Herdecke. . „Wer’s glaubt, ist selig“, heißt das neue Buch von Rutger Booß aus Herdecke. Es erzählt die Geschichte der Wunder und warum wir an sie glauben.
Wunder haben Konjunktur, bei Frauen stärker noch als bei Männern. Die Geburt eines Kindes, die Schönheit der Natur, das Überleben einer schweren Krankheit – all das wird als Wunder empfunden. Büchern über diesen Glauben hat Rutger Booß aus Herdecke jetzt „eine kurze Geschichte der Wunder“ hinzu gefügt. Sie trägt den Titel „Wer’s glaubt, ist selig“.
Worüber können Sie sich denn noch wundern?
Rutger Booß: Ich wundere mich fast täglich, meistens über politische Vorgänge wie diesen unsäglichen Brexit, der nicht nur die Engländer ins Elend stürzt sondern für ganz Europa große Probleme mit sich bringt. Ich wundere mich über die Bundespolitik, ich wundere mich über die Landespolitik. Über die Kommunalpolitik, in der ich ja selbst als sachkundiger Bürger aktiv bin, wundere ich mich nur ein klein bisschen.
War der Auflagenerfolg und das Etikett „Spiegel Bestseller“ bei Ihrem ersten Buch für Sie auch so etwas wie ein kleines Wunder?
In der Tat. Mit diesem Erfolg hatte ich nicht gerechnet. Es sind über 25.000 Exemplare verkauft worden. ich bin davon ausgegangen, dass man von so einem Senioren Bashing in ironischer Form mal gerade 2000 Stück verkaufen kann. Es hat sich herausgestellt, dass dieses Seniorenbuch ein Geschenkbuch wurde, das man gerne 65-Jährigen zum Abschied von ihrem Berufleben schenkte. Daran hatte ich im Traum nicht gedacht.
Was fasziniert Sie an Wundern so, dass sie darüber ein ganzes Buch schreiben wollten?
Das Thema hat mich umso stärker eingefangen, je länger ich mich mit ihm beschäftigt habe, weil ich zuerst gar nicht den Dreh hatte, dass Wunder mit der Ausbreitung und der Machtsicherung von Religionen zu tun haben.
Auf dem Einband wird „eine kurze Geschichte“ der Wunder angekündigt. 286 Seiten umfasst sie. Wie umfangreich wäre eine lange Geschichte geraten?
Die müsste mehr als 1000 Seiten umfassen, denn ich habe mich zwar mit dem Christentum relativ ausführlich beschäftigt, aber Hinduismus, Buddhismus, Islam kommen doch sehr kurz nur vor. Auch die Wunder in Naturreligionen habe ich nur randständig behandelt. Und mein Bruder Bernhelm, emeritierter Professor für Mathematik in Dänemark, hatte sich eigentlich erhofft, dass ich auch über Wunder in der Mathematik schreiben würde (lacht). Aber davon verstehe ich viel zu wenig.
Wunder und Glaube liegen dicht beieinander. Hatte Marx Unrecht, ist der Glaube an Wunder das wahre Opium des Volkes?
Marx hatte da völlig recht, wobei es ja interessant ist, dass seine Formulierung, dass Religion Opium für das Volk ist, genau zu dieser Zeit entstanden ist, als in Trier eine Hysterie um den Heiligen Rock entbrannte in der Mitte des 19. Jahrhunderts.
Gab es einen zündenden Anlass für ein Buch über Wunder?
Der Anlass war eine Zeitungsmeldung in der stand, dass eine Statue des letzten russischen Zaren Nikolaus II in einer russischen Kleinstand zu weinen anfing. Das fand ich schon mal bemerkenswert, zumal kurz vorher Putin die Krim zum „Heiligen Land Russlands“ erklärt hat, vergleichbar dem Heiligen Status von Jerusalem. Mein Interesse war dann vollends geweckt, als wenige Tage später eine weitere Meldung durch die Medien ging, dass Leninstatue an der finnischen Grenze ebenfalls zu weinen angefangen hätte, was natürlich ein Fake war. Ob es die erste auch war, kann ich nicht beurteilen. Die weinende Statue des hingerichteten letzten Zaren und die weinende Leninstatue als Kontrapunkt fand ich so schräg, dass ich da ein interessantes Thema gesehen habe.
