Wetter. Kronen, Brücken, Prothesen fertigten Zahntechniker früher komplett von Hand. Heute übernehmen Computer und Maschinen 40 Prozent der Arbeit.

Wenn es um Hochpräzisionshandwerk geht, sind Christian und Pamela kaum zu schlagen. Von Menschenhand jedenfalls nicht. Auch nicht von der eines Meisters. Christian und Pamela sind CNC-gesteuerte Fräsmaschinen und Teil der digitalen Arbeitswelt von Jörg Marquardt. Auch deswegen haben der Zahntechnikermeister aus Wetter und sein Team den Maschinen Namen gegeben. „Christian war zuerst da und trägt den Namen des Supports aus Südtirol, der uns viel geholfen hat, wenn die Maschine Probleme machte“, erklärt Ehefra Sabine Marquardt.

Hat sich inzwischen auch mit Christian und Pamela, den beiden computergesteuerten Fräsmaschinen angefreundet: Sabine Marquardt.
Hat sich inzwischen auch mit Christian und Pamela, den beiden computergesteuerten Fräsmaschinen angefreundet: Sabine Marquardt. © Elisabeth Semme

Und Jörg Marquardt ergänzt schmunzelnd: „Pamela ist unsere Diva. Sie ist pflegeintensiv, aber sie fräst Glaskeramik genauso wie Metalle und Nicht-Edel-Metalle. Sie ist multi-tasking, wie es sonst nur Frauen sind. Deswegen heißt sie Pamela.“ Während in vielen Dentallaboren noch alles von Hand gemacht wird, haben bei Jörg Marquardt computergesteuerte Geräte schon etwa 40 Prozent der Arbeitsschritte übernommen. Dass sie ihn und seine Mitarbeiter eines Tages komplett überflüssig machen werden, hält der Meister jedoch für ziemlich unwahrscheinlich.

Handwerker mit ausgeprägter Feinmotorik

„Eigentlich sollte ich nach der Fachhochschule Fachabitur machen und Maschinenbau studieren. Ein Praktikumsplatz bei Hoesch in Hagen wartete schon auf mich. Als dann die Idee mit dem Zahntechniker aufkam, war mein Vater ziemlich enttäuscht“, blickt Jörg Marquardt an die Anfänge seines Berufslebens zurück. Oft habe er überlegt, ob es der richtige Weg war, den er einst einschlug: „Heute weiß ich: Ja, es war der richtige, denn ich liebe meinen Beruf.“ Als Zahntechniker ist er Handwerker. Sein Produkt: Zahnersatz. Dazu gehören Kronen und Brücken, Teil- und Totalprothesen, Aufbiss-Schienen und vieles mehr. Die Arbeit erfordert eine geschulte und ausgeprägte Feinmotorik sowie viel Fingerspitzengefühl, denn das Endprodukt ist oftmals filigran.

Hier ist Feinmotorik gefragt: Zahntechnikerin Agnes Kijas und Jörg Marquardt erhitzen ihre Modelliermesser, um Wachs auf die Prothesen aufzutragen. Das wird ausmodelliert und simuliert beim fertigen Zahnersatz das Zahnfleisch.
Hier ist Feinmotorik gefragt: Zahntechnikerin Agnes Kijas und Jörg Marquardt erhitzen ihre Modelliermesser, um Wachs auf die Prothesen aufzutragen. Das wird ausmodelliert und simuliert beim fertigen Zahnersatz das Zahnfleisch. © Elisabeth Semme

„Man braucht auch ein Händchen für Ästhetik. Wie jemand, der eine schöne Wohnung einrichten soll“, meint Marquardt, weswegen er bei Bewerbungen auch Wert auf gute Noten im Fach Kunst legt: „Da sollte schon eine 1 oder 2 stehen.“ Denn die hohe Kunst bei der Herstellung des Zahnersatzes ist laut Jörg Marquardt: „Man darf ihn nicht als solchen erkennen. Ersatz kann jeder machen. Unser Anspruch ist es, den Ersatz so zu gestalten, dass er aussieht wie ein natürlicher Zahn.“ Dazu muss der Zahntechniker sogenannte Verblendtechniken erlernen, die er anwendet, um einen Zahn so schichten zu können, dass er am Ende aussieht, wie ein natürlicher Zahn. Frauen, so Marquardt, sind bei der künstlerischen Gestaltung übrigens weit vorn.

