Herdecke. Sie haben gehofft und gebangt, aber bisher hat sich nichts geändert. Ende 2019 muss Familie Schulte ausziehen. Doch Nachbarn solidarisieren sich.
Es ist eine vertrackte Situation – und eine hoch emotionale obendrein: Familie Schulte muss ihr Zuhause am Oberen Dellenweg bald räumen. So sagt es das Gesetz. Denn das Bleiberecht in dem einstigen Behelfsheim, das im Krieg ohne Baugenehmigung errichtet worden war, erlischt Ende 2019.
Die Eltern von Helmut Schulte (59) hatten es gebaut und dort Landwirtschaft betrieben; er selbst ist inmitten der idyllischen Natur auf dem oberen Nacken aufgewachsen und lebt dort heute noch mit Frau und Sohn, Hühnern und Gänsen. Aber: Nur für seine Eltern bestand eine Duldung auf Lebenszeit; sie erlosch mit dem Tod des Vaters im Dezember 2017.
Bereits Anfang 2018 hatte diese Zeitung über das Schicksal der Schultes berichtet. Sechs Wochen blieben Helmut Schulte nach dem Tod des Vaters, um das Erbe auszuschlagen. Andernfalls wäre er zum Abbruch der beiden Gebäude verpflichtet gewesen – Kostenfaktor: bis zu 100.000 Euro. Zu dieser Zeit konnte der Herdecker schon kaum mehr schlafen, hatte zehn Kilo abgenommen. Die Perspektive, bis Ende 2019 sein Zuhause verlassen zu müssen, hatte ihm arg zugesetzt. Doch es kam noch schlimmer; denn inzwischen ist seine Frau im Alter von nur 53 Jahren an Demenz erkrankt.
Bezirksregierung als Erbe
„Warum kann nicht alles wenigstens bis zu meinem Ableben so bleiben wie es ist?“ fragt Helmut Schulte. „Wir stören doch niemanden.“ Nachdem er das Erbe ausgeschlagen hatte, fielen Grundstück und Gebäude an die Bezirksregierung Arnsberg, deren Vertreter bereits zu einem Ortstermin am Oberen Dellenweg waren.
„Sie haben mir gesagt, meine Frau sollte ins Pflegeheim. Ich könnte das Grundstück ja kaufen, aber dann müsste ich die Häuser abreißen, und wieder neu bauen darf ich nicht. Denn es handelt sich wohl um einen Grüngürtel, der wieder aufgeforstet werden soll“, berichtet Helmut Schulte. Mutlos fügt er hinzu: „Die Situation ist menschenunwürdig. Man hat uns zwar angehört. Aber mit Herz ist niemand dabei; es geht nur noch um Statuten. Sie meinten, wenn ich jetzt hier wohnen bleiben dürfe, wolle mein Sohn das dann später auch. Aber das könnten wir doch schriftlich festmachen“, sagt der Herdecker. Er verstehe nicht, dass das Land hier Wohnraum vernichten wolle, wo doch Wohnungen überall so knapp seien. Er habe sich nie etwas zu Schulden kommen lassen, jeden Pfennig in Haus und Grund gesteckt und fühle sich jetzt von allen im Stich gelassen – auch von der Bürgermeisterin.
Bürger machen sich stark
Unterstützung bekommt die Familie indes von einigen Bürgern, die sich dafür einsetzen, dass für Helmut Schulte das Wohn-bzw. Bleiberecht „zumindest noch ein paar Jahre verlängert wird“. Gabriele Streckert, die sich mit Giulio Monsorno und Monika Krähling an die Redaktion gewandt hat, meint: „Seine Frau hat jetzt dort noch einen geschützten Bereich, der ihr vertraut ist und ihr durch den umzäunten Garten optimalen Freiraum ermöglicht.“ Das bebaute Grundstück würde dort niemanden stören. Gabriele Streckert fragt: „Muss es immer nach Recht und Gesetz gehen? Kann es nicht auch mal aus humanitären Gründen eine Ausnahme geben?“
Prozess „ergebnisoffen“
„Es ist verständlich, dass man darum kämpft, dort wohnen bleiben zu können“, sagt Stadtsprecher Dennis Osberg auf Nachfrage. Aber an der rechtlichen Situation habe sich in der Zwischenzeit nichts geändert. Es gelte der Gleichheitsgrundsatz, und es gebe keinen Ermessensspielraum. Bereits die Duldung auf Lebenszeit für den Errichter der Gebäude sei ein Entgegenkommen gewesen.
Bei der Bezirksregierung Arnsberg, die an die Stelle des rechtmäßigen Erben getreten ist, hieß es: „Alle Beteiligten wissen um die besondere Situation und die besonderen Lebensumstände der Familie.“ Anna Carla Springob von der Pressestelle der Bezirksregierung: „Es dauert noch eine Weile, aber alle versuchen, eine Lösung zu finden. Der Prozess ist ergebnisoffen.“ Auch wenn die Bezirksregierung nun Erbe sei, heiße das nicht, „dass wir das örtliche Baurecht aushebeln können. Wir können keinen Rechtsbruch begehen.“ Der Abriss der Behelfsheime falle in die bauordnungsrechtliche Zuständigkeit der Stadt Herdecke, mit der die Bezirksregierung in Kontakt stehe.
Helmut Schulte indes bleibt nichts anderes übrig, als zu warten. Und darauf zu hoffen, dass das Abrissverfahren lange auf sich warten lässt und eine Lösung gefunden wird.