Wengern. . Als kürzlich Kampfmittel in der Ruhr am Elbsche-Zufluss gefunden wurden, fühlte sich Wilfried Brüggestrat aus Wengern an seine Kindheit erinnert.

Wenn Wilfried Brüggestrat an die Bauarbeiten zur Renaturierung der Ruhr an der Stadtgrenze Wetter-Witten denkt, kommen Erinnerungen an die Kindheit in ihm hoch. Erst recht, als kürzlich von Munitionsfunden nahe der Elbsche-Mündung die Rede war. Dort hat er – wie viele ältere Wengeraner auch – früher viel Zeit verbracht. Das Besondere: Brüggestrat, Jahrgang 1947, hat die Ruhr gewissermaßen zu seinem Hobby gemacht und viele historische Bilder gesammelt. Dazu gehören alt-ehrwürdige Postkarten und schöne Schwarzweiß-Fotos, die ältesten entstanden um 1900.

Dabei hat der Wengeraner, der viel zur Ortsentwicklung (über den Fluss hinaus) erzählen kann, einen speziellen Bezug zu dem Stadtteil. „Meine Familie ist seit langer Zeit hier heimisch, das lässt sich bis ins 17. Jahrhundert zurückverfolgen.“ Schon sein Vater habe historische Bilder gesammelt, ehe die Kiste mit diesen „Schätzchen“ bei Sohn Wilfried landete. Sein Geschichtsinteresse will er aber nicht an die große Glocke hängen, gleichwohl redet er leidenschaftlich gerne über die Ruhr. Über Zeiten, als diese noch schiffbar war oder der König von Preußen 1735 dafür ein Gutachten in Auftrag gab. Oder über die Veränderungen der Elbsche-Mündung, zumal der Bach im vergangenen Jahrhundert noch auf anderen Wegen als heute zum großen Fluss führte. „Wir konnten früher am Altarm bzw. Spiek nahe der Eisenbahnlinie Schlittschuh laufen, das ging fast bis zum Campingplatz Steger.“

Gern verbindet Brüggestrat historische Veränderungen mit persönlichen Erlebnissen. „Ich habe in der Ruhr als Zehnjähriger Schwimmen gelernt, in Wengern gab es früher ein Strandbad im Fluss.“ In manchen Passagen konnten kleinere Kinder nicht stehen, größere schon. „Da ging es auch nicht immer zimperlich zu, da wurde man schon mal geschubst und zum Schwimmen gezwungen, obwohl man das nicht konnte. Die älteren Kameraden haben einem dabei aber geholfen.“

Musik, Sprungturm und Liegewiese

Apropos früher: Wengern war mal ein Luftkurort. Fotos von der Ruhr aus dem Jahr 1925 wiederum zeigen ein Strandbad („So wie es jetzt teilweise in Bommern wieder gewünscht wird“) mit einem Pavillon, wo Musikanten auftraten und Leute feierten. Auf einem anderen Bild ist die Natur-Badeanstalt 1927 und 1943 zu sehen, in den 30-er Jahren und während des zweiten Weltkriegs gab es nahe der Elbsche-Mündung sogar ein Sprungbrett. „Die Möhne-Katastrophe 1943 riss dann alles fort“, so Brüggestrat.

Bei den Gedanken an den Mühlengraben, der damals parallel entlang des Flusses führte, erinnert sich der Wengeraner an die Ruhr als beliebten Treffpunkt für Familien aus dem Stadtteil. Während es sich die Erwachsenen auf der Liegewiese (heutzutage unterhalb des EZM-Firmengeländes) bequem machten, suchten die Kinder Abenteuer am Gewässer. „Wir haben da in den Sommerferien Schilfbündel abgeschnitten und damit Hölzer zusammen gebunden, um uns auf einem selbst gebauten Floß treiben zu lassen. Über Trampelpfade ging es dann zurück.“ Im Zuge des Wirtschaftswunders in Deutschland nutzte der Nachwuchs dann Auto- und Lkw-Reifen für den Badespaß, das Aufpumpen erfolgte an einer nahegelegenen Tankstelle.

Gefahr durch Granaten ignoriert

All das geschah Ende der 1950-er, Anfang der 1960-er Jahre. Zu jener Zeit beinhalteten die Freizeitstunden an der Ruhr noch einen besonderen Nervenkitzel. Schwimmen im Fluss geriet zur Mutprobe. „Wir wussten, dass es nahe der Elbsche-Mündung Kampfmittel gab. Das hatten uns die großen Jungs erzählt und ihre Ortskenntnis weitergegeben.“ Die Gefahr am dicht bewachsenen Ufer kannten die Kinder wie der junge Wilfried. Im fortgeschrittenen Alter erfuhr Brüggestrat dann die Zusammenhänge. „Auf den Hügeln standen im Zweiten Weltkrieg Flakbatterien, um Flugzeuge der Alliierten abzuschießen. Die Maschinengewehr-Stellungen brauchten Unmengen Munition. Gegen Kriegsende, als die Amerikaner im Anmarsch waren, sollten sich denen hier keine Angriffspunkte bieten, also hat man 1945 die Munition einfach in die Ruhr geschüttet.“ Strömungen und Hochwasser sorgen dafür, dass sich diese Hinterlassenschaften weiträumig verteilten.

Ende Mai sollen Bauarbeiten enden

Laut Bezirksregierung Arnsberg biegen die Arbeiten zur Renaturierung an der Ruhr im Abschnitt Wengern/Bommern auf die Zielgerade ein. Im Naturschutzgebiet an der Elbsche-Mündung seien Restarbeiten zu erledigen, Bauverantwortliche sahen dort jedoch schon brütende Vögel. Da noch Zäune fehlen, können Passanten den neuen Aussichtshügel neben der jüngst gebauten Brücke über den Bach aber noch nicht betreten.

Flussaufwärts gehe es ebenfalls voran. Zufrieden ist die Behörde mit den neuen Verläufen des Stollen- und Varneybachs. Die provisorische Brücke am Ruhrtalradweg ist abgebaut, nebenan entsteht derzeit der zweite Aussichtshügel mit recht flacher Neigung, damit auch Rollstuhlfahrer und Spaziergänger mit Rollatoren hinauf kommen. Die Gesamtmaßnahme will die Bezirksregierung Ende Mai abschließen.

Als die Bezirksregierung nun von entdeckten Kampfmitteln an der Elbsche-Mündung berichtete, kam das älteren Wengeranern bekannt vor. „Aus Kindheitstagen ist mir noch ein Gefahrenschild mit einem Explosions-Symbol am Ruhrufer in Erinnerung. Je nach Wasserstand war die Maschinengewehr-Munition durchaus sichtbar.“ Wagemutige Jugendliche seien nach Kriegsende sogar in manchen Abschnitten getaucht, um etwa nach Granaten zu suchen. „Die kannten sich damit ansatzweise aus. Es war ein spielerischer Umgang damit, aus heutiger Sicht sicher nicht ungefährlich.“ Zumal in der Ruhr über selbst gebaute Knallkörper auch mal Wasserfontänen aufstiegen. Verletzte habe es, seiner Kenntnis nach, dadurch aber nicht gegeben.

Als der Fluss immer schmutziger wurde, nahm der Badespaß ab. Ende der 1960-er, Anfang der 1970-er Jahre ging Wilfried Brüggestrat nur noch „mit einem unguten Gefühl ins Wasser der Ruhr. Die schönen Zeiten an der mehr oder weniger improvisierten Badestelle waren für uns Wengeraner vorbei.“