Wenn Sie donnerstags mit ihren Freunden im Café Kornspeicher sitzen, werden dann auch Wundergeschichten erzählt?
Das sind meistens doch nur kleine Wunder. Wir schmunzeln dann doch gemeinsam immer über kommunalpolitische oder allgemeinpolitische Fragen. Leider ist das in unserem Alter dann auch so, dass Ärztebesuche auch ein Rolle spielen, aber da gibt es bei mir und meinen Freunden so weit ich sehe keinerlei medizinische Wunder.
Sie haben tief gegraben, beispielsweise bei Cicero, der Wunder schon widerlegt hat vor Christi Geburt. Warum funktioniert das trotzdem immer noch?
Zur Person: Rutger Booß
Rutger Booß ist 74 Jahre alt und Germanist und Historiker. Er lebt mit seiner Frau in Herdecke.
Rutger Booß war Verlagslektor und Verlagsleiter. „Im Ruhestand“ wollte er auch noch die Autorenseite kennenlernen.
Sein 2017 erschienener Bucherstling „Immer diese Senioren – 111 Gründe, warum sie uns in den Wahnsinn treiben“, schaffte es in die SPIEGEL-Bestsellerliste.
Darauf habe ich leider keine Antwort. Ich war selbst überrascht, dass die alten Römer doch schon Skeptiker von so hohen Graden waren, dass sie dieses ganze Wundergedöns für absurd hielten. Es hat sich aber trotzdem gehalten. Das hängt natürlich auch mit dem Aufstieg des Christentums zusammen. Aus meiner Sicht ist die Propagierung von Wundern äußerst wichtig für die Entwicklung des Christentums, für die Festigung einer Gemeinde. Die Hoffnung auf Wunder hat einen solchen Trostcharakter, der für arme kleine sozial schwache Menschen sehr, sehr verheißungsvoll ist.
Bleibt irgendwann mal vom Christentum nur noch dieser christlich motivierte Wunderglaube übrig?
Keine Ahnung. Ich bin mal gespannt auf den Kirchentag im Juni in Dortmund und welche Impulse so ein Kirchentag im Jahr 2019 auf die Fragen der Gegenwart geben kann. Obwohl ich mich eigentlich als Agnostiker kenne, also als jemand, der nicht weiß, ob es einen Gott gibt oder nicht, lese ich trotzdem immer wieder mit Interesse Chrismon, die bekannte evangelische Zeitungsbeilage.
Wunder sind für Glauben wichtig, Wunder werden aber auch in der Politik eingesetzt. Kann man das gelassen betrachten oder können Wunder in diesem Sinne auch gefährliche Waffen sein?
Es ist eindeutig so, dass Wunder als Instrument besonders gefährlich sind. ich habe ja mit großer Heiterkeit über Marienerscheinungen und Ähnliches geschrieben, aber meine Heiterkeit als Autor hörte da auf, wo es um die Instrumentalisierung von Wundern in der nationalsozialistischen Politik ging. Goebbels, der Protagonist eines nationalsozialistischen Wunderglaubens war, hat 1934 schon gesagt, ,Politik ist das Wunder des Unmöglichen’. Das ist natürlich ganz gefährlich. Ein Mann wie Trump heute beschwört ja auch ein Wunder herauf, was so nicht eintreten kann, nämlich das Wunder einer einzigen, in sich ruhenden, selbst isolierten Weltmacht. Das ist ja ein völliger Irrglaube, der da herrscht.
Glaube und Hoffnung legen dicht beieinander. Worauf hoffen Sie denn noch?
Ich persönlich hoffe, dass die Altersgebrechen nicht zu schnell Herrschaft über mich gewinnen. Leider ist das Jahr 2018, in dem ich die allergrößten Anteile am Schreibtisch verbracht habe, meiner Gesundheit nicht förderlich gewesen. Jetzt bin ich von der Last des Buchschreibens befreit und hoffe, dass ich mehr für meine Gesundheit tun kann, zum Beispiel durch den lange vernachlässigten Besuch in der Mucki-Bude im Zweibrücker Hof, oder, wenn das Wetter wieder etwas besser wird, durch häufigen Besuch auf dem netten kleinen Golfplatz hier in Ostende.