Oaxaca/Herdecke. . Frauen kämpfen in Oaxaca für ihre Rechte und gegen Gewalt. Nicht leicht, auch nicht für unsere Mitarbeiterin vor Ort, sich dort zu behaupten...

Unsere Mitarbeiterin Marivi Bauer befindet sich auf einer Mexiko-Reise. Vor Ort nimmt sie deutsche und mexikanische Klischees unter die Lupe, vergleicht das Leben dort mit dem in Herdecke. Während ihres Freiwilligen Sozialen Jahrs setzte sie sich für die Frauenrechte in Mexiko ein und legt in diesem Bericht ein Augenmerk darauf.


Von Marivi Bauer

„Eines von diesen Dingern werde ich einmal heiraten!” sagt ein Mann zum anderen. Habe ich richtig gehört? Hat dieser Mann gerade über mich geredet? Ich bin doch kein Ding! Für mich als junge deutsche Frau war es während meines einjährigen Freiwilligendienstes in Oaxaca und auch jetzt auf meiner Mexiko-Reise immer wieder schwierig, mit den patriarchalischen Strukturen dieses Landes umzugehen. Die unterschiedlichen Geschlechterverhältnisse der beiden Länder begegnen mir oft, sowohl in meinem Alltag, als auch in meiner damaligen Arbeit als Freiwillige in der Frauenrechtsorganisation Consorcio.

Herdecke vs. Oaxaca

Wenn ich an Herdecke denke, kommt mir vieles in den Sinn. Fachwerkhäuser, die Fußgängerzone, die Ruhr. Auf meinem Weg durch die Straßen grüße ich die Menschen, die mir entgegenkommen. In Oaxaca ist das anders. Hier bleibt mein Gesicht ernst und meine Körperhaltung eher abweisend. Den Passanten sage ich selten „Buenos días.” Woran liegt das? Es liegt daran, dass mir täglich hinterher gepfiffen und gerufen wird. „Guera – Weiße/Fremde” schallt mir aus vorbeifahrenden Autos, von Fahrradfahrern und Fußgängern entgegen. Sprüche wie „Hallo meine Prinzessin” oder einfach nur „Wow!” sind an der Tagesordnung. Auf Dauer wird es zermürbend, alle Blicke auf dir zu spüren: Blicke, die dich mehr als ein Sexualobjekt sehen, als eine eigenständige Person. Mit der Zeit habe ich damit umzugehen gelernt. Ich habe einige Antworten parat, doch meistens ignoriere ich das Gesagte bloß. Kris, eine meiner deutschen Arbeitskolleginnen, die schon mehrere Jahre in Mexiko lebt, ist der Ansicht, dass es normal sei, angeschaut zu werden, „wenn man halt als einzige Blonde und Blauäugige im Bus sitzt.” Jedoch bemerkt auch sie Vorurteile gegenüber ausländischen Frauen: „Junge, weiße Mädchen werden von vielen Männern als leicht zu haben wahrgenommen.”

Wie ich von der Bevölkerung hier wahrgenommen werde, ist historisch und kulturell bedingt. Wie auch früher in Deutschland, existiert hier das konservative Ideal des Mannes als Geldverdiener und der Frau als Hausfrau. Auch der Katholizismus als überwiegende Religion hat Einfluss auf die Menschen – Mexiko gilt als eines der katholischsten Länder der Welt. Den höchsten Stellenwert hat im alltäglichen Leben die Familie, die Mutter erscheint fast heilig. Als junge Frau hat man die brave Tochter zu sein. „Zuerst kommt die Familie, dann der Partner, erst danach die Freunde. Das war für mich anfangs schwierig zu verstehen”, erinnert sich Kris. Erst mit 30 Jahren ausziehen? Völlig normal. Das Großfamilienleben ist etwas, das als Kind immer fehlte. Es bringt Sicherheit, andererseits aber auch viele Verpflichtungen. Meine Freundin Fani lässt beispielsweise alles stehen und liegen, wenn ihre Eltern sie anrufen. Eine Verabredung kann dann schon mal schnell vorbei sein. Und Brenda klagte einmal: „Ich bin 22 Jahre alt, und meine Mutter schreibt mir noch vor, was ich anzuziehen habe!” In Herdecke würde ich solch eine Geschichte wohl niemals zu hören bekommen.

Gewalt steigt gefühlt an

Durch die Modernisierung hat sich natürlich einiges geändert. Immer mehr Frauen arbeiten, viele Mädchen besuchen die Universität.Je mehr Rechte den Frauen zugesprochen werden, umso mehr scheint aber die Gewalt ihnen gegenüber zu steigen. So als würden die Männer sich gegen die Aufhebung der patriarchalischen Strukturen wehren. Doch mit jedem Gewaltakt – sei es politische Repression, Diskriminierung auf dem Arbeitsplatz oder Frauenmorde – treten die starken Frauen Mexikos in den Vordergrund. Große Demonstrationen, Kundgebunden, künstlerische Protestaktionen: Die Frauenrechtsbewegung in Mexiko wächst stetig.

Und was hat das alles mit mir zu tun? Als ich 2016 das erste Mal nach Mexiko kam und anfing. für Consorcio zu arbeiten, hatte ich mit der Thematik Frauenrechte relativ wenig zu tun. In Deutschland fühlte ich mich gleichberechtigt, in meiner Schule, im Sportverein, in meiner Familie. In Mexiko würde ich den Frauen helfen, doch zu Hause bliebe alles beim Alten. Aber einmal für die Gleichberechtigung sensibilisiert, einmal die Geschlechterrollen vor Augen geführt bekommen zu haben, mit Betroffenen über ihre Diskriminierung gesprochen, sie selber erlebt zu haben, veränderte meine Ansichten. Auch auf die Heimat bezogen.

Ich konnte auf einmal die vielen kleinen Ungleichheiten sehen, die schon in meiner Kindheit vorhanden gewesen waren. Die Vorurteile, die bei den Bundesjugendspielen in der Grundschule anfingen: „Mädchen können nicht weit werfen!” Und wir Mädchen, die das glaubten. Die vielen Frauenwitze, die ich selbst oft zum Besten gab. In Mexiko erlebe ich zwischen uns Frauen etwas, das ich so in Herdecke nicht erfahre: Ein Aufeinander-Acht-Geben, ein sich wahres Sorgen. Es ist normal, die Freundin bis zum Taxi zu begleiten, sich die Taxinummer zu notieren und auf Rückmeldung zu warten, ob die Andere gut angekommen ist. Wenn ich dasselbe in Herdecke für meine Mädels machen möchte, ernte ich erstaunte Blicke.

Mehr Bewusstsein schaffen

Mit alldem, was ich aus Mexiko mitgenommen habe, wünsche ich mir mehr Bewusstsein für das Thema Gleichberechtigung, kein Belächeln oder einen weiteren Frauenwitz. Ich bin stolz, mich eine Feministin zu nennen, und ich bin stolz auf all die tollen Frauen, die ich hier in Oaxaca und auf meiner bisherigen Reise kennengelernt habe. Zum heutigen Abschluss möchte ich noch sagen, dass dieses Land so groß und divers ist, dass ich mit meinem Bericht nur einen Bruchteil auffangen kann. Was ich erzähle, ist meine Realität, andere würden etwas anderes schreiben.“