Herdecke. Die Kinderneurologie am Ender Krankenhaus hat Verstärkung bekommen - unter anderem, um die Spur trügerischer Symptome besser verfolgen zu können.

Nennen wir den Jungen Felix. Felix (8) ist im Verhalten auffällig – wie etwa 20 Prozent aller Kinder und Jugendlichen, bis sie das Erwachsenenalter erreichen. ADS lautet eine erste Diagnose. Kommt in allen Familien vor. Dass Felix aber gar keine Aufmerksamkeitsstörung hat, sondern an einer seltenen genetischen Erkrankung leidet, daran denkt zunächst niemand. Genau diese Spur solch trügerischer Symptome verfolgen die Mediziner am Ender Gemeinschaftskrankenhaus. Und haben dafür jetzt Verstärkung bekommen. Vor wenigen Wochen ist Dr. Jan-Ulrich Schlump aus Essen an die Kinderneurologie des Ender Krankenhauses gekommen. Bislang leitete Prof. Dr. Oliver Fricke diese Klinikabteilung allein. „Jetzt teilen wir uns diese Aufgabe als Tandem“, sagt Schlump. „Gefühlt ganzheitlicher“ sei das Arbeiten in dem anthroposophischen Krankenhaus, so der 43-Jährige, der in Ende nun seine dritte Oberarztstelle bekleidet. „Zudem steht der Patient mehr im Mittelpunkt. Ich war ja schon in mehreren Häusern; hier ist es ein angenehmes Arbeiten, interkollegial und patientenzentriert.“

Prof. Dr. Oliver Fricke, Leiter der Kinderneurologie am Herdecker Gemeinschaftskrankenhaus.
Prof. Dr. Oliver Fricke, Leiter der Kinderneurologie am Herdecker Gemeinschaftskrankenhaus. © GKH

Wartezeiten verringern

Mit der personellen Verstärkung der Kinderneurologie einher gehe eine Erweiterung der ambulanten Sprechstunde, um die Wartezeiten deutlich zu verringern. „Die Idee war, die Versorgung auf ein angemessenes Maß hinzubekommen; denn“, so Dr. Schlump, „der Bedarf ist erdrückend. Jetzt kann ich mir in der ambulanten Sprechstunde bis zu einer Stunde Zeit pro Patient nehmen.“ Im Notfall, so der Mediziner weiter, gibt es sofort einen Termin, „spätestens jedoch innerhalb einer Woche“. Und Oliver Fricke ergänzt: „Man kann in der Kinderneurologie fast alles ambulant machen, wenn man Kontakt zum Patienten hat. Das Ziel ist, eine ambulante Versorgung und wenn möglich nur kurze stationäre Aufenthalte – also genau das, was unser Gesundheitssystem ja auch will.“

Und woher kommen all die kleinen beziehungsweise jungen Patienten, die in Ende behandelt werden? „Etwa 50 Prozent kommen aus dem Nahbereich. Die restlichen 50 Prozent kommen von überall her, weil sie erstens die Komplexität des Angebots nutzen wollen, weil es hier alles gibt. Und zweitens, weil sie den anthroposophischen Ansatz wollen und eine Drittmeinung suchen“, so Jan-Ulrich Schlump.

Transparenz für die Patienten

Er betont: „Wir haben auch nicht den Stein des Weise hier, aber Patienten Transparenz geben, das können wir. Das ist ein wesentlicher Punkt, und dafür braucht man Zeit“ Keineswegs nehme sich die Ender Klinik allerdings aus der Pflicht, „genauso gründlich den schulmedizinischen Aspekt zu überprüfen. Manchmal findet man noch etwas. Aber die Mischung aus Hight-Tech-Medizin und dem ganzheitlichen Ansatz, die ist schon besonders hier.“

