Wetter. . An heißen Tagen verspricht ein Bad im Fluss Erfrischung, aber sogar direkt am Ufer hat die Strömung schon Kraft. Ein Selbstversuch.

Auf dem Grund der Ruhr blitzen die Muschelschalen weiß auf den dunklen Steinen. Wer auf der untersten Stufe der Treppe steht, die oberhalb der Overwegbrücke an den Fluss führt, muss nur einen Schritt ins flache Wasser machen, um die kleinen Schätze einzusammeln. Verlockend für Kinder. Gefährlich für Kinder! Denn der Schritt, den ich an diesem Abend in die Ruhr mache, zeigt: Schon an dieser Stelle hat die Strömung Kraft. Ein Kind würde sie schnell von den Beinen reißen. Doch ich bin eine gute Schwimmerin. Und an heißen Tagen verspricht so ein Bad in dem klaren Wasser Erfrischung.

Zwei Tote hat es in den vergangenen drei Jahren an der Ruhr in Wetter gegeben. Oben an der Treppe, die ich nun mit Strömungsrettern der DLRG hinuntergehe, erinnert ein Holzkreuz an den kleinen Felix, der 2013 an der Kieselbank wenige Meter weiter oben ins Wasser ging, sich treiben ließ und das rettende Ufer nicht mehr erreichte. Der Achtjährige ertrank, und sein Tod ist längst nicht vergessen. Ebenso der eines jungen Flüchtlings, der in Wengern den Fluss unterschätzte und in der Strömung sein Leben ließ. „Die Ruhr ist gefährlich, auch wenn sie manchmal ganz harmlos aussieht“, sagt Vanessa Döpper (30), die bei der Deutschen Lebensrettungsgesellschaft in Wetter als Strömungsretterin im Einsatz ist.

An diesem Tag ist der Ruhrpegel auf niedrigem Stand. Auch wenn der Juni bislang viel Regen gebracht hat, umspült der Fluss gerade einmal die unterste Stufe der Treppe. Bei Hochwasser schlagen die Wellen ganz oben an die gut ein Dutzend Stufen. Die DLRG-Retter legen mir dennoch einen so genannten Trockenanzug bereit, samt Rettungsweste und Helm. „Wir gehen kein Risiko ein“, sagt Florian Horn, der von der DLRG-Station Hattingen nach Wetter gekommen ist, um den Selbstversuch „Schwimmen in der Ruhr“ zu begleiten. Als ich nach einigem Hin- und Her endlich in dem gelben Anzug stecke, sehe ich aus wie eine Mischung aus Teletubbie und Michelin-Männchen.

Luft ablassen

Vanessa Döpper geht mit ihrem roten Modell einmal in die Hocke und lupft am Hals den eng anliegenden Gummikragen. „So lassen Sie die Luft aus dem Anzug, und er legt sich enger an.“ Eine Prozedur, die wir im flachen Wasser noch einmal wiederholen. Dann hilft der Wasserdruck zusätzlich, Luft aus dem Anzug zu pressen. Ausgerüstet mit dem wasserdichten Overall, einer Sicherheitsweste samt Trillerpfeife, Messer und Wurfsack sowie einem Helm, steige ich begleitet von Vanessa Döpper, Florian Horn, Marcel Britze und Philipp Kangowski in den Fluss. Wir stapfen erst einmal gut 50 Meter flussaufwärts, Richtung Kieselbank, auf der selbst an diesem kühlen Abend ein paar Leute sitzen.

Im knietiefen Wasser ist das Laufen schon einen sportliche Angelegenheit, reicht das Wasser bis zur Hüfte, muss man sich sehr konzentrieren, nicht umgerissen zu werden. Und mit einem Schritt nach rechts, reicht das Wasser auch schon bis unter die Brust. Die drei Männer und Vanessa Döpper stehen noch, mich zieht es von den Füßen. „In diesem Moment geraten die meisten Menschen in Panik“, erklärt Florian Horn, während er mich gemeinsam mit Marcel Britze an den Armen packt und wieder auf die Füße stellt. „Wer versucht, wieder Boden unter die Füße zu bekommen, kämpft gegen die Strömung an und verliert Kraft“, sagt Marcel Britze. „Man muss sich mit der Strömung treiben lassen und versuchen, so eine sichere Stelle zu erreichen.“

Auch Kälte kostet Kraft

Genau das tun wir, nachdem ich einen Moment vergeblich versucht habe, gegen die starke Strömung anzuschwimmen. Auf den Rücken legen, mit den Händen versuchen, ein wenig die Richtung zu ändern – aufs Ufer zu. Mit dem wasserdichten Anzug und der Weste gelingt das relativ leicht. Doch was, wenn ein Mensch Jeans und T-Shirt anhat? „Das zieht nach unten“, wissen die Strömungsretter. Und in Bikini oder Badehose lässt es sich zwar leichter schwimmen, doch setzt an den meisten Tagen im Jahr die Kälte dann den Schwimmern zu und kostet zusätzliche Kraft.

Seit 2013 bildet auch die DLRG in Wetter Strömungsretter aus. Für einen Einsatz müssen immer drei dieser speziell ausgebildeten Kräfte parat stehen. „Oberstes Gebot ist die Eigensicherung“, betont Vanessa Döpper. Das heißt, niemand stürzt sich einfach in die Fluten, um einem Ertrinkenden zu Hilfe zu eilen. „Wir müssen uns immer gegenseitig absichern, um uns nicht zu gefährden“, so Florian Horn. Denn ein Retter in Schwierigkeiten hilft auch einem Verunglückten nicht mehr.

Mit den Menschen sprechen

Eine solche Situation stellen wir an diesem Abend in der Ruhr nach. Ich lasse mich in der Strömung treiben, Florian Horn zieht mich – von Marcel Britze und Philipp Kangowski gesichert – wieder heraus. Der 31-Jährige packt mich unter den Armen und erklärt mir genau, was als nächstes passiert. „Es ist wichtig, mit den Menschen zu sprechen und sie so zu beruhigen“, erklärt der Retter, der nun selbst von seinen Teamkollegen mit vereinten Kräften in seichteres Wasser gezogen wird. Das Seil, das ihn dabei sichert, kann Horn jederzeit lösen. „Wenn sich das Seil irgendwo verfängt, zieht es mich unter Wasser“, erläutert der DLRGler, warum nicht angeseilte Retter vom Ufer aus in den Fluss geschickt werden.

Untiefen behindern Boot

Und warum steigen die Retter selbst in den Fluss und kommen nicht mit dem Boot? „Das wäre in vielen Fällen zu langwierig“, erklärt Vanessa Döpper. Selbst mit einem Schlauchboot, das die DLRG-Wetter seit kurzem besitzt und das man mit vier Leuten schnell zum Ufer tragen kann, mache es oft keinen Sinn, bei einem Rettungseinsatz auf den Fluss zu gehen. „Wir reißen uns den Motor kaputt, hier sind einfach zu viele Untiefen.“ Und in den Trockenanzug könne man auch mit normalen Anziehsachen schnell hinein. Und Zeit ist ein lebenswichtiger Faktor bei der Rettung im Fluss.

Nach einer guten Stunde im Wasser pelle ich mich endlich wieder aus dem gelben Anzug. Mein Blick auf den Fluss hat sich verändert. Ich sehe nicht mehr die Muscheln und denke an ein erfrischendes Bad im Sommer. Ich sehe die Wasseroberfläche, die sich immer wieder kringelt und wellt – ich sehe die Strömung und denke an die Gefahren.