Herdecke. Eine Gruppe junger Leute geriet aneinander. Fäuste flogen. Ein Beteiligter stand nun vor Gericht. Problem: Viele Erinnerungen fehlen.
Reichlich Alkohol und eine aggressive Stimmung: Im Frühjahr 2019 gerieten einige junge Leute in Herdecke aneinander. Einer von ihnen musste sich nun vor dem Amtsgericht Wetter verantworten. Er sollte herumgepöbelt und regelrecht um sich geschlagen haben. Im Prozess gab es aber zig Variationen zum Thema, was an dem Abend passiert sein sollte.
Frau beschimpft und geschlagen
Der Vorfall, der den 32-jährigen Mann aus Herdecke jetzt auf die Anklagebank brachte, ereignete sich am 8. Februar 2019 im Bereich des Gymnasiums. Dort sollte er eine junge Frau übel beschimpft und sie sowie eine Begleiterin und zwei weitere junge Männer geschlagen haben. Dieser Verdacht bescherte ihm eine Anzeige wegen Beleidigung und Körperverletzung und letztlich das Verfahren, das sich als größere Herausforderung für Verteidigung, Anklage und Gericht entpuppte. Anfang August begann der Prozess, und der Herdecker dachte gar nicht daran, alle Vorwürfe einzuräumen. „Ich gebe zu, ich habe ihr eine Faust gegeben. Aber mehr als eine Faust nicht. Die Anderen habe ich nicht geschlagen. Ehrlich nicht.“ Die Frau habe ihn beleidigt, habe ihn Hurensohn genannt. Da habe er zugeschlagen. Darüber hinaus habe er nichts getan. „Also ich belüge sie nicht. Ich sage Ihnen, was passiert ist.“ Auch wies er immer wieder auf seine Alkoholisierung an dem Abend und entsprechende Erinnerungslücken, was Details betraf, hin. „Das war ganz viel Schnaps.“ Darüber hinaus benannte er einen Zeugen, der an dem Abend auch vor Ort gewesen sei und sicherlich eine bessere Erinnerung habe.
An den Haaren gezogen und geboxt
Das Thema Zeugen hatte es in diesem Verfahren generell in sich. Eine junge Frau, die ebenfalls vor Ort war, verstarb zwischenzeitlich, und ein Mann konnte nicht geladen werden, da sein Aufenthaltsort derzeit nicht bekannt ist. Lediglich zwei Zeuginnen konnten am ersten Verhandlungstag gehört werden. Eine von ihnen, eine 18-Jährige aus Herdecke, bestätigte, dass der Angeklagte plötzlich angefangen habe, sie zu beleidigen, sie später an den Haaren gezogen und „ins Gesicht geboxt“ habe. Die Folge: ein verstauchter Kiefer und eine Woche Schmerzen. Die zweite Zeugin, eine 20-Jährige aus Herdecke, erklärte: „Ich glaube, es haben mehrere Leute etwas abgekriegt.“ Sie selbst sei auch von Schlägen des 32-Jährigen getroffen worden.
Weitere Zeugen gehört
Um Licht ins Dunkel zu bringen, beraumte Strafrichter Christoph Labenski einen Fortsetzungstermin mit weiteren Zeugen an. Und das brachte nun tatsächlich neue Informationen, auch wenn zwei Personen nach wie vor nicht auffindbar waren. So erklärte einer der drei anwesenden Zeugen, dass er gesehen habe, wie eines der Mädchen dem im Rollstuhl sitzenden Angeklagten ins Gesicht getreten habe.
Alle betrunken
Was davor geschah, wusste er nicht und was danach passierte, konnte er nicht mehr sehen, weil sich eine Menschentraube bildete. Eine junge Frau, die an dem Abend ebenfalls mit von der Partie war, brachte das, was die Aufklärung unter anderem derart erschwerte, mit einem Satz auf den Punkt: „Ich sag mal so, wir waren alle betrunken.“ Zuletzt wurde der Neffe des Herdeckers gehört. Er erklärte, Geschrei gehört zu haben, als er vor Ort erschienen sei.
Gedächtnislücken
Dann sei das Ganze körperlich geworden, und er habe versucht, seinen Onkel aus dem Geschehen zu ziehen. Dabei habe er selbst einen Schlag von hinten kassiert. Außerdem äußerte er sich zu dem hohen Alkoholisierungsgrad und den so entstandenen Gedächtnislücken des 32-Jährigen: „Ich habe ihm später erklärt, wie das war.“ Der Verteidiger kommentierte nach diesen Aussagen, dass es schwierig sei, auszumachen, wie das alles angefangen habe. Es seien einfach alle Beteiligten betrunken gewesen. Richter Christoph Labenski bezeichnete den Zwischenfall als „unglaubliche Gemengelage“, sprach von wechselseitigen Schlägen und bezog den Alkoholpegel ebenfalls mit ein. Unter den Umständen wurde das Verfahren dann letztlich ohne Auflagen eingestellt. Die Anwaltskosten trägt der Herdecker allerdings selbst.
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