Heute wisse man etwa, dass nicht wenige neurodegenerative Erkrankungen mit psychiatrischen Symptomen beginnen - also zum Beispiel mit Halluzinationen. Und erst später würden sich die klassischen neurologischen Symptome zeigen. Früher habe man das oft nicht erkannt, so Fricke. „Es gibt vermehrt Therapien für diese Erkrankungen, die das Fortschreiten aufhalten können. Zunehmend kann man Teile dieser Krankheiten gut behandeln. Übrigens gehören auch Verhaltensauffälligkeiten zu solchen ersten Symptomen.“

Kommunikation zum Hausarzt

So könnten Kinder wie Felix, der Aufmerksamkeitsprobleme hat, durchaus auch an Morbus-Niemann-Pick Typ C erkrankt sein. „Ihr Körper speichert ein Produkt. Das brauche ich zwar, aber wenn ich es nicht wieder loswerde, macht es Probleme. Wichtig ist dann, genau das zu erkennen und nicht zu sagen: Das Kind ist verzogen. Diese jungen Patienten haben früh Augenbewegungsstörungen, die schwer zu erkennen sind. Wir haben hier in der Klinik ein Kamerasystem, mit dem man das erkennen kann. Es kommen also durchaus Patienten mit scheinbarem ADS, die aber etwas ganz anderes haben.“

Deswegen sei es am Ende sehr wichtig, dass auch mit den Primärversorgern, also den Hausärzten, die Kommunikation reibungslos laufe. Denn für die Kinder sei der Kinderarzt in der Rolle des Hausarztes zunächst einmal der wichtigste Ansprechpartner, der für seine jungen Patienten dann den richtigen Ansprechpartner in der Diagnostik seltener Erkrankungen auswählen muss.

Arzt lobt „Ausstattung wie in Uni-Klinik“

In der Kinderneurologie beschäftigen sich die Mediziner mit allem, was mit dem zentralen und dem peripheren Nervensystem zu tun hat – also vom Gehirn bis zum Muskel. Im Fokus stehen Erkrankungen wie Epilepsie, Entwicklungsstörungen und Behinderungen.

Ein Schwerpunkt der Arbeit von Dr. Schlump ist die „Tuberöse Sklerose, ein seltenes neurokutanes Syndrom. Das ist eine Erkrankung, die den ganzen Körper betrifft und in verschiedenen Altersstufen an verschiedenen Organen Tumore produziert. Sie geht einher mit Entwicklungsstörungen, Epilepsie und so weiter“, so Schlump.

Für den „Neurologen für Kinder“ gab es vor allem einen Grund, nach Herdecke zu kommen: „Die materielle und personelle Ausstattung ist wie in einer Uni-Klinik. Hier gibt es ein großes Neuro-Zentrum, mit einer großen Neuro-Chirurgie, einer Neuroradiologie mit zweihochmodernen MRT- Geräten und auch eine Erwachsenen-Neurologie. Und das bedeutet, dass auch die Transition, also die Überführung von der Kinder- in die Erwachsenenneurologie, nahtlos möglich ist.“ Prof. Dr. Oliver Fricke nickt und ergänzt: „Es gibt nur wenige Orte, wo alle Erkrankungen auf einmal behandelt werden, an denen Kinder- und Jugendpsychiatrie und Kinderneurologie unter einem Dach sind und so verzahnt arbeiten wie hier in Herdecke. Denn es gibt so gut wie keine neurologische Erkrankung, bei der nicht auch psychische Symptome bzw. Krankheitszeichen auftreten.“ Eine weitere Besonderheit der Ender Klinik sei die Kinder-Neurochirurgie/ Kinder- Neuroonkologie und die Nachsorge. „Auch hier können wir das komplette Programm an einem Ort anbieten“, so Fricke weiter. Schließlich wünsche man sich als Mediziner, „dass der Patient nicht zwischen Kliniken hin- und hergeschickt wird, sondern eine ganzheitliche Behandlung vor Ort bekommt.“ Hinzu komme, dass Familien selbstbestimmter geworden seien: „Sie wollen Transparenz, die auch uns wichtig ist. Wir wollen Eltern und Jugendlichen ein transparentes Angebot auf Augenhöhe machen.“