Herdecke. . Handys verbinden mit der Heimat. Nach Herdecke geflohene Kurden wünschen Ende des Leids. Sie meinen damit nicht nur den langen Krieg in Syrien.

Die Bilder der Vergangenheit sind schrecklich und schon wieder zu Bildern der Gegenwart geworden. Tote Kinder, entstellte Erwachsene, zerbombte Häuser. Was Dila Yousuf hinter sich gelassen glaubte, hat sie über die Fotos auf ihrem Handy wieder eingeholt. Aus dem Norden Syriens, dem Kurdengebiet, ist sie bereits vor Monaten nach Deutschland geflohen. In den Norden ist das türkische Militär jetzt eingedrungen und soll endlich aufhören mit dem Morden, sagt sie wie die beiden anderen Kurdinnen auch, die im Café „Erste Sahne“ an der Fußgängerzone sitzen und in Gedanken bei den Verwandten und Freunden in der alten Heimat sind.

Erneut sind Menschen auf der Flucht

Die eine davon ist Ghada Mohamad, die dieses Gespräch angeregt hat, weil sie „der Welt zeigen will, was da passiert.“ Die andere ist Nadia Mohamad. Unentwegt klingelt ihr Telefon. Es ist eine Brücke nicht nur zu den Menschen hier in Deutschland, sondern auch zum Ehemann oder der Schwester in den umkämpften Gebieten. Um Beide hat sie Angst, weil auch auf ihrem Handy Bilder Angst machen. Tod und Zerstörung zeigen sie als Folge der Militäraktion. Aufnahmen, die auf Facebook und Youtube zu finden sind und zu denen die Augenzeugenberichte der Liebsten kommen. Von Dorf zu Dorf seien sie auf der Flucht vor den türkischen Truppen, sagt Nadja Mohamad und kann die Tränen nicht zurück halten.

Konflikte im Grenzgebiet

Die Volksgruppe der Kurden lebt über mehrere Länder verteilt, darunter Syrien und die Türkei.

Im Krieg in Syrien spielen Kurden eine wichtige Rolle im Kampf gegen den IS und sind dabei von den Amerikanern unterstützt worden.

Seit langem gibt es Auseinandersetzungen zwischen der türkischen Republik und in der Türkei lebenden Kurden.

Die bewaffnete Auseinandersetzung führen seit Ende der siebziger Jahre auf der einen Seite die kurdische Untergrundorganisation PKK und auf der anderen das Militär.

Die jüngste Militäraktion auf syrischem Gebiet bezeichnet die türkische Regierung als Kampf gegen Terrorismus.

Ruhiger war es geworden im Norden Syriens, die Truppen des Assad-Regimes geschwächt und auch die Kämpfer des IS. Auch diese Nachricht ist übers Handy nach Herdecke gekommen. Den Kurden, bei denen viele von einem eigenen Staat träumen, wird diese Ruhe aber nicht gegönnt. Die Türkei hat die Offensive gestartet, damit es genau diesen Staat nicht geben wird. Haben die nach Herdecke geflüchteten Kurden deshalb einen Konflikt mit den in Herdecke lebenden Menschen mit türkischen Wurzeln? Nein, schütteln die drei Frauen am Tisch im Café den Kopf, und es ist ihnen anzumerken, wie weit her geholt ihnen dieser Gedanke scheint. Auch der, dass hier ja Menschen leben, die in der Türkei mit wählen dürfen und auf die sich im Gespräch Einfluss nehmen ließe. „Wir sehen das nicht politisch“, erklärt Maher Alhajnajm, der auch aus dem Nahen Osten stammt und mit am Tisch Platz genommen hat. „Politik ist Politik“, stellt er fest, „wir sind Menschen!“

Auch Europa schaut weg

An wen aber richtet sich dann der Appell, die Kämpfe einzustellen? Nur Präsident Erdogan kann das bewirken, sind sich die Frauen einig, „er soll die Militäraktion stoppen, weil sie ganz viele Zivilisten trifft.“ Und weil sie zu einer neuen Flüchtlingsbewegung führt, ergänzt Andreas Disselnkötter, der für den Verein zur Förderung christlicher Sozialarbeit (VCS) in Herdecke Flüchtlingsarbeit macht. Für ihn sind die Kurden die großen Verlierer im Kampf in und um Syrien, „und alle, auch die Europäer, schauen zu, wie die Kurden abgeschlachtet werden.“

Maher Alhajnajm ist Iraker und kein Kurde, aber unter seinen Freunden auch hier in Deutschland sind viele Kurden. Er glaubt, dass der türkische Präsident darauf aus ist, die Kurden zu vernichten. Dabei gehe es ihr gar nicht darum, ob sie bei der Rückkehr in einem eigenen kurdischen Staat leben könne oder weiter in einem Teil Syriens, sagt Dila Yousuf. Sie denkt dabei sicher auch die Zukunft von Issa, ihrem in Deutschland geborenen Sohn, „Hauptsache ist, wir können in Frieden leben“.