Volmarstein. Egal ob im Haushalt oder auf Arbeit: Verschiedene Apps und Technologien helfen Menschen mit Behinderungen, ihren Alltag leichter zu gestalten.
Die ersten Kinder sitzen im Klassenraum der Oberlinschule in Volmarstein und warten, dass der Unterricht beginnt – so auch der Junge im hellgrauen Pullover. Still sitzt er da. Vor ihm ein kleiner Computer. Als die Lehrerin ihre Schüler begrüßt und schaut, ob alle da sind, drückt der Junge auf ein Symbol auf seinem PC. „Hallo“, ertönt plötzlich. Bei dem vermeintlichen PC handelt es sich nämlich um einen Talker. Ein Gerät, dass dem Jungen hilft, am sozialen Leben teilzuhaben. Denn der Junge ist in der Sprache beeinträchtig und nutzt den PC, der ihm bei der Kommunikation im Alltag und in der Schule hilft. Ähnliche technische Geräte wie den Talker gibt es bereits zahlreiche. Denn: Ebenso vielfältig wie die Behinderungen, sind auch die Angebote an Hilfsmitteln, die den Alltag der Betroffenen leichter gestalten sollen.
Das Beratungszentrum der Agentur Barrierefreiheit NRW am Forschungsinstitut Technologie und Behinderung (FTB) in Volmarstein bietet einen Überblick über verschiedenste Angebote – sei es im Bereich Haushaltshilfen, Kommunikationshilfen, verschiedene Tastaturen sowie Monitore und vieles mehr. „Wir haben hier eine Musterwohnung geschaffen, in der wir immer wieder Dinge in den verschiedenen Lebensbereichen ausprobieren können. Angehörige und Betroffene, die sich bei uns beraten lassen, können unterschiedliche Sachen austesten, bevor sie sich für etwas Bestimmtes entscheiden. Natürlich haben wir nicht alles hier, dafür gibt es einfach zu viel. Wir versuchen aber schon, die verschiedensten Teilhabebereiche mit geeigneten technischen Hilfen abzudecken“, sagt Michael Hubert, Berater für assistive Technologie. Seit 21 Jahren arbeitet er nun schon am FTB.
Sehen, hören und verstehen
Grundlegend für Barrierefreiheit sind technische Lösungen für unterschiedliche Nutzergruppen. Dabei werden die Bedarfe von Menschen grob in vier Grundbereiche unterschieden: Bewegungsmöglichkeit, Hören, Sehen und Verstehen. „Natürlich gibt es auch viele Untergliederungen, je nachdem welche Bedürfnisse die Menschen haben oder in welcher Phase ihres Lebens sie sich gerade befinden. Während junge Menschen vielleicht eher nach einer Unterstützung im Schulalltag suchen, informieren sich Ältere oftmals nach unterstützenden Hilfen im Haushalt oder Beruf“, so Hubert. Dabei betont er: „Wir führen keine Versorgungen durch. Wir sind für die Menschen in beratender Funktion da und vermitteln, wenn gewünscht, den Kontakt zu einem Leistungserbringer, der dann auch die Versorgung durchführen kann.“
Erst kürzlich hatte Michael Hubert ein Gespräch mit einer jungen Frau, deren alte Tastatur kaputt gegangen ist. „Das bisher genutzte Modell gibt es heutzutage nicht mehr zu kaufen. Daher haben wir gemeinsam geschaut, welche Form für sie in Frage kommt“, so Hubert und geht in einen separaten Raum. Auf den Tischen liegen verschiedene Modelle.
Tastaturen mit großen Buchstaben und Zahlen, mit farbigen Tasten, mit einer Abdeckung, durch deren Löcher man tippen muss oder auch eine Tastatur mit Speicherfunktion. „Dort können Wörter oder Sätze, die derjenige häufiger nutzt, gespeichert werden. Durch einen Klick werden diese Sätze dann eingefügt. Optimal, wenn jemand zum Beispiel viele Mails schreiben muss, die sich ähneln.“ Dadurch spare er vor allem Zeit.
Ebenfalls in dem Raum sind verschiedene Monitore und spezielle Kameras. So können Arbeitsabläufe am Computer auch mit den Augen gesteuert werden. „Aber es gibt auch Menschen, die Probleme mit der Augenbewegung haben“, sagt Hubert. Daher gebe es auch die Möglichkeit, den Computer mit Sprache, Kopfbewegungen oder aber mit dem Fuß oder dem Kinn zu steuern. „Es gibt zudem spezielle Mauskontroller, die in der Kopfstütze des Rollstuhls integriert sind. Es kommt immer darauf an, welche Bedienungsmöglichkeiten die Person hat.“
Kleine Haushaltshilfen
Per Klick die Rollladen hinunterfahren und das Licht anschalten lassen – in Zeiten von Alexa und Co für viele Menschen völlig normal. Dennoch bieten spezielle Smart-Home-Anwendungen für Menschen mit einer Behinderung eine Erleichterung. Gerade wenn es darum geht, Türen zu entriegeln und per Klick zu öffnen. Apps, die sie im Beratungszentrum der FTB testen können. „Und das ist wichtig“, so Hubert. „Viele Menschen, die technische Hilfen benötigen, gehen zu Anbietern, die ihre Kasse ihnen im Vorfeld vorschreibt. Findet dann keine Erprobung statt, ist es am Ende nicht immer das richtige Produkt. Die Versorgung nach Fallpauschalen, wie häufig von den Kassen gefordert, beschränkt die Einflussmöglichkeiten von Patienten zudem“, sagt Michael Hubert.
Das führe nicht selten dazu, dass die Hilfsmittel in den Haushalten nicht genutzt werden. Doch trotz all der hilfreichen Technologien von heute -- eins ist dem Berater und Therapeuten besonders wichtig: „Technik darf niemals die menschliche Zuwendung ersetzten. Auch wenn wir auf die Technik angewiesen sind – wir brauchen auch das soziale Miteinander.“ Ob dies mit oder ohne Talker geschieht, spiele dabei keine Rolle.