Herdecke. Der Internist Ahmedin Idris aus Herdecke gründete 2009 den Verein Etiopia. Seitdem unterstützt er mit Gleichgesinnten seine afrikanische Heimat.

Marina Idris beschreibt das Engagement ihres Mannes Ahmedin Idris für den Verein Etiopia so: „80 Prozent seiner Kraft und Zeit steckt er in den Verein, die restlichen 20 Prozent verteilt er auf die Praxis und die Familie.“ Der Mediziner schaut seine Frau an – und schmunzelt. Seit 1985 lebt das Arzt-Ehepaar in Herdecke; beide praktizieren in der Nachbarstadt Witten. Marina Idris ist Frauenärztin, Ahmedin Idris Internist. 2009 gründete er den Verein mit dem Ziel, in Äthiopien, einem der ärmsten Länder der Erde, umfassende Entwicklungshilfe zu leisten. In der dortigen Hauptstadt Addis Abeba hatte er das erste Jahr seines Medizinstudiums absolviert. Für seine Verdienste wird er nun mit dem Bundesverdienstkreuz geehrt, auch wenn die feierliche Verleihung in der jetzigen Situation ausfallen muss.. Die Lokalredaktion sprach mit dem engagierten Mediziner.

Wie kam es zur Vereinsgründung, und was waren die ersten Projekte?

http://Verein_Etiopia-Witten_schickt_Intensivstation_nach_Äthiopien{esc#226729319}[news]Ahmedin Idris: Meine Frau und ich sind 2008 mit etwa 40 Freunden, vorwiegend Ärzte, nach Äthiopien gereist. Dort entstand die Idee, dass sie alle gemeinsam etwas tun wollten. Anfangs haben wir überwiegend medizinische Hilfe im Bishoftu-Hospital etwa 70 Kilometer südlich der Hauptstadt Addis Abeba geleistet. Danach haben wir das Universitätskrankenhaus in Mekelle, der Hauptstadt der Nordprovinz, mit aufgebaut. In den vergangenen zehn Jahren haben wir 23 See-Container mit Betten und medizinischen Geräten dorthin geschickt – und vorher sechs Container für das Bishoftu-Hospital gespendet. Alle Krankenhausausrüstungen wurden von verschiedenen Kliniken gesammelt und von der Wittener Firma Stratmann Logistik verpackt und nach Äthiopien verschifft. Über 500 Fachleute, darunter Ärzte und Pfleger, Feuerwehrleute und Polizisten und Techniker haben dort gearbeitet und ihr Wissen dorthin vermittelt. So hat sich die Hilfe auch auf andere Bereiche ausgeweitet.

Welche Bereiche sind das?

Zunächst einmal ist das der Bildungsbereich. Innerhalb des Vereins hat sich aus Medizinern eine Education-Gruppe gebildet, die in der Umgebung von Mekelle vier Baumschulen durch vier Schulgebäude ersetzt hat. Zudem haben sie für die Kinder Schreibsachen, Tornister und Computer gesammelt und Schulgärten angelegt.

Was ist eine Baumschule?

Der ländliche Bereich in Äthiopien ist kaum erschlossen, es gibt keine Schulen außerhalb der Städte. Deswegen hat die Regierung folgende Regel erlassen: Dort, wo ein Schulweg zu Fuß länger als zwei Stunden dauert, entsteht eine Baumschule. Das bedeutet, das die Regierung Tafeln, Kreide und vier Lehrer schickt, und die Kinder unter einem Baum lernen. Allein in der Region Tigray im Norden Äthiopiens, wo wir uns engagieren, gibt es immer noch 3000 Baumschulen.

Medizin, Bildung – in welchen Bereichen sind sie noch aktiv?

Aus den kommunalen Verbindungen, die im Laufe der Zeit entstanden, ging die 2016 besiegelte Städtepartnerschaft zwischen Mekelle und Witten hervor, so dass der Verein auch Wissen aus vielen Institutionen wie Feuerwehr und Polizei, aber auch aus Schulen nach Äthiopien bringen kann. Jedes Jahr im Februar findet seitdem nun eine German Week in Mekelle statt.

Was passiert während der German Week?

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Dann fliegen nicht nur Vereinsmitglieder, sondern auch Vertreter der Stadt sowie Lehrer, Feuerwehrleute und Polizisten nach Mekelle. Vor drei Jahren war auch ein Polizist aus Wetter zum zweiten Mal privat dabei. Die Polizei aus Hagen, Wetter und Herdecke hatte zuvor ca. 2000 Euro für zwei Kameras gespendet, mit denen Unfälle besser dokumentiert werden können. Die Stadt Witten hatte zwei Rettungswagen ausgemustert, die hier wieder aufgebaut, ausgerüstet und anschließend nach Mekelle verschifft wurden. Unser Verein hat dafür gesorgt, dass das Personal für den Einsatz vor Ort ausgebildet wird. Also die German Week ist unter anderem dafür da, dass verschiedene Fachleute von hier dort ausbilden.

Gibt es auch Kontakte zwischen jungen Leuten?

Ja, auf jeden Fall. Seit drei Jahren nehmen wir Zehntklässler der Holzkamp-Gesamtschule für eine Woche mit zur German Week. Die Kinder, die hier im Überfluss aufwachsen, sehen den Mangel, der dort herrscht. Und sie lernen zu schätzen, was sie hier haben. Die Holzkamp-Gesamtschule unterstützt uns schon lange und hat bereits über 70.000 Euro an Spenden zusammengetragen.

Welche Projekte stehen für dieses Jahr ganz oben auf der Liste?

Wir wollen Bäume an den Schulen anpflanzen und die Schüler in die Aufzucht einbinden. Zwei Jahre lang sind sie fürs Gießen zuständig, solange bis die Wurzeln tief genug sind. Dadurch wollen wir die Schüler für die Umwelt sensibilisieren. Außerdem wollen wir die Schulen mit Teestube, Bücherstube und Schulgarten zu einer Art Dorfzentrum ausbauen.

Warum ist das so wichtig?

Wo am Anfang nur ein Baum war, haben wir ein Schulgebäude gebaut. Dann wurde Wasser dorthin gelegt, und langsam entsteht ein Dorfkern. Die Massenwanderung in Äthiopien ist deutlich zu erkennen. Mekelle ist angelegt für 250.000 Einwohner; in drei Jahren werden 3 Millionen erwartet. Die Menschen kommen von den Dörfern, wollen zunächst in die Stadt und von dort nach Europa. Diese Massenwanderung kann man nur unterbinden, indem man Infrastruktur vor Ort schafft.

Und die weiteren Pläne?

Wir müssen noch einen Raum an unseren Schulen anbauen, damit Mädchen dort ihre Menstruationsvorlagen waschen und trocknen können. Diese Hygieneartikel bekommen sie von uns. Sie werden in einer Nähstube in Mekelle genäht. Die Soroptimisten Herdecke/Wetter kümmern sich zum Beispiel seit zwei Jahren um eine Schule, damit die Schülerinnen Slips, Vorlagen und Informationen überhaupt bekommen. Mädchen, die solch eine Ausstattung noch nicht bekommen haben, werden weiterhin eine Woche im Monat in der Schule fehlen.