Volmarstein. . Marcia Kemper, 22, querschnittsgelähmt, angehende Mediengestalterin in Volmarstein. Ihr Wunsch für die Welt: richtige Inklusion.

Theater, Tattoos und Träume spielen in Marcia Kempers Leben eine große Rolle. Ebenso wie Freunde und Familie. Die 22-Jährige steckt voller Ideen, schmiedet Pläne für ihre berufliche Zukunft und ihr ganz privates Glück. Dass ihr Weg dorthin holpriger sein wird als bei anderen jungen Menschen, scheint ihre Zuversicht nicht zu schmälern. Ganz im Gegenteil: Die blitzgescheite Rollstuhlfahrerin, die von den Schultern abwärts querschnittsgelähmt ist, geht mit Selbstbewusstsein, schrägem Humor und einer gehörigen Portion Selbstironie durchs Leben. Falsch. Sie geht eben nicht, sie rollt. Eine Annäherung an einen besonderen Menschen.

Marcia Kemper wurde im Ender Gemeinschaftskrankenhaus geboren; sie wohnt (noch) bei ihren Eltern in Dortmund. Schwere Rückenschmerzen als Folge einer Wirbelsäulenverkrümmung plagten sie, als sie gerade einmal elf Jahre alt war. „Es folgte eine Routine-OP, die nicht so routinemäßig verlief. Seitdem bin ich Rollstuhlfahrerin“, erzählt sie flapsig. 2012 machte sie ihren Abschluss an der Regelschule. „Ich war dann noch kurz in der Oberstufe, musste aber aus gesundheitlichen Gründen pausieren. Danach wollte ich nicht mehr zurück, weil ich keine Lust mehr auf Schule hatte.“ Was tun, fragte sich die 22-Jährige dann.

Berufs-Idee von der Mutter

Durch ein Schulpraktikum wusste sie zumindest, was sie nicht will: „Das Kaufmännische ist gar nicht meins. Andererseits gibt es ja nicht so viele Berufe, die für mich möglich sind. Irgendwas am Computer kam in die engere Wahl.“ Ihre Mutter lenkte schließlich ihren Blick auf Grafik-Design. Sie absolvierte sie ein Praktikum in der PR-Abteilung der Dortmunder Wirtschaftsförderung. „Fünf Tage war ich dort, habe Plakate gestaltet. Danach wusste ich: Das ist super spannend, passt zu mir und meiner Behinderung. Und macht Spaß.“

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© Elisabeth Semme

Über die Arbeitsagentur kam „Schnittie“, wie gute Freunde sie aufgrund ihrer Behinderung nennen (dürfen), zum Volmarsteiner Berufsbildungswerk, das als einzige Einrichtung in NRW eine Ausbildung zur Web-Mediengestalterin anbietet. „Im Grunde ist das eine kleine Programmiererausbildung. Erst danach geht es ans Gestalten.“ Marcia ist jetzt im zweiten Ausbildungsjahr. Ihr Joystick ist am Rollstuhl befestigt, sie bedient ihn mit dem Kinn, dem Mund oder auch mit der Schulter. Schon jetzt weiß sie ziemlich genau, was nach der Lehre kommen soll: „Ich möchte noch Erfahrungen sammeln im Bereich Social Media, denn da bin ich auch privat unterwegs. Am Ende möchte ich meinen Beruf mit dem Theater verbinden. Da ist meine ganze Familie unterwegs“, erzählt Marcia. Der Vater ist Schauspieler, die Mutter Bildungsreferentin im Bereich Tanz, Theater und Inklusion, die ältere Schwester studiert Theaterwissenschaft. Und auch sie gehört längst zur Jungen Tanztheaterwerkstatt in Dortmund und ist oft auch bei „schrägen und provozierenden Projekten“ dabei. Natürlich weiß Marcia, dass Theater viel mit Bewegung zu tun hat: „Das Schauspielern wäre auch nicht meins. Aber Dramaturgie ist mein Traumberuf.“

Und es gibt eine weitere Aufgabe, die auf Marcia geradezu zu warten scheint: Peer Counseling. Dahinter verbirgt sich eine Beratungsmethode, die sich auf die Beratung von Menschen mit Behinderung durch Betroffene bezieht. Marcia erklärt: „Dabei geht es um Lebensberatung für Behinderte, zum Beispiel, wenn jemand einen Unfall hatte. Das ist schwierig, wenn jemand keine Ahnung hat, wovon er redet. Themen wie Behinderung und Sexualität werden viel zu wenig angesprochen. Oder der Umgang mit einer 24-Stunden-Pflege, wie ich sie habe.“ Zielgruppe seien nicht Menschen, die von Geburt an behindert sind: „Die wurden ja nicht so aus dem Leben gerissen.“ Auch Kinder würden sich leichter mit einer Behinderung arrangieren: „Wie bei mir. Das hat ganz gut gepasst“, meint sie in ihrer makabren Art.

Voller Terminkalender

Sieht so aus, als wäre der Terminkalender der 22-Jährigen ziemlich voll. Was nicht heißt, dass sie nicht noch Zeit für ihren Tätowierer findet: „Ein Arm ist schon relativ voll. Auch hinterm Ohr und auf dem Bein habe ich Tattoos. Mittlerweile bin ich beim 15. angekommen.“ Ein teures Hobby. „Ja, aber dafür rauche ich nicht“, sagt sie verschmitzt. Weil die Zeit vor Weihnachten erfahrungsgemäß die Frage nach Wünschen aufwirft, bleibt sie auch Marcia nicht erspart. Auf ihrer Wunschliste ganz oben stehen „ein richtiger Partyurlaub auf Mallorca“ und eine Reise zur Oma in die Türkei. Außerdem möchte sie ausziehen: „Nichts gegen meine Eltern, aber es würde beiden Seiten gut tun. 90 Prozent meiner Freunde wohnen allein, und ich brauche das auch mal.“

Beim Blick auf den Globus mit der dicken Schleife als Symbol des Wunsches für die Welt sagt Marcia: „Ich würde mir wünschen, dass Inklusion richtig umgesetzt wird. Nicht so als erzwungene Integration, sondern spontan und frei. Inklusion muss von beiden Seiten funktionieren. Es geht nämlich auch nicht, dass nur der behinderte Mensch im Mittelpunkt steht.“

Weitere Informationen

Marcia Kemper ist auch als Bloggerin im Internet unterwegs. In ihrem Blog http://lifeofaschnittie.blogspot.de schreibt sie über Alltägliches.

„Ein ganz normaler Schnittie und ein verrückter Alltag. DAS bin ich! Begleitet mich durch mein queres Leben.“ Mit diesen Worten empfängt die 22-Jährige die Besucher ihres Blogs.

Letztens hat sie ein Rezept für Bruchschokolade eingestellt – die mag sie selbst sehr, und sie eignet sich gut zum Verschenken.