Herdecke. . Ender Gemeinde hat 27-Jährigen aufgenommen, damit er nicht überraschend nach Bulgarien abgeschoben wird. Helfer kümmern sich um ihn.

  • Die Ender Gemeinde gibt einem Flüchtling ein Obdach
  • Der 27-jährige Kurde floh zunächst vor Assad nach Bulgarien
  • Die deutschen Behörden erklären sich für nicht zuständig

Manchmal hilft ein kleiner Aufschub, und das Blatt eines Flüchtlings wendet sich zum Guten. Und manchmal auch braucht die Diakonie Mark-Ruhr in Hagen eine Gemeinde im Kirchenkreis, die kurzfristig einem Flüchtling für einen solchen Aufschub ein Obdach gibt. Die Evangelische Kirchengemeinde in Ende hat das getan. Seit Mitte Oktober gewährt sie einem jungen Syrer Kirchenasyl. Bereits im Frühjahr hatte das Presbyterium einen Beschluss für den Fall der Fälle gefasst. Jetzt wurde er gebraucht.

Urteil macht Hoffnung

Über Bulgarien führte die Flucht des Kurden vor Machthaber Assad nach Deutschland und hier schließlich nach Hagen. Bulgarien hat ihn bereits als Asylbewerber anerkannt - und genau hier liegt die besondere Härte seines Falles. Weil er schon in einem EU-Land ein Verfahren durchlaufen hat, erklären sich die deutschen Behörden für nicht zuständig. Nun droht ihm jederzeit die Abschiebung. Dabei gilt Bulgarien als Land mit großen Mängeln bei der Versorgung von Flüchtlingen. Im letzten Monat erst hat das Oberverwaltungsgericht in Münster die Überstellung von Asylbewerbern aus Deutschland nach Bulgarien für nicht zumutbar erklärt, weiß Heike Spielmann von der Diakonie Mark-Ruhr. Alle Rückführungsbescheide seien aufzuheben.

Kirchenkreis hat Flüchtlingsbeauftragte

Der Evangelische Kirchenkreis Hagen, zu dem auch Herdecke und große Teile von Wetter zählen, hat eine Flüchtlingsbeauftragte benannt.

Karen Koers ist damit die erste Anlaufstelle für Fragen von Gemeinden zum Thema Kirchenasyl.

Sie informiert über Abläufe, die nötigen Beschlüsse und das ganze Verfahren.

Erreichbar ist sie unter 02331/3480488.

Nun ist auch der junge Syrer voller Hoffnung, wenn er nur nicht überraschend abgeschoben wird. Genau davor soll ihn das Asyl in der Ender Kirchengemeinde bewahren. Morgens, nach einem Gottesdienst, hat das Presbyterium der Grundsatzentscheidung einen konkreten Aufnahmebeschluss für den 27-jährigen Friseur folgen lassen. Dieser Beschluss ist genau so Teil fest verabredeter Regeln mit der Landeskirche und dem Staat wie ein Dossier zum Einzelfall. Die Landeskirche ist informiert, und auch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge kennt den Aufenthaltsort des Schutzsuchenden. „Alle wissen Bescheid“, sagt Pfarrer Guido Hofmann. Durch das ganze Verfahren soll deutlich werden: Die ganze Institution Kirche steht dahinter, nicht nur eine einzelne Gemeinde.

Vier Fälle im Kirchenkreis

Trotzdem muss sich das Presbyterium vor Ort erklären. „Kirche soll sich um Kirche kümmern“, hat Elisabeth Heinemann schon oft gehört. Die Vize-Vorsitzende des Presbyteriums in Ende teilt diese Auffassung ganz und gar nicht, ebenso geht es Pfarrer Hofmann. „Es gibt Not, und wir müssen uns der Not stellen“, erklärt er. „Die Kirche erhebt sich nicht über den Staat“ sondern folge ihrem Auftrag zu helfen. Beim Spiel auf Zeit ist das im Kirchenkreis Hagen in den letzten drei Jahren in allen vier Fällen gelungen. Meist ging es um den Ablauf von Fristen. Einmal wollte eine Flüchtlingsfrau ihr Kind in Deutschland bekommen, berichtet Heike Spielmann. Das ist geglückt. Jetzt ist sie ein aktives Mitglied der Gemeinde, die ihr Schutz gewährt hat.

