Wetter.

Die Fernsehbilder über die Auflösung des Konzentrationslagers Auschwitz vor 75 Jahren haben Hannelore Althoff tief berührt. Nicht mal zehn war sie, als sie in Wetter mit ihren Eltern einkaufen ging im Laden von Sally Wolff und dem von Moritz Teichmann. Dass beide Juden waren, habe in ihrem Elternhaus keine Rolle gespielt, erinnert sich die 94-Jährige. In der großen Politik dagegen schon.

Wo setzt die Erinnerung an das Bekleidungshaus Wolff und den Papierhändler Teichmann an? In den dreißiger Jahren des letzten Jahrhunderts, gibt Hannelore Althoff zur Antwort. Damals war sie noch Schülerin. „Meine Großonkel kauften hier ihre Anzüge“, weiß sie von Wolffs Laden an der Kaiserstraße. Und: Eine im vorigen Jahr verstorbene Bekannte habe wohl erzählt, dass eine Tochter aus dem Hause Wolff mit ihr in Wetter auf die Schule gegangen sei.

Erinnern kann sich Hannelore Althoff auch noch an den Papierhandel von Moritz Teichmann. Mit den Eltern und Großeltern ist sie hier hingegangen, wenn sie Tapeten brauchten. „Ich war oft dabei“, blickt die Seniorin zurück. War das damals Thema, dass der Weg zu einem jüdischen Geschäftsmann führte? Nein, sagt Hannelore Althoff. „Wenn die Ware gefiel, haben wir da gekauft.“

Weiß sie noch, wie es auf einmal eine Rolle spielte, dass die Geschäfte von Juden geführt wurden? Hannelore Althoff kann es nicht sagen. Großes Thema zuhause sei das nicht gewesen. „Meine Eltern waren nicht so politisch interessiert.“ Auch an antisemitische Lektionen in der Schule kann sie sich nicht mehr erinnern. Nur noch daran: „Die jüdischen Familien waren von einem Tag auf den anderen verschwunden, hatten wohl vorgefühlt, sind rechtzeitig um einen Fahrschein für eine Flucht vor den Nazis gekümmert.“ Ins Lager gekommen seien sie ihres Wissens nicht.

Nazi-Verbrechen

So sehr sie die Berichte über die Massentötungen von Menschen in Auschwitz berühren, so wenig kann sie sagen, wann ihr das ganze Ausmaß der Nazi-Verbrechen bekannt geworden ist. Bei einem anderen Vernichtungsversuch der NS-Machthaber aber gab es für sie schon vor Kriegsende Anzeichen: Cousine Grete war blind. Wie bei vielen Eltern von Kindern mit Behinderungen gab es eine Vorladung vom Gesundheitsamt. In eine Landesklinik ging es dann. „Ein paar Wochen später kam ein Schreiben: Gestorben an Lungenentzündung“. Wann war für sie klar, dass das Leben der Cousine von den Machthabern in Deutschland für „unwert“ erklärt worden war? Hannelore Althoff kann es nicht mehr sagen.

Das Grab von Berta Wolff auf dem jüdischen Gräberfeld auf dem Friedhof Zeppelinstraße in Herdecke. War sie ein Mitglied der Familie Wolff im benachbarten Wetter?
Das Grab von Berta Wolff auf dem jüdischen Gräberfeld auf dem Friedhof Zeppelinstraße in Herdecke. War sie ein Mitglied der Familie Wolff im benachbarten Wetter? © WP | Klaus Görzel

Die Berichterstattung über die Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz hat ihr das Ausmaß der Judenverfolgung in ihrer Kinderzeit wieder bewusst gemacht. Deshalb will sie davon erzählen, dass es auch hier, in Wetter an der Ruhr, jüdische Familien gegeben hat, an deren Religion sind lange niemand gestört hat. Ihre eigene Person erklärt Hannelore Althoff für nicht so wichtig. „Es geht mir um Geschichte“, sagt die Seniorin und sieht ihre hohes Alter auch als eine Verpflichtung.

So gut sie kann, will Hannelore Althoff Zeitzeugin sein. Denn gerade die Berichte der Menschen, die damals gelebt und die Lager überlebt haben, haben eine starke Wirkung auf sie. Ist es für sie denkbar, bei den Berichten über das Ende der Lager den Fernseher aus, die Geschichte ruhen zu lassen? Beinahe empört kommt die Antwort: „Nach all dem kann man die Menschen doch jetzt nicht missachten!“

In Wetter gab’s nur vereinzelt jüdische Familien

Von Wetter weggegangen ist die jüdische Familie Teichmann 1937 tatsächlich – zunächst nach Witten. Moritz Teichmann überlebte Auschwitz; Tochter Else und Tochter Klara wurden deportiert und zogen nach dem Krieg von Witten nach Wetter zurück, Sohn Gerhard ebenso. Die Frau von Moritz Teichmann war keine Jüdin, wie im Buch „...vergessen kann man das nicht“ über Wittener Jüdinnen und Juden unter dem Nationalsozialismus nachzulesen ist. In einem Adressbuch von 1927/28 findet sich in Wetter, Rathenaustraße 39, ein Konfektionsgeschäft des Händlers Sally Wolff. Die Rathenaustraße ist die heutige untere Kaiserstraße. Die damalige Hausnummer 39 lässt sich aber nicht mehr zuordnen.

„Leider ist es generell sehr schwierig, jüdische Geschichte in Wetter nachzuvollziehen“, so Stadtarchivarin Stephanie Pätzold. Das liege auch daran, dass es hier nie eine jüdische Gemeinde gegeben habe. Begraben ließen sich Wetteraner Juden auch in Herdecke. Immer nur einzelne jüdische Familien hätten in Wetter gelebt. Laut Wikipedia waren es 1828 fünf Personen, 1864 elf, 1895 fünf.

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