteilssammlung wurden eingebunden und aufgestellt. Man hat sich dann juristisch gefragt, wie die Lösung ist oder sein könnte, und hat dann nachgeblättert, was schon entschieden worden ist. Heute greifen wir alle auf Datenbanken, auf bezahlten Content, zurück. Aber es gibt auch viel kostenlosen Inhalt im Netz. Manchmal muss man nur Doktor Google fragen – und der Computer schmeißt die Vorschrift raus, die man sonst mehr oder weniger mühsam hätte suchen müssen. Und: Es ist heute natürlich viel einfacher, ganz viele Entscheidungen ganz schnell aufzurufen.

Ist das für Ihren Berufsstand eine Bedrohung, dass die Beratungsangebot auch von Maschinen zunehmend besser werden und Rechtsanwälte weniger gefragt sein könnten?

Die Gefahr sehe ich nur als ganz schwache an. Gerade wenn die Menschen sich ganz allgemein im Internet bewegen, findet man dort ganz viel Schrott. Der Schwachpunkt auf der Suche nach guten Auskünften im Internet liegt meist auch schon in der Fragestellung. Oft muss ich in der persönlichen Beratung meinen Gesprächspartnern sagen: So, wie Sie die Frage stellen, kommen Sie nicht zu dem Ergebnis, das Sie benötigen. Künstliche Intelligenz kann nicht die Qualität der Frage ersetzen und auch nicht die Beratung für das möglicherweise beste Ziel für den Mandanten.

Augenblicklich wird ja stark daran gearbeitet, dass Künstliche Intelligenz den Sinn von Fragen erfasst. Das lässt die Menschen aber noch nicht die richtigen Fragen stellen?

So sehe ich das. Die Menschen sind nun mal juristische Laien. Wenn ich zum Arzt gehe, klage ich ja auch nur, mein Knie tut weh. Was es dann genau ist, soll mir der Arzt sagen. Übrigens: Kein Anwalt verdient üblicherweise sein Geld überwiegend damit, dass er die Menschen berät, sondern damit, dass er die Rechtsangelegenheit auch übernimmt und erledigt.

Gibt es Bereiche, für die Sie sich eine automatisierte Beratung, aber auch Abwicklung, eher anbietet als beim Insolvenzrecht?

Sicherlich das Verkehrsrecht. Da ist vieles standardisiert. Für das Reiserecht gilt das auch.

Kann man den eigenen Kindern noch ruhigen Gewissens empfehlen, Jura zu studieren?

Allgemein würde ich sagen: Lass es lieber sein! Sonst bist du an das Gebiet deiner Jurisdiktion gebunden. Ich kann jetzt zum Beispiel schlecht nach Neuseeland auswandern. Da ist der Bedarf an deutschen Juristen sehr gering. Werde lieber Klempner, wenn du dein Leben einfach auch mal woanders verbringen möchtest. Und: Es gibt per se schon arg viele Anwälte, so sehe ich das jedenfalls. Ich glaube aber auch nicht, dass der Anwaltsberuf und auch nicht der des Richters wegen KI untergehen werden. Das hat viel damit zu tun, dass Lebenssachverhalte typischerweise immer mehrdimensional sind. Das liegt auch an den vielen unbestimmten Rechtsbegriffen: Fahrlässigkeit, pflichtwidrig, gemeingefährlich – wie will ein Algorithmus solche Wertungen tatsächlich klären? Und eins kann KI ganz sicher nicht: Den Sachverhalt überhaupt erst einmal klären!

Die Maschinen müssen mit juristischen Informationen gefüttert werden. Ist das auch ein zusätzliches Arbeitsfeld für Juristen?

Dieses neue Arbeitsfeld hat sich bereits längst entwickelt. Die Unternehmen, die bezahlte Inhalte anbieten, die kopieren ja nicht nur einfach Urteile oder Fachaufsätze. Die Entscheidungen und alles andere muss erst einmal einsortiert, auf seine Relevanz und Zuordnung hin überprüft werden. Es gibt jetzt schon viele Volljuristen, die nichts anderes machen als Entscheidungen und Weiteres auswerten. Es gibt übrigens auch neue Aufgabenfelder für Juristen wegen KI: Zum Beispiel stellt sich die Frage, wer für Schäden haftet, wenn Künstliche Intelligenz Fehler gemacht hat.

Die Anwälte setzen mehr auf Künstliche Intelligenz, die Richter sicherlich auch – am Ende siegt dann der, der den besseren Rechner hat?

Nicht der, der den besseren Rechner hat, aber der, der den Rechner besser einsetzt. Estland beabsichtigt, Rechtsstreitigkeiten bis zu einem Gegenstandswert von 7000 Euro demnächst nicht mehr durch menschliche Richter entscheiden zu lassen. Es soll zumindest der Versuch gemacht werden, das durch eine Maschine entscheiden zu lassen. Das ist für mich schon sehr, sehr spannend. Ich könnte mir allerdings vorstellen, dass zunächst immer mal noch ein Richter oder eine Richterin über das von der Maschine gefundene Ergebnis drüber schaut.

Für den menschlichen Kopf bleibt also neben der Künstlichen Intelligenz immer noch genügend Platz?

Das glaube ich tatsächlich. Sie können einen Sachverhalt gar nicht so genau beschreiben, dass am Ende eine Maschine entscheidet. Also etwa so wie bei einem Trichter: Oben alles rein und unten kommt dann das Richtige raus. Da bin ich mir sehr sicher: Das Leben ist so bunt und so vielfältig. Deshalb sagen ich und auch viele andere immer: Jeder Fall ist anders. Und das lernt man auch an der Universität: Vertraue nicht dem ersten Gefühl oder Impuls, dass dein Fall doch genauso ist wie der Fall, den der Bundesgerichtshof gerade entschieden hat. Man muss da genau hinsehen.