Ein Kirchenasyl bringt keinen unbegrenzten Aufschub. Auch für den jungen Syrer läuft weiter eine Uhr. Aber er muss nicht fürchten, vor einer Entscheidung in seiner Sache schon nach Bulgarien geschickt zu werden, so lange er sich in den Räumen und auf dem Grund der Kirchengemeinde in Ende aufhält. Eine Konsequenz davon: Er kann nicht einkaufen. Und wenn die Gemeinde einen Gast hat, kann und will sie ihn natürlich nicht sich selbst überlassen. „Er muss besucht werden. Sonst bekommt er einen Lagerkoller“, sagt Elisabeth Heinemann. Für die Gemeinde ist das ein ziemlicher Kraftakt. Sie hat nun einen Helferkreis mehr.

Flüchtling lernt Deutsch

Hat er hinter den Helfern die Tür geschlossen, übt der Gast kräftig Deutsch. Guido Hofmann ist begeistert: „Er ist voll integrationsfähig und integrationswillig.“. Das könnte ihm schon bald helfen. Heike Spielmann teilt die Hoffnung des jungen Syrers nach dem jüngsten OVG-Urteil. „Es wäre schön, wenn er Weihnachten durch ist.“

Vereinbarung getroffen

„Kirchenasyle sind kein Verstecken. Sie werden den Behörden gemeldet und sind völlig transparent. Man spielt mit offenen Karten“. Das sagt Helge Hohmann vom Institut für Kirche und Gesellschaft in Schwerte. Seit 2015 gebe es eine Vereinbarung zwischen Kirchen und dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Teil dieser Vereinbarung: Die Kirche hat Ansprechpartner zu benennen. Der für den Bereich der Evangelischen Landeskirche in Westfalen ist Hohmann.

Meist geht es um Fälle im Rahmen des Dublin-Abkommens. Danach hat Deutschland ein halbes Jahr Zeit, Flüchtlinge in die Länder zurück zu schicken, in denen sie zuerst aufgenommen worden sind. Ist diese Frist verstrichen, können die Bewerber ihr Asylverfahren in Deutschland zu Ende bringen. Meldet die Kirche einen Fall von Kirchenasyl, hat das Bundesamt die Chance, auf besondere Härten hin zu prüfen. Eine solche Härte kann sein, wenn eine erneute Traumatisierung zu fürchten ist. Das gilt für Menschen, die lange in Lagern leben mussten und jetzt möglicherweise in ein Land sollen, in dem Flüchtlinge in Lagern untergebracht werden. Geprüft werden kann auch, ob Familien auseinander gerissen werden.

Genaue Zahlen über Erfolge oder Misserfolge beim Kirchenasyl kann Hohmann nicht nennen. Aber ihm ist aus den letzten Jahren kein Fall bekannt, in dem nicht doch eine bessere Lösung als eine Abschiebung gefunden wurde.

Asyl-Glossar – die wichtigsten Begriffe

AUSREISE-AUFFORDERUNG:

geht Ausländern nach abgelehntem Asylantrag zu. Binnen einer bestimmten Frist muss er das Land verlassen. Die Ausländerbehörde überwacht die Einhaltung der Ausreisepflicht.

ABSCHIEBE-ANDROHUNG:

geht dem Abgelehnten zusammen mit der Ausreiseaufforderung zu. Ein Flüchtling kann dagegen Widerspruch einlegen – und unter Umständen eine Duldung erzwingen, etwa wegen Krankheit oder Lebensgefahr. Die Abschiebung wird dann ausgesetzt.

ABSCHIEBUNG:

erzwungene Ausreise. Reist ein abgelehnter Asylbewerber nicht freiwillig aus, wird er mit (polizeilichen) Zwangsmitteln außer Landes gebracht. Zuständig ist die Ausländerbehörde.

