Herdecke. Er ist einer der letzten jüdischen Zeitzeugen. Salomon Perel nahm sich in der Friedrich Harkort Schule viel Zeit für die Schüler.

Wie viele Schulen Salomon Perel in den vergangenen Jahren besucht hat, ist kaum noch nachzuvollziehen. Klar ist aber, der heute 94-Jährige macht weiter, denn er ist, wie er selbst sagt, einer der letzten Zeitzeugen, die noch von der Verfolgung der NS-Zeit berichten können. Er wird nicht müde, von den Verbrechen aus Nazi-Deutschland zu berichten, denn er hat eine Mission: „Wenn ich es schaffe, auch nur einen Jugendlichen, der sich auf rechten Pfaden befindet, mit meiner Geschichte zu überzeugen, dann hat es sich gelohnt.“

Salomon Perel wurde in Peine als Sohn streng gläubiger Juden geboren. Nach der Machtergreifung der NSDAP zog er als Kind mit seinen Eltern nach Lodz in Polen. Als 1939 die Deutschen Polen überfielen und die dort lebenden Juden in Ghettos untergebracht werden sollten, entschieden sich seine Eltern dazu, ihre Kinder wegzuschicken. Sie sollten in den sowjetischen Teil Polens flüchten. „Ich wusste als 14-Jähriger nicht, dass es ein Abschied für immer sein würde. Heute frage ich mich, woher meine Mutter diese Kraft genommen hat, mich aus dem Haus zu schicken und zu wissen, dass ich nicht wiederkommen würde, nur wegen ein bisschen Hoffnung, dass ich überleben könnte“, schildert Perel die Szene. Während sein Vater ihm die Worte „Bleibe immer Jude, glaube an Gott, dann wird er dich immer beschützen“, mit auf den Weg gab, waren die letzten Worte seiner Mutter noch eindringlicher: „Geh, denn du sollst leben.“

Wie in einem Inferno

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Salomon Perel berichtet von seiner Flucht. Zwei Jahre verbrachte er in einem Kinderheim, dann stand erneut die Flucht an. „Auf dem Weg sah ich brennende Leichen, es war wie in einem Inferno“, schildert er seine Erinnerungen. Er kam zu einem Punkt, an dem sich die Flüchtigen aufreihen mussten. Die SS sortierte die Juden unter ihnen aus. „Sie wurden in den Wald geführt und dort erschossen. Ich habe nur gedacht ,Ich will noch nicht sterben’, während mich jeder Schritt dem Tode näher brachte“, berichtet Perel. In der langen Schlange stehend, grub er mit seinen Schuhen ein Loch in den Boden, ließ seine Ausweispapiere hineinfallen und begrub sie. Schließlich war er an der Reihe. Die SS-Leute bedrohten ihm mit einem Gewehr. Er musste die Hände hoch recken und wurde gefragt: „Bist du Jude?“ „Ich musste mich zwischen Leben und Tod entscheiden, zwischen den Worten meines Vaters und denen meiner Mutter“, schildert der 94-Jährige seinen Zwiespalt. Er beschloss zu lügen: „Nein, ich bin doch kein Jude. Ich bin Volksdeutscher.“ Und ihm wurde geglaubt. Wie durch ein Wunder nahm man ihm seine Geschichte ab, und er kam ohne Leibesuntersuchung, bei der seine Beschneidung sichtbar geworden wäre, davon. Von da an gehörte er zur Hitlerjugend und wurde an der Schule von den Nazis während der Rassenkunde als Angehöriger der Baltisch/Arischen Rasse klassifiziert.

Von Nazi-Ideologien angesteckt

Kommentar: Aktueller denn je

Am Ende seiner Erzählungen berichtet Salomon Perel, dass nach seinen Lesungen immer Schüler zu ihm kommen und ihn um Verzeihung bitten. Er antwortet darauf stets, dass er nicht verzeiht, denn er habe der deutschen Jugend nichts zu verzeihen. Schuld sei nicht erblich. Das Einzige, worum er in jedem Vortrag bittet, ist, dass die Schüler, die nun die Wahrheit noch aus erster Hand eines Zeitzeugen gehört haben, diesen Bericht auch weitervermitteln. Es dürfe den Kreisen der AfD nicht gelingen, Auschwitz als Lüge darzustellen, wiederholt er immer wieder.


