Herdecke. . Was wäre, wenn die Stadt Herdecke das Kanalnetz auf den Ruhrverband übertragen würde? Eine große Chance, viel Skepsis und ein Prüfauftrag

Jahr für Jahr werden Millionen mehr ausgegeben als eingenommen. Die Musikschule steht zur Disposition. Das Freibad ist noch nicht dauerhaft gerettet. Der mittelfristige Finanzausgleich wird immer schwerer. Dabei liegt das Geld doch unter der Straße: Die Stadt Herdecke könnte die Kanalisation an den Ruhrverband verkaufen, einen zweistelligen Millionenbetrag dafür einstreichen und finanziell ziemlich viel Luft gewinnen. Ein Traum? Im Gegenteil. Jan Schaberick von der SPD hat in seiner Haushaltsrede auf diesen Weg hingewiesen, den vielleicht auch die Hattinger gehen wollen. Die Verwaltung hat in der Sitzung gesagt, dass ihr solche Finanzierungsmodelle bekannt seien. Und warum hat die Politik nicht längst schon darüber beraten? Die Lösung ist nicht ohne Tücken, auch wenn andere Städte schon von ihr profitieren.

In Wetter bleibt Entwässerung beim Stadtbetrieb

Auch Wetter weiß von der Übertragungsmöglichkeit an den Ruhrverband. „Der Stadt ist aber vom Ruhrverband kein konkretes Angebot vorgelegt worden“, heißt es auf Anfrage.

„Wir sehen für ein derartiges Vorhaben auch keine Notwendigkeit“, so Pressesprecher Holsteg. Die Entwässerung durch den Stadtbetrieb funktioniere gut.

Generell gelte: „Die Entwässerung ist ein Element der Daseinsvorsorge. Sie verbleibt daher, im Sinne der Bürger, in den Händen des Stadtbetriebes.“

Über 20 Millionen Euro hat Schmallenberg vom Ruhrverband als Ausgleichszahlung erhalten. Dafür ist das Kanalvermögen an den Verband gegangen. Schmallenberg ist damit die erste NRW-Kommune, die von dieser Übertragungsmöglichkeit Gebrauch gemacht hat. Zu finden ist die so genannte Kanalnetzoption in der Novelle des Landeswassergesetzes von 2016. Dass Hattingen in die gleiche Richtung denkt, brachte er Jan Schaberick in seiner Haushaltsrede unter. Mittlerweile kennt er noch ein besseres Beispiel: Nordkirchen, nördlich von Dortmund gelegen, hat im letzten Jahr seine Abwasserbeseitigung und das Kanalnetz auf den Lippeverband übertragen. Er ist mit dem Ruhrverband vergleichbar.

Wieso will ein Verband so viel Geld dafür ausgeben, dass er Herdecke von der Pflicht zum Sammeln und Fortleiten von Abwasser befreit? Weil es „sowohl ökologisch als auch ökonomisch sinnvoll ist, die Siedlungsentwässerung aus einer Hand zu erledigen“, so Markus Rüdel, Pressechef beim Ruhrverband. Im Blick hat er Planung, Bau, Finanzierung und Betrieb der Kanalisation wie der Kläranlagen. Durch die ganzheitliche Betrachtung sei „eine möglichst weitreichende Ausschöpfung von Synergien zu erreichen“.

Gebührenhoheit bleibt bei der Stadt

„Für die Bürger der Stadt Schmallenberg wird sich nichts ändern“, hat der Ruhrverband erklärt, nachdem das wirtschaftliche Eigentum am Kanalnetz auf ihn übergegangen ist. Die Gebührenhoheit und die Ausstellung der Gebührenbescheide verbleibe bei der Stadt. Dennoch haben sich die anderen Städte des Kreises Olpe von Schmallenberg nicht so leicht anstecken lassen. Dennis Osberg, Pressesprecher der Stadt Herdecke, wundert das nicht. „Das Kanalnetz gehört den Bürgern der Stadt“, und: „Man kann es nur einmal verkaufen“ erklärt Osberg, warum die Verwaltung genau hinschauen wird, wo die Chancen, aber auch die Risiken bei der Offerte des Ruhrverbandes liegen.

Einen entsprechenden Prüfauftrag hat die Stadtverwaltung bereits. Erteilt hat ihn der Rat in breiter Mehrheit in seiner Dezembersitzung. „Die Stadt hat bereits erste Gespräche geführt mit anderen Kommunen“, sagt Osberg über die Abarbeitung des Prüfauftrages.

Grundsätzliche Entlastung

Für die aktuellen Haushaltsberatungen war der Vorschlag nicht gedacht. Jan Schaberick sieht mehr die grundsätzliche Entlastung. Der Prüfung vorgreifen will auch er nicht. Was aber wäre, wenn sich irgendwann eine Mehrheit dafür finden würde, das Vermögen unter den Fahrbahndecken in eine Finanzspritze für den städtischen Haushalt zu verwandeln? Schaberick würde „erst mal Schulden tilgen mit dem Geld“ und sieht die anderen Parteien dabei an seiner Seite. Weniger Schulden bedeuten weniger Zinsaufwendungen, und das bedeutet mehr Freiheiten gegenüber der Finanzaufsicht. Ob das der Musikschule hilft oder dem Freibad oder vielleicht sogar einem Schulanbau zu einer Mehrheit verhilft, müsste die politische Diskussion zeigen. Trotz des möglichen Millionenbetrags gibt sich Schaberick vernünftig: „Das ist schließlich kein Lottogewinn, bei dem man sich einen Ferrari kauft.“

<<<Zusatzinformationen>>>

Bislang schon fließt das Abwasser aus Herdecke ab der Stadtgrenze im Verantwortungsbereich des Ruhrverbands. Im Grundsatz stehe allen der 60 Mitgliedskommunen die „Kanalnetzoption“ offen, heißt es. In einigen Städten wird das Pro und Contra für eine Übertragung des Kanalvermögens diskutiert. In Schmallenberg (25.000 Einwohner) hatte die dortige UWG Argumente für und gegen den Millionen-Deal gesammelt. Hier eine kleine Auswahl:
+ Alle Pflichten und Risiken bei der Abwasserbeseitigung gehen auf den Ruhrverband über.
+ Der Personaleinsatz ist wirtschaftlicher, da alle Funktionen des Personalbereichs beim Ruhrverband ohnehin vorhanden sind.
+ Die Aufgaben der Stadt werden nicht vollständig outgesourct. Gebührenkalkulation und Gebührenabrechnung bleiben bei der Stadt.
+ Der Ruhrverband übernimmt das Kanalnetz für ca. 21 Mio. € zunächst für 20 Jahre. Das im Kanalnetz gebundene Vermögen steht der Stadt für andere Zwecke zur Verfügung.
+ Eine Rückkaufoption ist vereinbart, die Stadt kann später wieder Eigentümer des Netzes werden.

- Kommunen sollten nicht ihre erbeigensten Aufgaben zur Daseinsvorsorge abgeben. Das Kanalnetz gehört in die Verantwortung der Gemeinde und sollte kein Objekt der Gewinnoptimierung werden.
- Es ist nicht erkennbar,warum die Verantwortung für das Kanalnetz in den vergangenen Jahren durch die Stadt getragen werden konnte und jetzt nicht mehr.
- Die Gebührenstabilität wird nur für fünf Jahre garantiert.
- Die Rückkaufoption nach 20 Jahren gilt nur theoretisch. Faktisch wird es nicht dazu kommen, weil das eigene Know-how in der Zwischenzeit verloren geht. Der Verkaufserlös ist bis dahin vermutlich längst für andere Zwecke ausgegeben.