Ist das Kreuz Zeichen der Religion oder der Kultur? Pfarrer Dr. Horst Hoffmann hat da einen klaren Standpunkt

Nun sag, wie hast du’s mit der Religion? Die Gretchenfrage aus Goethes Faust hat in der politischen Diskussion Hochkonjunktur.


Der neue Bundesinnenminister startet mit der Aussage in sein Amt, dass der Islam nicht zu Deutschland gehört. Die Bayerische Staatsregierung verfügt eine Kreuzes-Pflicht in allen staatlichen Behörden. Der Ministerpräsident legt selbst Hand an und hängt öffentlichkeitswirksam in der Staatskanzlei das erste Kreuz auf. Er erklärt den Christen die wahre Bedeutung des Kreuzes als nicht religiöses Symbol und interpretiert es stattdessen zum Zeichen unserer kulturellen Identität um. Nach Pegida rüsten Politikerinnen und Politiker zur Verteidigung des christlichen Abendlandes. Es bleibt die Gretchenfrage: Wie hast du‘s mit der Religion?


Alle drei monotheistischen Religionen – Judentum, Christentum und Islam – sind morgenländischer Herkunft und folglich ins Abendland durch Migration und Mission eingewanderte Religionen. Das christliche Abendland wurde geschichtlich immer wieder als Kampfbegriff missbraucht, erst gegen das Judentum, dann gegen den Kommunismus und jetzt gegen den Islam. Die Kirche muss einer ungebrochenen Würdigung des christlichen Abendlandes schon deshalb widersprechen, weil zu ihm eben auch die Gräuel des 20. Jahrhunderts mit NS-Zeit, Krieg und Auschwitz gehören.


Es sind immer einzelne oder Gruppen von Menschen, die glauben und sich einer Religion zugehörig fühlen. Dadurch hat die Kirche ihre ökumenische Weite. Ein Land kann nicht glauben, weshalb eine Religion auch nicht zu einem Land gehören kann. Es gibt keine deutschen Christen. In der gegenwärtigen Diskussion findet eine ständige Vermischung von Christengemeinde und Bürgergemeinde statt. Das hat eine unselige Tradition im dunkelsten Kapitel des letzten Jahrhunderts.


Als Hinrichtungsinstrument war das Kreuz bei den Römern Zeichen imperialer Macht. Die Kreuzigung des Jesus aus Nazareth ist Ausdruck eines unheilvollen Zusammenwirkens zwischen Religion und Politik. Die ersten Christen haben es nur nach einem überaus schmerzlichen theologischen Denkprozess als ein göttliches Versöhnungsgeschehen glauben und verstehen können. Die Kirche hat es deshalb nicht nötig, von einem Politiker die Bedeutung des Kreuzes erklärt zu bekommen.


Durch den Missbrauch christlicher Symbole für politische Zwecke und ihre nationalistische Uminterpretation werden die Kirchen ihrer Botschaft enteignet. Diese Enteignung verfolgt das Ziel, der biblischen Botschaft ihre radikale Spitze zu nehmen und in das eigene politische Handeln einzufrieden. Es findet nicht nur eine Ausgrenzung nicht- und andersgläubiger Menschen statt, sondern auch eine Eingrenzung der christlichen Kirchen. Die biblische Botschaft bleibt aber eine kritische Provokation aller Politik in jeder Gesellschaftsordnung, weil sie ihr von ihrem Wesen her immer fremd ist.


Erstaunlicherweise fordern gerade diejenigen den unbarmherzigsten Umgang mit den Flüchtlingen, treten für den verkaufsoffenen Sonntag ein und begegnen den Ärmsten der Gesellschaft mit einer abstoßenden Verächtlichmachung, die besonders lautstark christliche Werte proklamieren. Da entlarvt sich das eigene Gerede schnell als Heuchelei und politische Taktik.


Keine Menschengruppe wird in der Bibel häufiger als schutzbedürftig erwähnt als die Flüchtlinge, der Ruhetag findet sich sogar in den Zehn Geboten, und die Armen werden von Jesus seliggepriesen. Mehr jüdisch-christliche Tradition geht nicht! Die christlichen Werte haben sich also im politischen Diskurs immer bei konkreten Problemstellungen zu bewähren. Christen tragen dabei ihr Kreuz auf dem Rücken und nicht vor sich her. Sie versuchen, mit dem Evangelium im Kopf und im Herzen den Herausforderungen der Zeit standzuhalten und bezeugen das menschenfreundliche Gottesbild der Bibel im Ringen um Lösungen, die dem christlichen Menschenbild entsprechen.