Volmarstein. . Früher wurde im FTB Volmarstein zum „Rollstuhl der Zukunft“ geforscht. Heute steht Kundenberatung im Vordergrund.

„Das sieht aus, als würde man sein Auto mit Anlasser fahren“, spottet Rainer Zott und lacht. Zu seinem Spott gebe ich dem Mitarbeiter des Forschungsinstituts Technologie und Behinderung (FTB) Volmarstein allen Grund. Denn dieses Ding, in dem ich gerade sitze, flößt mir Respekt ein.

Zum ersten Mal in meinem Leben sitze ich in einem Elektro-Rollstuhl und mache mir Sorgen, die zum Teil doch recht kostspielige Inneneinrichtung des Forschungszentrums nachhaltig zu demolieren. Entsprechend fahre ich übervorsichtig und komme kaum von der Stelle. „Jetzt schalten Sie doch mal den Haus-Modus aus“, ruft mir Zotts Kollege Michael Hubert, am FTB Fachmann für Mobilitätsfragen aller Art, zu. Mit anderen Worten: Ich soll die Bremse lösen.

Den Steuerhebel ein wenig nach vorn gedrückt, saust das anthrazitfarbene Gefährt davon. Mit ein wenig Glück und Geschick schaffe ich eine Runde ohne Auffahrunfall.

Stetige Entwicklung

„Ja, der E-Rollstuhl nimmt eine rasante Entwicklung, in den letzten Jahren hat sich einiges getan“, sagt Hubert. Diese Entwicklung kann ich im FTB hautnah betrachten. Verschiedenste Modelle stehen in der geräumigen Einrichtung an der Grundschötteler Straße.

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Alt, neu, schwarz, bunt, mit und ohne verstellbare Sitzhöhen, elektronisch angetrieben oder nicht – alles vor Ort.

Die Mobilitätshilfen sind unverzichtbarer Bestandteil einer jeden Beratung, die im FTB angeboten wird. Diese richtet sich an Behinderte, Erkrankte und Senioren, deren eigene Bewegungsmöglichkeiten zunehmend oder ohnehin eingeschränkt sind, sei es aufgrund von Verschleiß oder in Folge eines schweren Schicksalsschlages. „Manche kommen hierhin und wollen vor allem Ideen sammeln. Die sehen, was wir hier für Produkte haben und gehen dann mit diesen neu gewonnenen Ideen zu ihrer Krankenkasse. Hier kann alles zunächst mal kostenlos ausprobiert werden“, weiß Hubert zu berichten. Er und Kollege Zott sind beide schon 20 Jahre dabei, der eigene Fokus liegt eher auf der Beratungsfunktion als auf Forschung.

Dabei wurde noch im alten Jahrtausend in Volmarstein selbst noch versucht, den „Rollstuhl der Zukunft“ zu entwickeln. Zwischen 1993 und 1996 arbeiteten Entwickler, Forscher und Ingenieure am „OMNI“. Das als wendiger Büro-Rollstuhl konzipierte Gefährt war in seiner Sitzhöhe verstellbar und fuhr sogar seitwärts, um problemlos auch an engeren Ecken und Stellen manövrieren zu können. Auch das Abspeichern verschiedener Bewegungsszenarien war einprogrammiert.

Zu einer Markteinführung sollte es jedoch nie kommen. „Das Gerät konnte nicht so vermarktet werden, wie es nötig gewesen wäre. Aber: Es gibt zwei später veröffentlichte Rollstuhl-Modelle, die das Antriebskonzept des OMNI realisiert haben“, erklärt Hubert.

Andere Geräte, die Hubert und Zott vor Ort präsentieren können, richten sich hingegen ausdrücklich nicht an die Zielgruppe der Über-60-Jährigen.