ABSCHIEBUNGS-ANORDNUNG:

wird ausgesprochen, wenn ein Geflüchteter über einen sicheren Drittstaat eingereist ist. Dann muss er dorthin zurück und dort den Asylantrag stellen – sofern der Staat den Asylbewerber übernimmt.

GEFÖRDERTE AUSREISE:

finanzielle Unterstützung mit Förderprogrammen. REAG (Reintegration and Emigration Programme for Asylum-Seekers in Germany) zahlt freiwilligen Rückkehrern Bahn-/Flugtickets, Benzin und Reisebeihilfen. GARP (Government Assisted Repatriation Programme) zahlt Starthilfen für einen Neuanfang in der Heimat, sofern es ein Drittstaat ist, aus dem viele Flüchtlinge kommen.

DULDUNG:

Die Duldung ist eine "Aussetzung der Abschiebung" ausreisepflichtiger Ausländer. Gründe für eine befristete Duldung können Krankheit, Schwangerschaft, kleine Kinder oder fehlende Papiere sein. Nach 15 Monaten hat ein Geduldeter das Recht auf eine Aufenthaltserlaubnis – sofern er seine Abschiebung nicht selbst mutwillig verzögert hat.

AUFENTHALTSERLAUBNIS:

Drittstaatsangehörige (Menschen aus Nicht-EU-Ländern) brauchen mindestens eine Aufenthaltserlaubnis. Sie ist befristet und zweckgebunden (Arbeit, Ausbildung, Familie, humanitäre/politische Gründe). Allerdings beinhaltet sie meist keine Erwerbsberechtigung.

NIEDERLASSUNGSERLAUBNIS:

unbefristeter Aufenthaltstitel inklusive Arbeitserlaubnis. Voraussetzung in der Regel: Sprachkenntnisse, eigenes Einkommen, fünf Jahre legal in Deutschland, keine Vorstrafen. Dieser Aufenthaltstitel wird aber nach zu langem Auslandsaufenthalt (mehrere Monate) aberkannt.

DAUERAUFENTHALT:

unbefristeter Aufenthaltstitel inklusive Arbeitserlaubnis – anders als bei der Niederlassungserlaubnis dürfen Ausländer aber länger in anderen EU-Staaten leben. Der Titel wird dann erst nach mehreren Jahren aberkannt.

GENFER FLÜCHTLINGS-KONVENTION:

Die Genfer Konvention legt seit einem UN-Sondergipfel 1951 fest, wer international als Flüchtling anerkannt wird. Darunter fallen Ausländer, die in ihrer Heimat wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, politischen Gesinnung oder sozialen Zugehörigkeit verfolgt werden. Armut, Krieg und Katastrophen gehören nicht dazu.

SUBSIDIÄRER SCHUTZ:

Subsidiärer Schutz wird gegebenfalls gewährt, wenn ein Flüchtling nicht unter die Genfer Konvention fällt. Anerkannte Gründe können Naturkatastrophen, Krieg oder Terror sein.

SICHERER HERKUNFTSSTAAT:

Albanien, Bosnien und Herzegowina, Ghana, Kosovo, Mazedonien, Montenegro, Senegal, Serbien. So steht's im §29 Asylverfahrensgesetz. Sichere Herkunftländer sind Staaten, in denen weder politische Verfolgung noch unmenschliche Bestrafung oder Behandlung stattfinden. Für den Balkan sehen das viele Kritiker wegen der Situation für Sinti und Roma anders.

SICHERER DRITTSTAAT:

Alle EU-Länder, Norwegen, Schweiz – also alle Nachbarländer Deutschlands. Ist ein Flüchtling durch einen sicheren Drittstaat eingereist, bekommt er eigentlich kein Asyl: Laut Dublin-III-Abkommen wäre der erste sichere Drittstaat für das Verfahren zuständig, das der Geflüchtete betreten hat.

FLUGHAFEN-VERFAHREN:

Asylverfahren vor der Einreise im Transitbereich des Flughafens. Das Verfahren gilt für Asylbewerber aus sicheren Herkunftsstaaten und Flüchtlinge ohne Ausweis. Es wird nur in Berlin, Hamburg, Düsseldorf, Frankfurt und München angewendet, weil es nur dort Unterbringungsmöglichkeiten gibt.

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