Digitalisierung, ein Quantensprung

Noch bis vor zehn Jahren wurde ein Rohling per Handarbeit aus Metall gegossen, anschließend trug der Zahntechniker Schicht um Schicht Keramik auf. „Das Gießen war sehr zeitaufwendig und vor allem mit Fehlerquellen behaftet. Seit etwa zehn, fünfzehn Jahren wird der Rohling aus Zirkon bei uns mit einer CNC-Maschine gefräst. Erst danach beginnt unsere Handarbeit. An dieser Stelle vermischt sich das ursprüngliche Handwerk mit der Digitalisierung“, erklärt Jörg Marquardt und spricht hier von einem Quantensprung. Komplett digitalisiert ist inzwischen die Herstellung von Aufbiss-Schienen: Sie werden am Computer virtuell konstruiert. Aus der digitalen Datenvorlage fräst die CNC-Maschine anschließend aus einem Kunststoff-Rohling das Produkt für den Patienten. „An der Genauigkeit einer solche Schiene muss nichts mehr gemacht werden. Die Präzision liegt im Bereich von fünf bis zehn Mü. Wobei man auch das noch optimieren, also die Maschine noch feiner arbeiten lassen könnte. So erklärt sich zum Beispiel auch der Vorteil einer CNC-gefrästen Brücke: Sie kann nicht wackeln. Denn die Maschine liefert hochpräzise Arbeit. Eine solch gleichbleibend hohe Qualität kann nur durch Digitalisierung bzw. eine CNC-Anlage gewährleistet werden“, sagt der Zahntechniker.

Der Abdruck, das Ausgangsprodukt für die Arbeit im Dentallabor.
Der Abdruck, das Ausgangsprodukt für die Arbeit im Dentallabor. © Elisabeth Semme

Als früher Hände diese Arbeit erledigten, hätten sich natürlich auch immer wieder Fehler eingeschlichen, „die man entsprechend nachbearbeiten musste. Das hat man durch die Digitalisierung nicht mehr“.

Der Weg in die Zukunft

Wohin wird der weitere Weg dann führen? In die Investition zusätzlicher computergesteuerter Maschinen, so dass sich zu Christian und Pamela alsbald auch noch Maik und Candy hinzugesellen? „Jede Maschine ist nur so gut wie derjenige, der sie bedient. Das heißt: Stetige Weiterbildung in neuer Software-Technologie ist die Voraussetzung für die Zukunft unserer Labore“, sagt Jörg Marquardt. Und: „Computer werden unsere Arbeit nicht komplett ersetzen, weil die Materialien so extrem teuer sind. Und auch die Abnutzung der Maschinen, also der Fräser und Bohrer, steht in keinem Verhältnis zu der Wertschöpfung, zur fertigen Arbeit. Käme der Zahnersatz komplett aus dem Computer, wäre er eindeutig zu teuer, vor allem zu teuer für den Endverbraucher. Sogar die Chinesen machen das nicht, weil es auch für sie zu teuer wäre.“ Wenn aber eines fernen Tages Vollprothesen aus den Fräsmaschinen herauskommen, wird ihnen eines auf jeden Fall fehlen: die individuelle Anmutung.

Zur Person

Jörg Marquardt ist Ur-Wetteraner. Der Großvater hatte ein Heizungsbauunternehmen, Onkel und Tante eine Metzgerei.

Der 58-jährige Zahntechnikermeister arbeitet seit 30 Jahren selbstständig.

Das Dentallabor Marquardt ist ein Familienbetrieb: Ehefrau Sabine kümmert sich um Buchführung und Fahrdienste; Tochter Carolin (27) beendet in Kürze die Meisterschule und kehrt dann als Zahntechnikermeisterin zurück ins Labor ihres Vaters. Nur Sophie (24) und Jacqueline (33) arbeiten nicht im Unternehmen.

Jörg Marquadt arbeitet mit Zahnärzten in Dortmund, Herdecke, Düsseldorf, Herne, Bochum, Schwerte, Gevelsberg und Wetter zusammen.

In seinem Labor arbeiten acht Zahntechniker, darunter zwei Meister.

Fach-Chinesisch - schnell erklärt

CNC-Maschinen (Computerized Numerical Control) sind Werkzeugmaschinen, die durch den Einsatz von Steuerungstechnik in der Lage sind, Werkstücke mit hoher Präzision auch für komplexe Formen automatisch herzustellen.

Support bedeutet so viel wie Unterstützer.

Ein µ bzw. ein Mü ist ein Mikrometer bzw. ein Millionstel, ein µm ist ein tausendstel Millimeter. In der Zahntechnik ist die bekannteste Einheit für Passung und Genauigkeit das µ bzw. µm.

Zirkonoxyd ist ein Naturprodukt und zeichnet sich durch seine hohe Hitzebeständigkeit und Festigkeit sowie durch seine schlechte Wärmeleitfähigkeit aus.