Herdecke. Nach der Kletteraktion am Herdecker Cuno-Schornstein äußert sich ein Beteiligter und erklärt seine Passion: “Wir sind nicht kriminell oder blöd.“
Was steckt dahinter, wenn jemand bei Nacht den 220 Meter hohen Cuno-Schornstein augenscheinlich ungesichert hinaufklettert und sich dabei auch noch selbst filmt? Kriminelle Energie, Langeweile oder ganz einfach Dummheit? Davon jedenfalls gehen viele Leute aus, die sich das Video von Felix Tomb (Name geändert) auf Youtube angeschaut und entsprechend kommentiert haben. Der unbekannte Kletterer, über den diese Zeitung kürzlich berichtete, hat nach Erscheinen des Artikels den Kontakt zur Lokalredaktion gesucht.
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„Ich will erklären, dass wir was anderes machen und eben nicht kriminell, gelangweilt oder blöd sind. Ich will auch nicht, dass es Trittbrettfahrer gibt, denn dafür ist der Schornstein einfach zu gefährlich“, stellt der 21-Jährige im Gespräch mit der Redaktion klar. Er habe das Video im Internet bereits gelöscht und ein Gespräch mit dem Kraftwerksbetreiber Mark E geführt. Das Unternehmen hatte nach Bekanntwerden des Videos Strafanzeige gegen Unbekannt wegen Hausfriedensbruchs gestellt
Große mediale Aufmerksamkeit
Felix Tomb hat mit solch einer medialen Aufmerksamkeit rund um sein Video nicht gerechnet; denn das Netz ist voll davon. Als nach dem Bericht in unserer Zeitung auch noch RTL West einen Beitrag darüber sendete, ergriff der 21-Jährige die Initiative, um die Hintergründe und Entstehungsgeschichte des Videos aus seiner Sicht zu schildern. Urban Exploring, das Erforschen verlassener Orte, nennt sich das Hobby des 21-Jährigen und vieler seiner Altersgenossen. „Aber auch 12 - bis 16-Jährige machen das und beachten dabei vieles nicht“, sagt Felix Tomb. Dabei gebe es unter den „Urbexern“, wie man Leute mit diesem Hobby kurz nennt, einen etwa zwölf Punkte umfassenden Verhaltenskodex.
Verlassene Orte
Der besage unter anderem, dass man Standorte nicht verrät und niemals allein geht, sondern mindestens zu zweit. „Nimm nichts mit außer Bildern und hinterlasse nichts außer Fußabdrücken. Auch das gehört zum Kodex“, sagt Felix Tomb. Und: „Man bricht auch nicht ein, sondern geht nur dorthin, wo es offen ist.“
In Bezug auf sein eigenes Handeln sieht er sich in einer rechtlichen Grauzone; denn „es war nichts verschlossen, und auch der Zaun hatte Lücken. Außerdem gibt es kein explizites Verbot, Gebäude hochzuklettern“. Seiner Ansicht nach sei Mark E seiner Sicherungspflicht nur minimal nachgegangen. „Inzwischen gibt es zwar neue Schilder und alle Türen sind zugemacht“, weiß er, nachdem er extra noch einmal nachgeschaut hat. „Aber das reicht nicht. Ich halte Nato-Draht für ratsam, und auch eine Kamera kann helfen. Das machen andere Unternehmen auch“, so der 21-Jährige. Wenn sich so etwas allerdings in der Community herumspreche, sei der Spot (also der Ort) sofort kaputt. Was jetzt auch für den Cuno-Schornstein gelte. „Der steht erstmal nicht mehr auf der Liste der verlassenen Orte“, weiß Tomb.
Für Leute, die sein Hobby teilen, tue ihm das zwar leid. Andererseits sei es gut, „dass es jetzt keine Nachahmer mehr geben wird. Denn ich kann nur abraten, das zu tun. Es klingt jetzt vielleicht doof, aber ja, ich kann das tun. Denn der Schornstein ist wirklich sehr gefährlich. Man muss den Wind berechnen, sonst fliegt man weg.“ Er habe ein hohes technisches Interesse an Kraftwerken und Industrieanlagen: „Der Ruhrgebietsbergbau etwa ist sehr faszinierend. Meine Garderobe zuhause besteht aus Kauenkörben. Und auch solch eine Masse aus Stahl ist unfassbar spannend und ästhetisch.“ Und dann kommt der Urbexer auf Herdecke zu sprechen: „Das eigentliche Kraftwerk steht ja nicht mehr, sondern nur noch die Rauchgasentschwefelungsanlage. Was da drinnen geschieht, sieht man von außen nicht. Dabei funktioniert sie ähnlich wie ein Katalysator beim Auto, und aus einem Nebenprodukt werden Rigipsplatten gefertigt.“ Tomb hält kurz inne und fährt dann fort: „Das ist Sendung mit der Maus gucken und erleben. Ich bin 21 und gucke das immer noch.“
Reizvoll und gefährlich
Auch aus statischer Sicht sei es spannend zu sehen, wie viel Tonnen Beton in diesem Schornstein stecken. Und dann gerät der 21-Jährige ins Schwärmen: „Es ist ein atemberaubendes Gefühl, oben auf dem Schornstein zu stehen und zu spüren, wie die Tonnen von Beton sich bewegen.
Der Schornstein schwingt, man kann eigentlich nicht gerade stehen. Man hört nichts, es ist absolut still. Man hat keinen Handyempfang, und das erste Mal sieht man was, wenn man oben drauf steht.“ Was darin begründet liege, dass er nicht außen am Schornstein, sondern innen hochgeklettert sei: „Den Kick brauche ich nicht, denn ich habe durchaus eine gesunde Angst.“ Am Ende wird Felix Tomb das Gefühl nicht los, irgendwo zwischen den Stühlen zu sitzen.
Weit weg von Herdecke und vom Cuno-Schornstein liegt übrigens ein Spot, den Felix Tomb unbedingt noch erforschen möchte: „Tschernobyl. Das ist ein Endziel.“
>>>> Was ist „Urban Exploration“?
Urban Exploration ist die private Erforschung von Einrichtungen des städtischen Raums und sogenannter Lost Places. Oftmals handelt es sich dabei um das Erkunden alter Industrieruinen, aber auch Katakomben, Dächern oder unzugänglicher Räumlichkeiten von ungenutzten Einrichtungen.
Der Begriff, auch Urbex oder Stadterkundung genannt, wird jedoch durchaus auch für die Erkundung zugänglicher Orte wie Parks verwendet. Die fotografische Dokumentation und künstlerische Verarbeitung solcher Urban Explorations begründete das noch junge Genre der Ruinen-Fotografie. Quelle: Wikipedia