Herdecke. . Gerhard Helmenstein (86) übergibt den Salon am Kirchender Dorfweg an Heike Dessel. Der 86-Jährige freut sich auf freie Zeit in Haus und Garten.
Wo soll man anfangen, über einen Mann zu schreiben, dessen Berufsleben heute nach sage und schreibe 72 Jahren endet? Bei den kilometerlangen Wegen, die er im Zweiten Weltkrieg vom Ahlenberg aus zu seinem Ausbildungsplatz nach Kirchhörde zu Fuß zurücklegte? Oder bei der Heißluftdauerwelle, die seine Nachfolgerin nur noch aus dem Museum kennt? Mit Friseurmeister Gerhard Helmenstein geht am Kirchender Dorfweg eine Ära zu Ende. 1962 eröffnete der 86-Jährige dort seinen Friseursalon; am Samstag verabschiedet er sich mit einem Gläschen Schampus von seinen Kunden, die ihm teils viele Jahrzehnte lang die Treuer hielten.
Lehrzeit in Kirchhörde
„Ich arbeite seit halb acht – ohne Pause“, sagt Gerhard Helmenstein, als er sich an seinem vorletzten Arbeitstag zum Gespräch mit der Lokalredaktion ins kleine Büro seines Salons zurückzieht. Da ist es bereits später Vormittag. Aber er strahlt und berichtet dann von seiner Lehrzeit im Salon Pieper in Kirchhörde, die von 1946 bis 1949 dauerte. Zwei weitere Jahre blieb er als Geselle dort, bildete sich in anderen Salons weiter und besuchte die Meisterschule, die er 1956 erfolgreich beendete. Noch einmal kehrte er zum Salon Pieper zurück, bevor er sich 1962 in Kirchende selbstständig machte. 56 Jahre ist das nun her, „und von der Heißluftdauerwelle über die handgelegte Wasserwelle und die Ondulationsfrisur bis hin zum modernen Föhnhaarschnitt“ erlernte und praktizierte der Herdecker in den vergangenen sieben Jahrzehnten nahezu sämtliche Techniken seines Handwerks. Und bekam natürlich auch die unterschiedlichsten Haarmoden und Trends mit.
Kunden sind zur kleinen Feier eingeladen
Während seines langen Berufslebens hat Gerd Helmenstein 19 junge Menschen ausgebildet.
Die Abschiedsparty im Friseursalon Helmenstein beginnt am heutigen Samstag um 14 Uhr.
Nach der Abschiedsparty bleibt das Geschäft für die Dauer der Renovierung etwa acht Wochen geschlossen. Bis dahin wird
Heike Dessel an ihrem bisherigen Standort am Nacken weiterarbeiten.
Lange Haare in Hippiezeit
Gut kann er sich zum Beispiel noch an die Hippiezeit Ende der 1960er Jahre erinnern, als viele junge Männer die Haare lang trugen. „Auch Rolf Knauer, der Sohn vom Bürgermeister, wollte damals so lange Haare haben. Aber dem Hugo Knauer und seiner Frau gefiel das gar nicht“, erzählt Helmenstein schmunzelnd. Und lacht auch, als er berichtet, dass er in den all den vielen Arbeitsjahren nicht ein einziges Mal drei Wochen Urlaub gemacht hat. „Viele Jahre habe ich durchgearbeitet oder nur ein bis zwei Wochen frei gemacht“, so der Herdecker, der sich jenseits des Berufs auch stets noch um Haus und Garten kümmerte. „Zwischendurch habe ich auch noch meine Mutter gepflegt. Und um die Wäsche und den Müll hier aus dem Salon kümmere ich mich auch alleine.“
Dauerkarte für den BVB
Zwei Mal musste er aus gesundheitlichen Gründen pausieren. „Da bin ich operiert worden, aber ich bin dann vom OP-Tisch direkt wieder ins Geschäft“, sagt der 86-Jährige. Viel freie Zeit sei ihm neben seinem Beruf und all den weiteren Verpflichtungen nicht geblieben. Sein einziges Hobby: der BVB. Schon seit den 1990er Jahren hat Gerhard Helmenstein eine Dauerkarte und verfolgt alle Heimspiele im Dortmunder Stadion.
Immer wieder sei er in den letzten Jahren von Kunden mal gefragt worden, wann er sich denn zur Ruhe setzen wolle. „Denen habe ich geantwortet: Man soll Gottes Güte keine Grenzen setzen“, erzählt er verschmitzt. Jetzt, wo sein Entschluss gefallen und er mit Heike Dessel eine kompetente Nachfolgerin gefunden hat, schaue er gelassen und dankbar auf gute und schöne Berufsjahre zurück. Worauf er sich am meisten freut, wenn er nun nicht mehr zu Kamm und Schere greifen muss? „Darauf, dass ich mein Haus und meinen Garten endlich mal genießen kann. Denn bisher habe ich ja auch dort immer nur gearbeitet.“
Kundin stellte Kontakt her
Friseurmeisterin Heike Dessel betreibt seit neun Jahren ihren Salon an der Goethestraße 31. „Der Laden hier in Kirchende hatte immer schon eine große Anziehungskraft auf mich. Auch die Lage gefällt mir“, sagt die 49-Jährige. Durch eine ihrer Kundinnen, die in Ende wohnt und Gerhard Helmenstein kennt, sei schließlich der Kontakt entstanden.
Etwa acht Wochen lang werde die Renovierung des Geschäfts dauern. „Die ganze Elektrik, die Heizung und die komplette Fensterfront werden erneuert“, so Heike Dessel. Und vom Mobiliar will sie u.a. den Barbierstuhl (mit neuer Polsterung) und eine Standhaube als Erinnerungsstücke behalten. Während der Renovierung bleibt ihr Salon am Nacken geöffnet. Danach zieht sie mit ihren beiden Mitarbeiterinnen und ihrer Auszubildenden nach Kirchende. Und auch die langjährige Mitarbeiterin von Gerhard Helmenstein, Petra Pöttker, wird weiterhin stundenweise bei ihr arbeiten.