Wetter/Herdecke. . Hazel Link und Paul Watson haben aus dem Brexit-Beschluss Konsequenzen gezogen. Sie sind nicht mehr nur Briten.

„Ich hätte nie gedacht, dass ich mal in eine solche Situation kommen würde“, sagt Hazel Link. Diese „Situation“ ist der Ausstieg eines ganzen Landes aus der europäischen Union. Der Brexit wirkt – obwohl noch nicht vollzogen – schon jetzt bis an die Ruhr. Denn die Herdeckerin Hazel Link und auch Paul Watson aus Wetter haben ihrem Leben mit dem britischen Nein zur Europäischen Union eine ganz neue Richtung gegeben: Sie sind Deutsche geworden.

Komplett integriert

Die Herdeckerin und der Wetteraner sind in England geboren und leben seit Jahren in Deutschland. Nachdem der Brexit beschlossen wurde, beantragten sie die deutsche Staatsbürgerschaft. „Es musste jetzt sein, denn wenn erst alle Ausstiegsverträge unterschrieben sind, hätten wir uns für eine Nationalität entscheiden müssen“, erklärt Paul Watson. „England ist ein Teil von mir, so wie Deutschland“, fügt Hazel Link an. „Ich wollte auf keine Staatsangehörigkeit verzichten.“

Der 59-Jährige Paul Watson arbeitet als Zahnarzt in Werdohl. Interesse an Deutschland hat er schon seit seiner Jugend. 1984 lud ein Freund ihn in die Bundesrepublik ein. Ein schicksalhafter Besuch, denn Watson lernte seine Frau kennen. Und blieb. Mittlerweile wohnt er in Wetter, seine Kinder sind hier groß geworden. Der Brite fühlt sich komplett integriert, auch wenn er – hört man ihm zu – seine Herkunft von der Insel nicht verleugnen kann. „Wetter gefiel mir von Anfang an gut, die Stadt ist sehr schön und die Lebensqualität hoch.“

Zwei Staatsbürgerschaften

Hazel Link ist Sprachlehrerin, erstmals Kontakt nach Deutschland hatte sie durch eine Brieffreundin. Sie studierte Deutsch, arbeitete als Lehrerin und Prüferin für Sprachzertifikate. Zum Umzug kam es durch eine neue Arbeitsstelle für ihren Mann. Er suchte von Irland aus nach einem Job in Deutschland und wurde nach Hagen eingeladen. Bei der Wohnungssuche ging es auch in die umliegenden Städte. „Breckerfeld schien uns zu abgelegen und nach einigen Besichtigungen stießen wir dann auf Herdecke“, erinnert sich Hazel Link. Dort ist das Paar schließlich 1979 heimisch geworden.

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Alles gut also für die Briten an der Ruhr. Doch die Politik ihrer Heimat holte sie ein. „Als das Ergebnis der Brexit-Abstimmung bekannt gegeben wurde, habe ich sofort die deutsche Staatsbürgerschaft beantragt“, erinnert sich Paul Watson. „Nach dem Austritt hätte ich meinen englischen Pass nicht behalten können und zwischen den beiden Staatsbürgerschaften entscheiden wollte ich mich nicht“, erklärt der Zahnarzt. Der Brexit hätte zudem das Aus für seine Praxis bedeuten können. Denn mit dem Austritt aus der Europäischen Union würden Briten möglicherweise das Recht verlieren, sich in Deutschland als Arbeitnehmer niederzulassen. „Sechs Menschen hätten ihren Job verloren. Wenn ich kein Mitglied der EU bin, könnte mich hier nicht ohne Weiteres aufhalten. Das geht absolut nicht.“

30 Euro und fünf Minuten

Hazel Link handelte nicht ganz so spontan wie der Wetteraner. Dabei war es für sie sogar leichter: Einen Einbürgerungstest musste sie nicht machen, da sie alle notwendigen Unterlagen und Nachweise auch so vorzeigen konnte. Paul Watson dagegen hat sich den 33 Fragen stellen müssen. Kein großes Hindernis: „Ich ging dahin, zahlte 30 Euro und nach fünf Minuten war ich fertig. Nur leider muss man bis zum Ende warten, ehe man gehen darf. Diese Stunde dort zu warten, das war für mich das Schlimmste am Test.“

Gräben in der Familie

Für Hazel Link gab es eine andere Hürde: die Hymne. Bei der Einbürgerungsfeier sollten alle gemeinsam das Deutschlandlied singen. Doch es gibt eine Zeile, die die Herdeckerin nicht über die Lippen bringt. „Obwohl ich länger in Deutschland lebe, als in je in England war, ist Deutschland nicht mein Vaterland. So viel Patrioti smus kann man für ein anderes Land nicht aufbringen.“

Einbürgerung: 33 Fragen müssen beantwortet werden

300 Fragen zu Geschichte, Verfassung, Landeskunde, Gesellschaft und 10 landesbezogene Fragen gibt es. 33 davon müssen beim Test beantwortet werden, 17 müssen richtig sein.

Fragen sind zum Beispiel: Welches Recht gehört zu den Grundrechten in Deutschland – Waffenbesitz, Faustrecht, Meinungsfreiheit oder Selbstjustiz? Was für eine Staatsform hat Deutschland: Monarchie, Diktatur, Republik oder Fürstentum?

Mehr unter www.einbuergerungstest-online.eu

Für die Neu-Deutschen ist längst der Alltag wieder eingekehrt, doch die Enttäuschung bleibt. Hazel Link erzählt von den Schwierigkeiten innerhalb ihrer Familie in England. „Meine Schwester und mein Schwager haben für Leave, also für Austreten, gestimmt. Wochenlang hatten wir kaum noch Kontakt. Die Politiker steuern das Land auf eine Klippe zu und spalten das Volk dabei“, sagt sie. Und was wünschen sich zwei Menschen, die in diesem Jahr einen solchen Umbruch in ihrer persönlichen Lebensgeschichte erlebt haben, für sich und für die Welt? „Ich hoffe, dass es endlich einen Durchbruch bei den Gesprächen gibt“, sagt Hazel Link und bringt zwei Wochen vor dem Fest die Weihnachtsgeschichte ins Spiel: „Es geht darum, dass wir Frieden bekommen. Auch in der eigenen Familie.“ Frieden? „Ja“, betont die Herdeckerin. „Diese Auseinandersetzungen sind kriegerisch. Nicht in dem Sinne, dass wir aufeinander schießen, aber es ist immer wieder klar, dass die eine Seite nicht zu der anderen durchdringen kann.“

Paul Watsons Wunsch ist vom Frieden weiter entfernt. Er hofft auf einen „Minister, der den Mumm hat, sich gegen den Brexit zu stellen“. Auch wenn das an der Situation für ihn und auch für Hazel Link nun nicht mehr viel ändert.