Geräte auch für junges Publikum

Da gibt es zum Beispiel eine nicht so ganz moderne Version des in den letzten Jahren zunehmend zum Trend-Gerät gewordenen Segway (einachsiges elektrisch angetriebenes Einpersonen-Transportmittel mit zwei auf derselben Achse liegenden Rädern, zwischen denen die beförderte Person steht), bei dem der Nutzer sein Gewicht aufmerksam verlagern muss, um unfallfrei von A nach B zu gelangen. „Da funktioniert der eigene Körper als Joystick, es gehört einiges an Übung dazu“, weiß Zott. Man spüre beim Fahren viel weniger Bodenwellen, das Gerät kann auch über Bordsteine fahren – es kostet aber so viel wie ein Kleinwagen.

Vermutlich ähnlich kostspielig, aber dafür sehr detailverliebt sind die beiden im Untergeschoss eingerichteten Räume. Ein Paradebeispiel für behindertengerechtes Wohnen in Vollendung.Mit allen Details.

„Setzen Sie sich mal in den Sessel“, fordert mich Michael Hubert auf. Über eine Fernbedienung lassen sich Höhe und Rückenlehne der Sitzgelegenheit stufenlos verstellen – auch so steil, dass es mir schon fast im Rücken drückt. Zeit, aufzustehen und sich genau anzugucken, was die Räumlichkeiten sonst noch zu bieten haben. Zum Beispiel spezielle Schaumstoff-Sitzmatten. Die sind so konzipiert, dass eine Person, die nicht mehr von alleine und beschwerdefrei in ein Auto einsteigen kann, durch eine automatische 90-Grad-Drehung ins Gefährt hineinrutscht. Oder der komplett aus Holz gebaute Rollator. „Den kann man prima auf das Design der Wohnung abstimmen“, sagt Hubert. Ohnehin gilt: „Das, was wir nicht haben, können wir zur Erprobung anfragen.“

Dabei sind die FTB-Mitarbeiter immer auf dem neuesten Stand. Es gibt regelmäßige Info-Veranstaltungen und Seminare zum Thema „Barrierefreies Wohnen“ . Viel Publikum aus Therapieberufen ist dabei, Studierende, Dozenten, Forscher, Wohnberater. „Da werden auch technische Neuigkeiten für ein weltweites Publikum präsentiert“, verrät Hubert. Zwischendurch laufen immer wieder Kooperationen mit verschiedenen Universitäten.

Und gerade in der heutigen hochtechnisierten Welt gilt es, die internationalen Entwicklungen im Auge zu behalten. So präsentierten Forscher der State University Campinas in Brasilien im vergangenen Jahr einen Rollstuhl, der sich mit Bewegungen des Kopfes, des Gesichts oder der Pupillen beschleunigen, bremsen und lenken lässt.

Im kommenden Jahr soll das Gerät zum Preis von knapp 3500 Euro in den Verkauf gehen. Michael Hubert äußert sich darauf angesprochen vorsichtig abwartend: „Offen gestanden halte ich das eher für Spielerei, viele Fachmänner sind diesbezüglich skeptisch, Menschliche Augen sind schließlich Se nsoren und nicht Aktoren. Aber: Das ist ein sehr spannendes Feld, da ist in der Entwicklung noch vieles zu erwarten.“

Steuerung bald mit Hirnströmen?

Wer weiß: Vielleicht sind in zehn Jahren Rollstühle im Volmarsteiner Beratungsprogramm enthalten, die sich mit Hirnströmen messen lassen. Daran wollen die Forscher in Campinas jedenfalls arbeiten, sofern die oben erwähnte revolutionäre Entwicklung abgeschlossen ist.

Bis dahin werden Michael Hubert und Rainer Zott noch vielen Bedürftigen mit Rat und Tat zur Seite stehen, so klein oder groß die Probleme auch sein mögen. Hubert bringt es abschließend auf den Punkt: „Mobilität beginnt beim morgendlichen Umdrehen morgens im Bett und endet im Porsche auf der Autobahn.“