Wetter. . Die junge Ärztin Nathalie Bormann informiert sich über die medizinische Versorgung während eines Arrests. Till Deipenwisch begleitet sie.

  • Nathalie Bormann sammelt als junge Ärztin so viele Erfahrungen wie möglich
  • Till Deipenwisch gewährte ihr einen Blick in die Jugendarrestanstalt
  • Dort interessierte sie sich für die medizinische Versorgung der jungen Frauen während des Arrests

Ein Jahr auf einer Bohrinsel praktizieren, auf einem Kreuzfahrtschiff oder vielleicht doch in einer Vollzugsanstalt? Nathalie Bormann ist eine junge Ärztin, die im medizinischen Bereich nicht genug Erfahrungen sammeln kann. Till Deipenwisch, Amtsgerichtsdirektor und Leiter der Mädchen-Arrestanstalt, gewährte ihr deshalb den besonderen Blick hinter Gitter.

Führung mit Till Deipenwisch

Wer Nathalie Bormann, Assistenzärztin am Allgemeinen Krankenhaus in Hagen, begegnet, sieht eine Frau, die nicht einfach ihren Job macht, sondern einer Berufung folgt. Geht es um das Thema Medizin, leuchten die Augen der 33-Jährigen. Sie lebt, was sie tut, bildet sich permanent weiter und besitzt bereits jetzt eine ungewöhnliche Mischung aus Fachkenntnis, Instinkt und Empathie. Das Zuhören gehört dazu, der intensive Blick auch.

Menschen in ihrer Umgebung, die wissen möchten, was sie sieht, erhalten eine Antwort – inklusive Ratschlag, was ihnen helfen könnte. Nicht umsonst gilt sie in ihrem privaten Umfeld als buchstäblicher Retter in der Not, wenn es um kleinere Wehwehchen oder auch etwas Ernsteres geht. Irgendwann möchte sie, die ihre Doktorarbeit über Darmkrebs und Prävention schreibt, sich der Palliativmedizin und der Schmerztherapie widmen. Dabei will sie den ganzen Menschen sehen. Eine Herzensangelegenheit, wie sie versichert.

Und der Wissensdurst der jungen Ärztin macht eben auch nicht vor Mauern und Gitterstäben Halt. Aus diesem Grund nahm sich Till Deipenwisch die Zeit, ihr die Anstalt zu zeigen und eine ganze Reihe von Fragen rund um die medizinische Versorgung während eines Arrests zu beantworten. Bevor die jungen Frauen im Alter zwischen 14 und 23 Jahren ihren Kurz-, Freizeit- oder Dauerarrest verbüßen, so erfuhr die 33-Jährige, werden sie auf ihre Arrestfähigkeit untersucht und müssen ein entsprechendes Attest vorweisen können. Auch wird der Zustand bei Einlieferung dokumentiert. Eine der Bediensteten ist ausgebildete Krankenschwester, und darüber hinaus ist der Anstaltsarzt zwei Mal pro Woche vor Ort. Sollte es einen Notfall geben, wird das entsprechende Mädchen in ein Krankenhaus gebracht oder es wird die 112 gewählt. In speziellen Fällen, wenn es beispielsweise um eine mögliche Schwangerschaft geht, werden Fachärzte hinzugezogen. Eine „Epidemie“ wie ein eingeschleppter Norovirus oder eine Grippe gab es bislang nicht. Bei Verdacht werden die jungen Frauen vorsichtshalber isoliert. Dabei spielen Erfahrung und Instinkt der Mitarbeiter eine wichtige Rolle. Auf die Frage, ob sie es merkt, wenn Erkrankungen vorgetäuscht werden, bestätigt Justizvollzugshauptsekretärin Magdalena Pöschel: „Das hat man so im Gefühl.“ Aber, und das betont sie mit einem herzlichen Lächeln: „Wir helfen immer, wenn etwas ist.“

Im Arrest, den Deipenwisch als Warnschuss und erste milde Form des Freiheitsentzugs verstanden wissen möchte, sind die Mitarbeiter in der letzten Zeit mit auffällig vielen psychischen Störungen konfrontiert – vom selbstverletzenden „Ritzen“ bis hin zur Unfähigkeit, sich sozial adäquat zu verhalten oder sich an feste Strukturen zu gewöhnen. Die Mädchen lernen etwas über Gemeinschaft, feste Zeiten, können malen, lesen oder auch ihre Gedanken aufschreiben, werden im Rahmen von Sexualpädagogik vielleicht zum ersten Mal überhaupt mit dem Thema Verhütung konfrontiert oder auch in einem Training mit Aggressionsbewältigung vertraut gemacht. In diesem Zusammenhang betont der Anstaltsleiter: „Wir wollen ja nicht nur verwahren und einsperren, wir wollen auch etwas mit den Mädchen machen.“ Wobei er auch verdeutlicht, dass Rauchen und Handys in der Arrestanstalt ebenso verboten sind, wie ein Rasierer. „Ja, ok, es ist halt kein Wellness-Hotel“, kommentiert er mit einem Lächeln. Dazu gehöre auch das Essen für die Mädchen, die oftmals nur Fastfood gewöhnt seien. „Die kennen dann Erbsen, Rotkohl, Sauerbraten oder Klöße nicht.“ Und auch in anderer Hinsicht macht sich Deipenwisch keine Illusionen: „Es sind nicht alle harmlos. Es sind nicht alle wegen Schwarzfahrens hier.“

Neuer „Input“

Für seine Besucherin war die Führung durch die Anstalt tatsächlich eine Quelle neuer Informationen und Eindrücke – „Input“, wie sie es formuliert. Zumal Nathalie Bormann ein Anblick besonders erfreute – ein Defibrillator in einem der Büros. Das Gerät, das Leben rettet und seinen Nutzern das im Notfall Schritt für Schritt erklärt, stellt eine weitere Herzensangelegenheit der Medizinerin dar. Deshalb engagiert sie sich auch in der AG „Leben retten kann jeder“. Und in dem Kontext offenbarte sich auch, dass sie nicht zum letzten Mal in Wetter gewesen sein dürfte: Als Dankeschön für die Zeit, die sich Till Deipenwisch für sie nahm, bot sie ihm an, das Wissen der Mitarbeiter der Anstalt und des Gerichts in Sachen Lebensrettung aufzufrischen.