Herdecke. Das wird am Stammtisch erzählt: Wirte in Herdecke nehmen vor ihren Gästen Reißaus. Nachwuchskicker gehen zum Umkleiden in die Kneipe.
An Schlaucher haben gleich mehrere am Stammtisch eine Erinnerung. Schlaucher, der Schulhausmeister, der wenig gelitten war, und dem Dieter Krüger ein Tintenfässchen an den Kopf geworfen hatte. Von Schülerschabernack über Wirtsleute mit politischer Kontur bis hin zum Kohleschleppen reicht die Palette der Geschichten, die an diesem Vormittag im Weinlokal Korkenzieher erzählt werden. Einen richtigen roten Faden gibt es nicht. Aber viel zu lachen.
Tintenfässchen trifft Hausmeister
Bei Schlaucher war es zunächst das Äußere. Die Hose hing an Hosenträgern, und die ließen die Hosenbeine schlabbern wie Schläuche überm Knie, erinnert sich Heinz Kühnholz. Und kräftig gebaut war der Hausmeister. Werner Tyborczyk, auch er ein Ur-Herdecker, malt den Umfang mit den Händen nach. Das Tintenfässchen aus dem Klassenfenster hinaus an den kahlen Kopf von Schlaucher geworfen aber hat Dieter Krüger. „Ganz schön schlimm sah das aus“, erinnert sich Krüger an die Tinte und das Blut, das von der Stirn troff. Und an die Worte des Direktors, unter vier Augen, und überraschend milde: „Junge, was musst du auch immer so genau zielen?!“
Heinz Kühnholz hat ein Bild vom Honschoff mitgebracht. Hermann Bien war Hausherr in der Traditionskneipe, die in den Nachkriegsjahren einer autofreundlichen Hauptstraße weichen musste. „Das war eine Habig-Kneipe“, erinnert sich Werner Tyborczyk, der selbst einmal in der Stoffdruckerei beschäftigt war. Nach der Arbeit ging es oft zu Hermann, auch für einen Azubi, der bei ein paar Bier böse auf die CDU und ihren Kanzler Adenauer schimpfte. Dabei war Hermann Bien ein treuer Anhänger von Partei und Kanzler. Er warf den Azubi aus dem Lokal. Zu zahlen war nichts. „Das haben die Jungs bestimmt nicht nur einmal so gemacht“, denkt Kühnholz zurück.
Dieter Krüger erinnert an eine andere Kneipe, „Tante Alma“, einen Steinwurf weiter die Hauptstraße rauf. Heute ist hier der Kulturpub „The Shakespeare“. Damals aber war die Tante das Vereinslokal der Fußballer der TSG Herdecke 1863. Hier wurden die Spielersitzungen abgehalten, und hier, im Obergeschoss, gab es eine Umkleide für die Kicker. „Zu Fuß ging es von hier in Sportlerkluft zum Spielfeld am Bleichstein“, lässt Linksaußen Lotte, so der Spitzname von Dieter Krüger, die Fußballjungs von damals vor seinem geistigen Auge herziehen. Lang ist das her. Mindestens 50 Jahre. Denn so alt ist mittlerweile die Bleichsteinhalle. Und mit der hatte „Tante Alma“ spätestens als Umkleideraum ausgedient.
Eine andere Zeit
Um einen Bierdeckel dreht sich die Geschichte über einen der ganz Oberen von Habig. Mit seiner zweiten Frau, deutlich jünger als er, war dieser in Witten tanzen gewesen. Bei Albert Pfingsten in der Kneipe am Rathaus lag der Deckel aus Witten, ein Strich am anderen. „So viele Bier hast du getrunken?“, wurde er halb verwundert, halb bewundernd gefragt. „So viele Tänze mit meiner Frau!“, lautete die Antwort.
Herbert Ensuleit, im vorigen Jahr gestorbenes Herdecker Original, hat seinen Stammtischfreunden eine weitere Kneipengeschichte hinterlassen: Sie spielt nur wenige Häuser weiter als das Weinlokal Korkenzieher, in dem der Stammtisch immer mittwochs mit Cappuccino und Kaffee gedeckt ist. Wo heute am Kampsträter Platz Pizzen gebacken werden, war früher das „Bürgerhaus“, Restaurant und Stehkneipe. Irgendwann sei es an einem der Abende dem Wirt zu bunt geworden, soll Ensuleit erzählt haben. „Jungs, dann zapft Euch gefälligst selbst und schreibt dann auf“, soll der Wirt gerufen und sich empfohlen haben.
Ist das wirklich vorstellbar? „So war das damals“, lässt Heinz Kühnholz keinen Zweifel. Und Adi Möller, später erst nach Herdecke gezogen, aber auch ein Vorkriegskind, nickt bestätigend und sagt nur ein Wort: „Vertrauen“.
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