Wetter/Hagen. . Rollte von Nürnberg nach Fürth die erste Eisenbahn oder doch von Wetter nach Hagen-Haspe? Eine historische Spurensuche unseres Tauschreporters.

Die Adlerlüge! Ich war noch keine Stunde in meinem neuen Berufsumfeld in Hagen, da wurde ich schon feixend mit der Festellung konfrontiert, dass das Deutsche Verkehrsmuseum Nürnberg, eine Institution in meiner Heimat, seit Jahrzehnten Geschichtsklitterung betreibe. Ruhm und Ehre, die erste Eisenbahn Deutschlands gebaut zu haben, gebühre eigentlich der Unternehmerlegende Friedrich Harkort aus Wetter. Aha.

Wie Milliarden anderer Leute außerhalb von Wetter und Hagen bin ich in dem irrigen Glauben aufgewachsen, dass die Erde eine Kugel ist, Äpfel schwerer sind als Luft und die erste deutsche Eisenbahn anno 1835 zwischen Nürnberg und Fürth verkehrte. Nebenbei: Nürnberger sind stolz darauf, dass die Ludwigsbahn in ihrer Stadt loszuckelte. Fürther finden es besonders erwähnenswert, dass sie den Zielbahnhof stellten. Lokale Befindlichkeiten, die das Verhältnis der beiden fränkischen Schwestern bis heute prägen; dass Club und Kleeblatt in der kommenden Saison wieder gemeinsam in einer Liga kicken, trägt da eher nicht zur Befriedung bei.

Diese Schiene der Kohlenbahn wurde bei Forschungsgrabungen entdeckt
Diese Schiene der Kohlenbahn wurde bei Forschungsgrabungen entdeckt © Historisches Centrum Hagen

Dennoch: An sportliche Niederlagen haben sich die Franken notgedrungen gewöhnt, ein Sturz vom Thron der Eisenbahn-Bundesliga hätte noch eine ganz andere Dimension „Sollte sich bewahrheiten, dass die Hasper Kohlenbahn, die erste Bahnstrecke Deutschlands war, müssten die Geschichtsbücher umgeschrieben werden.“ Mit augenzwinkerndem Lokalpathos hatte diese Zeitung im Juli 2017 die Frage aller Fragen aufgeworfen – ohne danach jemals eine verlässliche Antwort gegeben zu haben. Das ist jetzt mein Job.

Vor zwei Jahren also regte die Bezirksvertretung Haspe ein Forschungsprojekt an, das die historische Bedeutung der Kohlenbahn belegen sollte. Ein Archäologe wurde losgeschickt, um Bahnüberreste auszubuddeln, ich nehme an, am besten welche aus der Kreidezeit, um jedweden Zweifel an der Einmaligkeit des Pioniergeistes in Hagen und Wetter zu tilgen.

Für weitere Grabungen fehlt das Geld

Als gesichert gilt, dass ab 1829 Kohle von der Zeche Trappe bei Silschede/Wetter in die Enneper Straße rollte. Die Holzschienen waren mit Eisen beschlagen und erstreckten sich über eine preußische Meile (knapp acht Kilometer). Gezogen wurden die Wagen von Pferden. Gebaut hatte die Bahn der Eisenfabrikant und Industriepionier Harkort mit seinem Bruder Johann Caspar. Nach einer wechselvollen Geschichte war 1960 Schluss auf der Trasse, danach wurde sie abgerissen, beseitigt, vergessen.

Der Hagener Stadt-Historiker Dr. Ralf Blank hätte den mutmaßlichen Eisenbahnschatz gerne gehoben und zum Industriedenkmal aufpoliert. Doch daraus wird – zumindest vorerst – nichts. „Leider war die archäologische Ausbeute nicht so umfangreich wie erwartet.“ Vielleicht müsste man länger und tiefer schürfen, aber dafür hat die klamme Stadt kein Geld. Blank: „Andere Projekte wie die Blätterhöhle und die Raffenburg sind dringlicher.“

Aus meiner fränkischen Sicht halte ich das natürlich für eine kluge Entscheidung. Der Geschichtsbuch-Eintrag bleibt unser! Daran lässt Dr. Rainer Mertens (Verkehrsmuseum Nürnberg) sowieso nur bedingt Zweifel zu. „Die Ludwigsbahn war vielleicht nicht die erste Eisenbahn Deutschlands, aber sicher die erste öffentliche mit Personentransport und Dampfbetrieb.“

Immerhin: Laut Ralf Blank spezialisierten sich die Harkorts als erste deutsche Unternehmer auf die Produktion von Eisenbahnzubehör. Natürlich lieferten sie auch nach Nürnberg. Vielleicht wäre der „Adler“, die legendäre Lok des englischen Ingenieurs George Stephenson, sonst nie gefahren. So viel Ehre für Hagen darf schon sein.

Hintergrund

In den 20er-Jahren des 19. Jahrhunderts pendelte die Kohlenbahn von Friedrich Harkort („Schlebusch-Harkorter Eisenbahn“) zwischen der Harkort’schen Fabrik und den Zechen bei Silschede/Wetter und versorgte die Produktionsstätte des Industriepioniers mit Kohle aus den nahen Stollen. Der Industriepionier verfolgte mit seinem Bruder Johann Caspar für den Transport von Gütern – vorzugsweise Kohle – schon zu einem frühen Zeitpunkt die Vorstellung von Schienenwegen und gründete 1826 die erste deutsche Eisenbahngesellschaft.

Nach mehrjähriger Bauzeit konnte 1829 unter der Regie eines Konsortiums eine Kohlenbahn mit Pferdebetrieb eingeweiht werden. Die geplanten Baukosten von 15 500 Talern hatten sich bis zur Fertigstellung nahezu verzwölffacht. Die etwa acht Kilometer lange Strecke verband Harkorts Eisenwerk in Haspe über Grundschöttel mit der Zeche Trappe hinter Silschede. Erst zogen Pferde einen aus neun Wagen bestehenden Zug, ab 1876 waren es Dampflokomotiven.

Ab dem 8. Dezember 1835 dampfte die Lokomotive „Adler“ zweimal täglich zwischen Nürnberg und Fürth, um 13 und um 14 Uhr. Davor und danach mussten wieder Rösser aus Fleisch und Blut ran. Die Kohle war zu teuer, die neue Technik zu störanfällig.

Frühere Versuche, Pferde durch Dampfloks zu ersetzen – übrigens nicht in Hagen, sondern an der Saar und in Schlesien – waren 1816 und 1819 gescheitert.

Die Spurbreite der fränkischen Ludwigsbahn von 143,5 Zentimetern gilt bis heute für alle Bahnstrecken Deutschlands, die ersten Hagener Schienen der Kohlenbahn lagen nur 65,5 Zentimeter auseinander.

Der Autor

Autor Kurt Heidingsfelder ist Redakteur bei den Nürnberger Nachrichten. Im Rahmen des Projektes „Reportertausch“ ist er nun für die Stadtredaktion Hagen unterwegs.