Wetter/Ennepe-Ruhr. Gerechte Startchancen und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf sind ohne Offenen Ganztag nicht möglich. Die AWO appelliert an die Politik.

Alle wissen, dass die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ohne sie nicht funktioniert, dass viele Kinder sie dringend brauchen, um halbwegs gerechte Startchancen ins Bildungssystem zu haben. Dennoch werde laut AWO Ennepe-Ruhr die Offene Ganztagsschule (OGS) von der Politik nur zu gerne vergessen. Zuletzt von NRW-Schulministerin Yvonne Gebauer, die für die Öffnung der Grundschulen nach der Corona-Zwangspause vorgegeben hat, dass die Kinder beim Schulbesuch im Klassenverband zusammenbleiben und darüber hinaus keine Kontakte zu anderen Kindern haben sollen – damit es mit dem Infektionsschutz klappt.

Personal und Räume fehlen

In der OGS klappt es nach Unterrichtsschluss nicht mehr so richtig. Da fehlt Personal, da fehlen Räume, um die Kinder auch dort in Klassengruppen zu betreuen. Maximal Jahrgangsgruppen sind möglich, und so kommen Kinder aus zwei oder drei Klassen, die morgens streng getrennt werden, mittags doch zusammen, so die AWo. „Anders geht es nicht, und uns als Träger der OGS, unseren Mitarbeitern und auch vielen Eltern ist gar nicht wohl dabei. Aber berufstätige Eltern haben vielfach keine Wahl, und viele Kinder brauchen die OGS, weil sie dort die Förderung bekommen, die zu Hause nicht geleistet werden kann“, unterstreicht Jochen Winter, Geschäftsführer der AWO EN, die an der GS Grundschöttel und Elbschebachschule 158 im Offenen Ganztag und 37 Kinder im geregelten Halbtag (Schule von 8 - 13) betreut.

Dabei habe es Anfang der 90er Jahre ganz vielversprechend mit den Betreuungsangeboten in Schulen angefangen. Zwei „Schulkinderhäuser“ in Sprockhövel und ein Betreuungsangebot an einer Grundschule in Witten wurden von der AWO EN was Gruppengröße, Räume sowie Personal und dessen Qualifikation betraf, nach den Regeln gestartet, die auch für Kitas galten. Das funktionierte gut. Politiker, Eltern, Träger, Schulleiter und Lehrer waren einig: Schulbetreuung muss flächendeckend angeboten werden.

Die Kostenfrage wurde einfach beantwortet. Die Betreuungs-Qualität der Schulkinderhäuser wurde in der „Offenen Ganztagsschule“, wie das Angebot nun hieß, drastisch heruntergefahren: „keine Vorgaben für Raum- und Gruppengrößen – große Kindergruppen können bis heute in kleine Räume gepfercht werden – wenig qualifiziertes, nach Tarif bezahltes Personal, stattdessen mehr Honorarkräfte und geringfügig Beschäftigte. Einen großen Teil der finanziellen Verantwortung überlässt das Land den klammen Städten“, so die AWO.

Mehr Geld muss ins System

„Von Anfang an war die vom Land hinterlegte Kostenberechnung Augenwischerei. Auf unsere Kampagne ‚Gute OGS darf keine Glückssache sein‘ hat die Landesregierung nicht reagiert. Seit mehr als drei Jahren versucht die Freie Wohlfahrtspflege mit ihren Forderungen nach Qualitätsstandards zu den Verantwortlichen durchzudringen – erfolglos“, ärgert sich Jochen Winter.

Bis 2025 will die Bundesregierung den Rechtsanspruch auf einen OGS-Platz für alle Kinder sichern. Bund und Länder zeigten damit deutlich, so der AWO-Geschäftsführer weiter, dass sie die Bedeutung des Erfolgsmodells OGS für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf und die Förderung der Chancengleichheit anerkennen: „ Trotzdem werden die tatsächlichen Bedarfe der Kinder und Mitarbeiter in der OGS regelmäßig von den politisch Verantwortlichen übersehen. Jüngstes Beispiel: Kontaktbeschränkungen und Hygiene-Maßnahmen für den Schulbetrieb, die Schulministerin Yvonne Gebauer, wenn auch schlecht kommuniziert, vorgibt. Dabei hat sie nicht im Blick, dass Schule landesweit nicht mehr nur aus Unterricht besteht. Die Aufteilung mit Kontaktverboten in Klassen bzw. Lerngruppen, Vorgaben für Pausen-, Verkehrs- und Toilettenflächen sind für die OGS nicht mitgedacht.“

Investitionen erforderlich

Ein „Weiter-so“ mit der Maßgabe, sich durchzuwurschteln, so Winter, sei Kindern und den engagierten, aber schlecht bezahlten Mitarbeitern nicht mehr zuzumuten: „Wenn der weitere Ausbau des Platzangebotes gelingen soll und der Rechtsanspruch kommt, gehört deutlich mehr Geld in das Betreuungssystem – für gerechte Löhne, für ausreichende personelle Kapazitäten, für vernünftige Ausstattung im Sachkostenbereich. Und es muss dringend investiert werden in Neu-, Aus- und Umbau.“

Hintergrund

Der AWO Unterbezirk bietet in sechs Städten des EN-Kreises, darunter Wetter, Schulbetreuungen in Grund- und Realschulen sowie Gymnasien an.

Kreisweit 20 Grundschulen kooperieren mit der AWO als erfahrenem Träger in der Kinder- und Jugendarbeit.

Die AWO beschäftigt in der Betreuung von insgesamt 2.694 Schulkindern 223 Mitarbeitende.