Wetter. . Ob WG oder Wohngruppe auf dem Böllberg. Das Frauenheim bietet unterschiedliche Wohnformen. Und zu alt ist man für den Umzug nie.

  • So viel Selbstständigkeit wie möglich, so viel Betreuung wie nötig
  • Das ist das Credo des Frauenheims in Wengern
  • Für unterschiedliche Bewohner werden darum unterschiedliche Wohnformen angeboten

Wir wohnen als Single, in der Familie, als Paar. Im Einfamilienhaus oder in einer Wohnung mit vielen Nachbarn. Wohnen ist ein Ausdruck der Individualität – die Menschen entscheiden selbst, wie sie leben möchten. Für Behinderte war diese Selbstbestimmung lange Zeit nicht möglich. Sie lebten in Betreuungseinrichtungen, im Heim. Das Frauenheim trägt den Begriff noch im Namen, vereint aber längst ganz unterschiedliche Betreuungsmodelle und Wohnformen unter seinem Dach. Grundsätzlich gilt hier inzwischen die Devise: Ambulant vor stationär.

Karin Fischer und Karin Heringhaus haben diesen Wandel in der Betreuungsphilosophie als Chance begriffen. Und das ist nicht selbstverständlich, denn Karin und Karin sind 80 und 73 Jahre alt. Sie haben eine Seniorinnen-WG gegründet und versorgen sich seit mehr als zehn Jahren selbst. Karin Heringhaus erinnert sich noch gut an die Zeit, als die Frage nach dem Selbstständigen Wohnen gestellt wurde. Da hatten die Betreuer im Frauenheim zunächst immer mehr die jungen Bewohner im Blick. „Wir haben uns gesagt, dass wie doch viel mehr können als die jüngeren“, sagt die 73-Jährige. „Die haben doch noch nicht einmal vernünftig den Tisch gedeckt.“

Den decken die beiden Frauen nun für sich, „immer der Jahreszeit entsprechend dekoriert“, betont Karin Fischer. Natürlich sei es damals ein großer Schritt gewesen, der auch Mut erfordert hat. Doch genießen die Beiden seit dem etwas, was es in den Wohngruppen auf dem Böllberg selten gab: die Ruhe. Begleitet werden sie im Alltag von Christina Kern. Die so genannte Bezugsbetreuerin hat dreieinhalb Stunden Zeit in der Woche für die Damen-WG. Zeit, in der es natürlich nicht um den Haushalt geht, sondern eher um lästigen Papierkram oder auch einen Arztbesuch. „Es geht bei unserer Unterstützung vor allem darum, die Selbstständigkeit zu erhalten“, sagt Edelgard Spiegelberg, Leiterin des Frauenheims Wengern.

Umziehen ist keine Option

Zwölf Jahre sind Karin und Karin nun schon ein WG-Tandem. Sie haben sich im Rentner-Alltag eingerichtet, gehen viel spazieren, erledigen noch kleinere Aufträge für das Frauenheim-Büro gegenüber dem Penny-Markt, kommen regelmäßig in den Treffpunkt an der Osterfeldstraße. Wie lange das noch geht, wo doch Karin Fischer schon ihren 80. gefeiert hat, das wissen beide nicht. „Wenn ich nicht mehr kann, dann ist mir es egal, wo ich wohne“, sagt die Seniorin. Aber noch kann sie. Umziehen ist derzeit keine Option.

Claudia Kockskämper wohnt im Haus Schöntal. Für sie war der Weg in die Stadt ein mutiger Schritt.
Claudia Kockskämper wohnt im Haus Schöntal. Für sie war der Weg in die Stadt ein mutiger Schritt. © Susanne Schlenga

Rede beim Jubiläum

Umgezogen ist dagegen Claudia Kockskämper. Allerdings nicht in eine eigene Wohnung. Die 49-Jährige hat den Böllberg Richtung Schöntal verlassen – aus dem Heim ins betreute Wohnen. In dem Neubau hat sie ihr eigenes Reich, ein Zimmer, ein eigenes Bad. Doch da ist auch die Gruppe, die gemeinsam isst, die gemeinsam fernsieht, die rund um die Uhr betreut wird. Selbstständigkeit mit Netz und doppeltem Boden. „Mehr wollte ich nicht“, sagt Claudia Kockskämper, die aktiv im Heimbeirat mitarbeitet und bei der Jubiläumsveranstaltung im Namen der Frauenheim-Bewohner eine Rede gehalten hat.

Option auf Rückkehr

Eine selbstbewusste Frau also, die viele Fähigkeiten hat. Der aber der Mut fehlt, noch einen Schritt weiter auf eigenen Füßen zu gehen. Eine Entscheidung, die Edelgard Spiegelberg akzeptiert und mit Blick auf die Erkrankung von Claudia Kocks­kämper auch gut nachvollziehen kann. „Unser Ziel ist, jedem nach seinen Möglichkeiten Selbstständigkeit zu bieten“, sagt die Frauenheim-Leiterin. Und das kann auch ein Prozess sein. Hin, zu mehr Eigenständigkeit oder auch zurück, zu mehr Sicherheit. Claudia Kocks­kämper ist da angekommen, wo sie sich wohlfühlt. „Ich wollte ins Schöntal, auch mit dem Risiko, dass mir dort Menschen begegnen, mit denen ich nicht vertraut bin“, sagt sie heute. Sie ist gegangen mit der Option auf den Böllberg zurückzukehren. Heute sagte sie: „Ich habe richtig entschieden.“

Für die Wohngruppe entschieden

Nadine Heinsch hat sich auch entschieden. Für den Böllberg, für die Wohngruppe dort. Die 36-Jährige arbeitet in der Landwirtschaft des Frauenheims. Zum Termin mit der Zeitung hat sie ihre Fotoalben mitgebracht. Stolz zeigt sie die Bilder aus ihren Ferien. Es geht immer auf einen Bauernhof in Melle. „Reiten“, schwärmt die junge Frau und zeigt Bilder, die sie schon als kleines Mädchen auf dem Rücken eines Ponys zeigen.

Kontinuität ist wichtig

Kontinuität ist im Leben von Nadine Heinsch ein wichtiger Punkt. Morgens geht sie zur Arbeit auf den Hof, mittags wird gemeinsam mit den anderen Böllberg-Bewohnern gegessen. Am Nachmittag ist wieder Arbeit angesagt, „das ist ganz schön anstrengend“, sagt die junge Frau. Auf ihrem Zimmer genießt sie dann die Ruhe, blättert in Büchern oder auch den Fotoalben. „Nicht bei jedem Bewohner geht es darum, immer einen weiteren Schritt zu gehen. Wir haben auch Bestandsziele im Blick“, erklärt Edelgard Spiegelberg. Ein solches Ziel ist im Fall von Nadine Heinsch zum Beispiel auch weiterhin auf den Bauernhof zu fahren. Dorthin, wo sie sich wohlfühlt.

  • Die Bewohner des Frauenheims haben schon immer einen Heimbeirat gewählt. Mit den vermehrt ambulanten Wohnformen sollte diese Mitbestimmung nicht aufgegeben werden.
  • Nun wählen die Bewohnerinnen und Bewohner aller Wohngruppen und jene, die Hilfen im stationären Einzelwohnen in Anspruch nehmen, einen Beirat.
  • Der Beirat vertritt die Interessen der Bewohner, wird von der Einrichtungsleitung über alle wichtigen Angelegenheiten informiert, und kann in vielen Bereichen mitbestimmen. Vorsitzende ist Claudia Kockskämper.