Als ich Salomon Perel in meiner Schulzeit zum ersten Mal erlebt habe, gab es die AfD noch nicht, doch sein Anliegen, die Wahrheit zu verbreiten und zu berichten, gab er damals schon weiter. Und ich weiß noch, dass ich damals gedacht habe, dass doch niemand so dumm sein könnte, den Holocaust zu leugnen. Genauso wenig konnte ich mir vorstellen, dass Ausländerfeindlichkeit in der Gesellschaft wieder toleriert werden würde.

Heute, 22 Jahre nachdem ich Sally Perel zum ersten Mal gehört und erlebt habe, muss ich Abbitte leisten und ihm Recht geben. Die Wahrheit muss immer wieder erzählt werden. Es gibt tatsächlich Menschen, die verdrängen, vergessen und leugnen. Es werden sogar gefühlt immer mehr und sie sind gefährlicher denn je.

Yvonne Held

In der Hitlerjugend ließ er sich von den Nazi-Ideologien anstecken. „In Auschwitz wurden meine Mitbrüder zu Millionen vergast und ich schrie begeistert ,Sieg heil’. Meine Seele hat sich aufgespalten, es war ein reiner Schutzmechanismus. Ich war Jude und Nazi in einem Körper; Opfer und Täter. Bis heute sind die beiden Teile noch nicht wieder miteinander vereint“, sagt Perel traurig. „Vier Jahre lebte ich versteckt unter den mächtigen Todfeinden. Jede Stunde ist da eine Ewigkeit. Ich habe mir vorgestellt, wie sie mich entdecken und das Todesurteil an mir vollstrecken. Gleichzeitig waren unter diesen Uniformen doch alle normale deutsche Menschen mit Familien und Kätzchen Zuhause. Das war das Erschreckende, dass normale Menschen zu solchen Taten fähig waren“, meint er.

Von seiner Geschichte ableitend, zog er auch immer wieder einen Bezug in die heutige Zeit und erklärte, warum es ihm so wichtig ist, seine Lesereise in Schulen fortzusetzen. „Die Geschichte ist der beste Lehrmeister. Wir können heute analysieren, was damals in Deutschland falsch gelaufen ist, noch bevor Hitler an die Macht kam. Und wir sollten unsere Lehren daraus ziehen, damit eure Generation nicht wieder in so ein Verderben getrieben wird, wie wir damals“, wendete er sich direkt an die Schüler der FHS.

„Ich weiß, dass es auch heute viele Jugendliche und Erwachsene gibt, die wollen von den Verbrechen nichts wissen. Wenn sie es wirklich nicht wissen, dann sind sie in meinen Augen Dummköpfe. Wenn sie es wissen, aber es leugnen also als Auschwitz-Lüge bezeichnen, dann sind sie Verbrecher“, sagt Perel deutlich. Er empfiehlt jedem einen Besuch in Auschwitz. „Ich war selbst dort und habe die vielen Kinderschuhe aufgetürmt in einer Baracke gesehen. Da habe ich mir geschworen, so lange ich meine Schuhe trage, werde ich von den Verbrechen berichten. In meinen Ohren höre ich immer öfter die Schreie der verbrannten Kinder aus der Asche“, fügt er hinzu.

Auf die Frage eines Schülers, ob er Parallelen aus der Vorkriegszeit zu heute ziehen würde, nickte er. „Ja. Damals fing es auch kleiner an. Es wurde ein Sozialdemokrat erschossen, ein Gewerkschafter eingesperrt. Sie wurden als Einzelfälle abgetan. So wie heute auch“, sagt Perel.