Herdecke. Inge Habig spricht zur Einweihung einer neuen Gedenkstelle über ihr zeitgleiches Studium mit den Geschwistern Hans und Sophie Scholl.

An den Widerstand der „Weißen Rose“ gegen die Nazi-Herrschaft erinnert der Name des Geschwister-Scholl-Gymnasiums in Wetter. Zur Erinnerung an Hans und Sophie Scholl hat aber auch in Herdecke über zwei Jahrzehnte eine Rose geblüht. Seit ein paar Monaten rankt nun am oberen Ende des Kampsträter Platzes ein neues Rosengewächs. Bei der offiziellen Vorstellung des Gedenkortes zum Anti-Kriegs-Tag am 1. September fand sich überraschend eine Zeitzeugin beinahe aus der Nachbarschaft: Professor Inge Habig hat in München studiert zur gleichen Zeit an der gleichen Hochschule wie die Geschwister Scholl. Auch heute noch, mit 96 Jahren, kann sie sich an den Geist des Widerstandes erinnern und den Aufruhr nicht nur im Zusammenhang mit der Festnahme und Hinrichtung der Geschwister.

Inge Habig war etwas jünger als Hans und Sophie Scholl und daher an der Uni in anderen Veranstaltungen. „Ich habe niemanden aus der Gruppe direkt gekannt“, sagt die Seniorin gleich zur Klarstellung in die Runde der von der Stadt geladenen Gäste. Aber sie sieht sich als Werte-Verwandte der Widerständler, die mit den gleichen Büchern und den gleichen Bedenken aufgewachsen ist wie Hans und Sophie Scholl. Über die Eltern hatte Inge Habig Kontakt zu einem regime-kritischen Schriftsteller. „Das ist ein gefährliches Pflaster gewesen, auf dem ich mich bewegt habe“, fährt sie fort, während an der kleinen Menschenansammlung Busse und Motorradfahrer vorbei knattern.

Eine Zeit des Mordens

„Alles war durchseucht von der Nazi-Herrschaft“, erinnert sich die Herdeckerin, ganz besonders im von den Machthabern zur „Stadt der Bewegung“ erklärten München. Aber es gab auch die Suche nach den Anderen an der Uni, nach den Kritischen. Und so hatte Inge Habig zumindest Kontakt zu Mitstudenten aus dem direkten Umfeld der Widerständler von der „Weißen Rose.“ Die weiße Rose, die jetzt mit dem Stiel am Sitzpolster ihres Rollstuhl steckt, ist nicht die einzige, die von der Vertretern der Parteien oder des Heimat- und Verkehrsvereins mitgebracht worden ist.

Fast eine Stunde blickt Inge Habig in ihre Studienzeit zurück, erinnert sich an das missfällig gemeinte Scharren ihrer Mitstudentinnen bei einer von den Nazis instrumentalisierten Feier zum 470. Geburtstag der Münchner Ludwig-Maximilian-Universität. Und auch noch der Tag der Festnahme von Hans und Sophie Scholl und der in der Uni herumliegenden Flugblätter der Widerstandsgruppe sind ihr präsent. „Ich habe keines davon aufgehoben“, sagt sie und kam wohl auch deshalb bei den Verhören der Nazis ungeschoren davon. Dann endet ihr Zeitzeugenbericht.

Willi Creutzenberg hat vor fast 20 Jahren ein Exemplar des letzten Flugblatts der „Weißen Rose“ zur Verfügung gestellt bekommen. Nach dem Tod der Mitglieder gelangte der Text über Skandinavien nach England und wurde als „Manifest der Münchner Studenten“ im Herbst 1943 von britischen Flugzeugen über Deutschland abgeworfen. Auch über Herdecke. Helmuth Streerath hatte es gefunden und aufbewahrt.
Willi Creutzenberg hat vor fast 20 Jahren ein Exemplar des letzten Flugblatts der „Weißen Rose“ zur Verfügung gestellt bekommen. Nach dem Tod der Mitglieder gelangte der Text über Skandinavien nach England und wurde als „Manifest der Münchner Studenten“ im Herbst 1943 von britischen Flugzeugen über Deutschland abgeworfen. Auch über Herdecke. Helmuth Streerath hatte es gefunden und aufbewahrt. © WP | Archiv Willi Creutzenberg

Vorher schon hat Christian Münch vom Heimat- und Verkehrsverein an die aus heutiger Sicht unvorstellbaren Verhältnisse in Deutschland erinnert: „Da schreiben Leute Flugblätter – und werden dafür hingerichtet.“ Der Heimat- und Verkehrsverein pflegt die Erinnerung an die Geschichte der Stadt. Von einer Zeitzeugenschaft ist Münch, Jahrgang 1968, weit entfernt. Sein Vater war Fünf, als der Krieg zu Ende war, sagt Christian Münch, den Großvater habe er nicht mehr kennengelernt. Aber Münch hat sich mit der damaligen Zeit beschäftigt, „die nicht ein ,Vogelschiss‘ war, sondern eine Zeit des millionenfachen Mordens.“ Eine Äußerung des AfD-Vorsitzenden klingt hier nach.

Angst in der Gegenwart

Berührt zeigt sich auch Dr. Nadja Büteführ, seit dieser Wahlperiode Mitglied im Düsseldorfer Landtag. Sie spricht von einem „tollen Zeichen“, dass in so großer Runde Vertreter der demokratischen Parteien auf dem Kampstraßenplatz zusammen gekommen seien. Unter dem Eindruck der Anti-Corona-Demo in Berlin und dem rechten Sturm auf den Reichstag fordert sie die Umstehenden auf, nach dem Blick in die Nazi-Zeit „gemeinsam höllisch aufzupassen, dass so etwas nicht wieder geschieht“.

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