Wetter/Herdecke. Naturschützer brauchen viele Hilfe von Bürgern. Michael Reiffert aus Wetter erklärt, warum diese so wichtig ist.
Gerade hat Bundesumweltministerin Svenja Schulze das Projekt „Insekten am Wegesrand“ vorgestellt, und in NRW wurde die Volksinitiative Artenvielfalt „Insekten retten“ vorgestellt. Vor Ort wird die Initiative unterstützt vom Naturschutzbund (NABU). Einer der Aktiven ist Michael Reiffert aus Wetter. Im Interview der Woche sagt er, wie massiv der Schwund der Arten ist und warum das nicht einfach hingenommen werden darf.
Wieso ist das die richtige Aktion zur richtigen Zeit?
Michael Reiffert: Der Artenschwund ist sehr groß. 45 Prozent der Arten in NRW sind gefährdet. Daher ist es eigentlich immer die richtige Zeit für eine Aktion. Jetzt kommt noch hinzu, dass wir vor Wahlen stehen.
Haben die Menschen im Moment nicht andere Probleme?
Das stimmt. Aber diese anderen Probleme werden sich irgendwann erledigen. Corona wird nicht immer aktuell sein. Irgendwann wird Corona besiegt sein – der Schutz des Klimas und der Arten betrifft uns aber weiter.
Warum sind die Insekten eine Art „Hebel“ beim Artenschutz?
Im Ökokreislauf stellen Insekten nicht nur einen großen Teil schon allein von der Menge her, sie stehen auch für die Bestäubung oder für guten Boden. Insekten machen unheimlich viel! Und sie sind von Bedeutung als Nahrung für die Vögel und andere Tiere. Insekten sind der wichtigste Baustein für den Naturschutz und den Schutz der Arten.
Wie sieht es in Wetter aktuell mit dem Flächenverbrauch aus?
Natürlich ist eine Bebauung, eine Versiegelung, kein Vorteil. Aber es gibt sie natürlich in jeder Stadt. In Wetter ist ja flächenmäßig fast alles durch, abgesehen vom Gewerbegebiet am Stork. Das wird ein großer Verlust für den Artenschutz. Sicherlich brauchen Firmen Flächen, demgegenüber stehen die Naturschützer mit dem Bemühen um Erhalt. Allgemein würde schon mehr Verdichten helfen, also bauen da, wo schon mal etwas gestanden hat.
Lässt sich ein Schwinden der Arten vor der Haustüre feststellen?
Schmetterlinge interessieren mich sehr. Bei der Zählung vor zwei Wochen war das wirklich erschreckend, wie wenige man sieht. Der Kohlweißling ist überall noch vertreten, aber dann wird es schon schwierig. Wie lange ich suchen muss, um ein Pfauenauge oder einen Admiral zu finden! Das ist schon traurig.
Was kann, was sollte für den Gewässerschutz getan werden?
Da wo Auen sind, sind diese natürlich genug. Unsere Flüsse und Seen werden immer sauberer – was mit sich bringt, dass mehr Licht reinfällt und die Algen entsprechend blühen. Wir haben hier aber auch nicht die Menge an Feldern, die massiv gedüngt werden.
Wie sehen Sie die Renaturierung der Ruhr?
Zwischen Wetter und Bommern ist das eine ganz tolle Sache, ein Riesengewinn für die Natur. Ich bin regelmäßig da mit meinem Fernglas und beobachte. Es begeistert mich regelrecht, was da läuft.
Macht die Stadt Wetter an ihren Wegrändern alles richtig?
Die Stadt tut schon Einiges. Der Kreisel über der Bahn in Alt-Wetter etwa ist schön grün. An den Wegrändern muss auch immer bedacht werden, dass keine Gefahr für Verkehrsteilnehmer besteht.
Zeigen sich die Landwirte verantwortlich?
Es gibt sicherlich die Einen und die Anderen. Aber ich glaube mal, dass die meisten Landwirte die Natur lieben, sonst wären sie keine Landwirte. Man darf allerdings auch deren finanziellen Druck nicht vergessen.
Wie läuft die Volksinitiative Artenvielfalt in NRW ab?
Wenn wir 66000 Unterschriften zusammen kriegen – das entspricht dem verlangten Bevölkerungsanteil -, muss sich der Landtag mit dem Artenschutz beschäftigen. Je mehr wir zusammen bekommen, desto besser ist das natürlich.
Was passiert darüber hinaus für den Naturschutz?
Zunächst mal machen wir im Januar die Zählung der Wintervögel, dann zählen wir im Mai die Gartenvögel, die auch den Verlust anzeigen. Dann gibt es die Insektenzählung einmal im Mai/Juni und jetzt noch einmal Anfang August. Der NABU in NRW macht dazu noch eine Schmetterlingszählung. Die war jetzt vor zwei Wochen.
Die Volksinitiative hat viele Initiatoren – hat der Naturschutz eine starke Lobby?
Wir haben starke Naturschutzverbände. Sie kämpfen. Aber es bleibt die Frage, welche Lobby stärker ist – die der Naturschutzverbände oder die Agrar- und Chemielobby. Auch wenn wir stark sind: Wir brauchen viel Hilfe von den Bürgern, beispielsweise viele Unterschriften.
Gab es ein Schlüsselerlebnis?
Das „Schlüsselerlebnis“ ist: Ich hatte mehr Zeit. Die Natur habe ich schon immer geliebt, bin früh schon ein großer Naturfreund gewesen. Als ich dann mehr Zeit hatte, habe ich überlegt, was will ich damit tun. Schließlich habe ich mich an den NABU gewandt, wo ich seit zweieinhalb Jahren mitmache.
Haben Sie eine Vision?
Die Vision ist, dass sich der Artenschwund stoppen lässt, sich die Vielfalt weiter entwickeln kann. Meine Kraft bekomme ich immer wieder, wenn ich in der Natur bin und irgendwelche Vögel beobachte, irgendwelche Insekten, die wunderschön aussehen. Für mich steht der Naturschutz aber nicht am Anfang. Es ist schon viel geschafft. Meine Kollegen und ich führen etwas fort, und irgendwann werden wieder andere weiter machen.